Vom Fahrer zum Passagier? (Foto: BP63vincent CC-BY-SA 3.0)

Wer zahlt, wenn’s knallt?

Zur rechtlichen Dimension des autonomen Fahrens

3.459 Personen sind im Jahr 2015 bei Unfällen auf deutschen Straßen ums Leben gekommen, 396.891 wurden – zum Teil schwer – verletzt. Hinzu kommen viele Unfälle mit Sachschäden. In diesem Zusammenhang ist noch eine zweite Zahl beachtenswert: Rund 90 Prozent der Unfälle sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Es ist also nicht überraschend, dass Wissenschaft, Industrie und Politik etwas verändern wollen. Viele sehen großes Potential in der Technik des autonomen Fahrens, um Unfälle und damit auch die Zahl der Verkehrstoten in Zukunft zu reduzieren.

„Wir schaffen das modernste Straßenverkehrsrecht der Welt“ 

(Alexander Dobrindt)

Sind Fahrer, Programmierer oder Hersteller verantwortlich?

Auch mit autonom fahrenden Fahrzeugen werden sich Unfälle nicht in jeder Verkehrssituation verhindern lassen. Deshalb gilt es, hierfür Regeln aufzustellen. Wenn der Mensch das Lenkrad abgibt, wird das Auto selbst zum Hauptverursacher von Unfällen. Wer übernimmt in diesem Fall die Verantwortung für einen Unfall? Der Fahrer, der in dem Moment eventuell gar nicht aktiv das Fahrzeug gelenkt hat? Der Programmierer, der dem autonomen Fahrzeug beigebracht hat, wie es sich in bestimmten Situationen verhalten soll? Oder der Hersteller des Fahrzeugs? Letzteres ist zum Beispiel in der Luftfahrt längst üblich.

Bislang gibt es im deutschen Verkehrsrecht für das Fahren mit autonomen Fahrzeugen noch keinen verbindlichen Rechtsrahmen. Bei einem Unfall wird derzeit automatisch der Fahrer zur Verantwortung gezogen, auch wenn das Auto mit (teil-)automatisierten oder autonomen Assistenzsystemen fährt. Die Politik arbeitet daran, alle rechtlichen und ethischen Fragen rund um das autonome Fahren in Deutschland zu klären. Seit Sommer 2016 gibt es dafür eine vom Verkehrsministerium eingesetzte Ethikkommission, bestehend aus Experten aus der Wissenschaft und Vertretern aus Industrie und Verbänden. Im Sommer 2017 ist mit dem Bericht und Empfehlungen der Kommission zu rechnen.

Ethikkommission

Die Ethikkommission wurde im Sommer 2016 vom Bundesverkehrsminister gegründet. Unter der Leitung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Udo di Fabio erörtert die 14-köpfige Expertenrunde die ethischen Fragen zu den Grundsätzen des automatisierten Fahrens. Dabei wird die Kommission Leitlinien zur Programmierung automatisierter Fahrsysteme entwickeln. Besonders relevant ist – neben der Frage nach der Haftung – die Frage, wie computergesteuerte Fahrzeuge in Gefahrensituationen reagieren sollen.

Die Leitlinien wurden am 20. Juni 2017 veröffentlicht.

„Wir schaffen das modernste Straßenverkehrsrecht der Welt“ (Alexander Dobrindt)

Noch vor der Bundestagswahl soll die Frage der Haftung gesetzlich entschieden werden. Daher hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Frage der Haftung in Deutschland in automatisierten Fahrzeugen klärt. Ende März 2017 wurde es vom Bundestag verabschiedet; aller Voraussicht nach wird am Freitag, den 12. Mai 2017, der Bundesrat dem Gesetz zustimmen.
Das Gesetzeswerk erlaubt es dem Fahrer, die Fahrzeugsteuerung dem Fahrassistenzsystem zu übergeben. Allerdings muss die Automatik des Fahrzeugs „durch den Fahrzeugführer manuell übersteuerbar oder deaktivierbar“ sein. Der Fahrer muss das Fahrzeug also permanent überwachen und im Ernstfall soll er „mit ausreichend Zeitreserve vor der Abgabe der Fahrzeugsteuerung an den Fahrzeugführer” (so der Wortlaut im jüngsten Entwurf) eingreifen können. Damit bliebe die Verantwortung und letzte Entscheidung beim Fahrer. Auch die Haftungsfrage wird in dem Gesetz geregelt: Es haftet weiterhin der Fahrer.

Black Box

Damit bei Unfällen oder Störungen klar wird, wer das Fahrzeug gesteuert hat, müssen alle Fahrzeuge mit einem Autopiloten über eine Blackbox verfügen. Diese speichert die Informationen, wann der Autopilot und wann der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug hatte, sowie wann das Fahrsystem den Fahrer zur Übernahme aufgefordert hat.

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Was sagt die Wissenschaft?

„Mit dem Gesetzentwurf dürfen Sie jetzt die Hände vom Steuer wegnehmen, aber das Gehirn wird noch mehr als zuvor beansprucht.”

(Prof. Raul Rojas)

Vom Verkehrsminister als „innovationsfreundliche Änderung des Straßenverkehrsgesetzes proklamiert, wird der Gesetzesentwurf in der Wissenschaft aus verschiedenen Gründen kritisch gesehen. Prof. Raul Rojas, Leiter des Dahlem Center for Intelligent Systems an der FU Berlin, kritisiert: „Mit dem Gesetzentwurf dürfen Sie jetzt die Hände vom Steuer wegnehmen, aber das Gehirn wird noch mehr als zuvor beansprucht”. Tatsächlich gibt es Experimente der University of Southampton, die zeigen, dass es – je nach Reaktionszeit und Situation – zwischen 1,9 und 25,8 Sekunden dauern kann, bis Personen die Steuerung eines Fahrzeuges wieder aktiv übernehmen. Also mitunter deutlich länger als die Reaktionszeit beim aktiven Fahren. Dort braucht der menschliche Körper durchschnittlich eine Sekunde, um auf eine Gefahrensituation reagieren zu können. Das neue Gesetz erlaubt es also, die Hände vom Lenkrad zu nehmen, Zeitung zu lesen oder eine E-Mail zu schreiben – doch ob sich das angesichts der Haftungsfrage tatsächlich empfiehlt, ist fraglich.

„Der Fahrer wird verpflichtet ein System zu kontrollieren, dessen Schwächen und Grenzen er nicht kennt.“

(Prof. Philip Slusallek)

Prof. Armin Grunwald, Leiter am Institut für Technikfolgeabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie, wünscht sich ein Gesetz, „in dem die jeweiligen Verantwortlichkeiten von Fahrer, Halter, Automobilhersteller und der öffentlichen Hand klar aufgezeigt sind, so dass jeder Beteiligte an Verbesserungen in seinem Verantwortungsbereich interessiert ist“. Insbesondere eine stärkere Verantwortlichkeit der Hersteller vermittle Fahrzeugnutzern das Gefühl, dass die Hersteller ihre Technik auch als wirklich verlässlich einschätzen. Raul Rojas hält eine unzureichende Klärung der Verantwortungsfrage für die größte Hürde auf dem Weg zu vollständig autonom fahrenden Fahrzeugen in Deutschland: „Bislang ist die Rechtslage noch ungeklärt, da der Fahrer/Passagier noch für jeden Unfall haftet. Und die Industrie wird erst dann selbst die Verantwortung übernehmen, wenn sie sich sicher genug fühlt.“

Sind automatisierte Systeme sicherer?

Prof. Philipp Slusallek vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz in Saarbrücken formuliert seine Kritik an dem Gesetzesvorschlag aus einer dritten Perspektive: „Der Fahrer wird verpflichtet ein System zu kontrollieren, dessen Schwächen und Grenzen er nicht kennt. Denn diese werden erst sichtbar, wenn es zu kritischen Situationen kommt.“ Gleichzeitig gibt es bislang keine zuverlässigen Tests, mit denen die Leistungsfähigkeit und die Grenzen von automatisierten Fahrfunktionen tatsächlich kritisch geprüft werden können. Hingegen ist es deutlich, so Philipp Slusallek, dass „automatisierte Fahrfunktionen nach wie vor gravierende Schwächen haben“.

Sogar die Frage, ob und inwieweit automatische Fahrsysteme zu weniger Unfällen beitragen, ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. Erste Untersuchungen aus den USA lassen zwar hoffen, dass sich die Anzahl der Unfälle durch autonome Fahrzeuge verringern lässt, die Datenmenge ist dazu aber bei Weitem noch nicht aussagekräftig. Zudem kann nicht eingeschätzt werden, wie Dritte auf autonome Fahrzeuge reagieren, also welches Fahrverhalten im Straßenverkehr Fahrer nicht-automatisierter Fahrzeuge von autonomen Fahrzeugen erwarten. Ob und wann sich die Verkehrssicherheit durch autonome Fahrzeuge in Deutschland tatsächlich deutlich verbessert, wird erst die Zukunft zeigen.

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Update 21. Juni 2017

Das Gesetz zum automatisierten Fahren ist am 12. Mai vom Bundesrat beschlossen worden und seit 21. Juni 2017 in Kraft.

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