Welche präventiven Maßnahmen eignen sich konkret zur Vermeidung einer psychischen Erkrankung?
Bei der Prävention kommt es natürlich immer auf die Art der Belastungen an. Zu dem Thema gibt es zum Glück zahlreiche durch Studien nachweislich als wirksam erwiesene Strategien. Bei einer aufkommenden Depression sind beispielsweise eine Tagesstruktur und ein geregelter Schlafrhythmus sehr wichtig. Außerdem sollten die Betroffenen versuchen, positive Aktivitäten und „Wohlfühl-Momente“ in den Alltag zu integrieren. Körperliche Aktivität und Sport sind ebenfalls wichtige präventive Faktoren, die einer psychischen Erkrankung vorbeugen können. Insbesondere gilt es, während der Corona-Pandemie das sogenannte „Social Distancing” vielmehr als ein “Physical Distancing” aufzufassen, denn das ist es ja: Wir sollen Familienangehörige, Freund*innen und Bekannte ja nicht per se völlig meiden, sondern ihnen nur nicht physisch – also körperlich – nah kommen. Weil wir Menschen nun einmal sehr soziale Wesen sind, ist es für Menschen aller Altersgruppen so extrem wichtig, dass wir uns mit anderen Menschen verbunden fühlen und soziale Kontakte aufrechterhalten.
Welche Altersgruppen sind besonders davon betroffen? Kann man das pauschal sagen?
Die ersten Studien legen recht deutlich nahe, dass vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene psychisch belastet sind. Gerade die jungen Menschen, die sich momentan in der Entwicklungs- und Selbstfindungsphase zwischen Jugend und Erwachsenenleben befinden, leiden unter den freiheitseinschränkenden Maßnahmen – aber auch die kleineren Kinder und Jugendlichen vermissen während eines Lockdowns das unmittelbare Zusammensein mit Freund*innen und den geregelten Lern- und Freizeitalltag. Interessanterweise fühlen sich laut aktueller Studien die älteren Menschen durch die Corona-Pandemie weniger einsam und psychisch belastet als jüngere Menschen. Das lässt sich dadurch erklären, dass die meisten älteren Menschen bedingt durch das Bewältigen vieler anderer Krisen im Laufe ihres langen Lebens resilienter – also widerstandskräftiger – sind als jüngere. Möglicherweise hatten einige ältere Menschen auch bereits vor der Pandemie ein kleineres soziales Umfeld, so dass der Unterschied nun entsprechend geringer ausfällt. Allerdings sind beispielsweise ältere und kranke Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen leben, nicht in den überwiegenden Online-Studien repräsentiert. Daher lässt sich keine eindeutige Aussage über die gesamte ältere Generation treffen.
Was können Risikofaktoren für eine psychische Erkrankung während der Corona-Pandemie sein?
Es gibt verschiedene Risikofaktoren für psychische Erkrankungen, welche während der Corona-Pandemie leider begünstigt werden. So kann, wie bereits erwähnt, der Verlust der sozialen Kontakte bis hin zur völligen Isolation und Einsamkeit ein Risikofaktor für eine psychische Erkrankung sein. Ich kann mich aber auch einsam fühlen, obwohl ich noch viele Personen um mich herum habe. Hier ist die subjektive Wahrnehmung von Einsamkeit entscheidend. Die Pandemie kann außerdem dazu führen, dass wir ungünstige Coping-Strategien – also Bewältigungs-Maßnahmen – anwenden. So können beispielsweise alkoholabhängige Menschen wieder rückfällig werden. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes, Kurzarbeit oder die Tätigkeit im Gesundheitswesen und anderen systemrelevanten Berufen sind klare spezifische Risikofaktoren dieser Pandemie. Zudem kann auch eine Infektion mit dem Coronavirus langfristige psychische Folgen nach sich ziehen. Während der ersten Welle waren insbesondere Familien psychisch belastet, die Homeoffice und Homeschooling zu bewältigen hatten – gerade in eingeengten Wohnsituationen gestaltet sich das als besonders herausfordernd und kann leider auch zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt führen. Außerdem gibt es Studien, die zeigen, dass Menschen mit einer geringen Bildung, einem geringen sozioökonomischen Status, Migrationshintergrund oder auch einer Behinderung besonders anfällig für psychische Belastungen und Erkrankungen während einer solchen pandemischen Krise sind. Schließlich sind natürlich Personen, die bereits vor der Pandemie psychisch erkrankt waren, besonders anfällig; hier kann es zu deutlichen Verschlechterungen oder Rückfällen kommen.
Wie genau wirkt sich die Corona-Pandemie auf die bereits erkrankten Personen aus?
Ich möchte die Auswirkungen an einem konkreten Fall verdeutlichen: Eine unserer Patientinnen, die unter einer chronischen Depression leidet, also schon lange mit einer schweren Depression zu kämpfen hat, hatte sich gerade im letzten Jahr durch Psycho- und Soziotherapie, neue Freundschaften, ehrenamtliche Aufgaben und Freizeitaktivitäten weitgehend stabilisiert und wollte im Frühjahr 2020 eine Ausbildung beginnen. Mit Beginn der Sicherheitsmaßnahmen ging es ihr interessanter Weise zunächst eine Woche lang erst einmal besser, weil all die sozialen Verpflichtungen weggefallen sind, zu denen sie sich zunächst immer noch überwinden muss. Nach dieser ersten Woche realisierte sie jedoch, dass die Pandemie noch über einen längeren Zeitraum hinweg bestehen würde. Sie spürte, dass ihr die sozialen Kontakte und Aktivitäten fehlten und fühlte sich wieder wie von der Umwelt abgeschnitten – ein Gefühl, was sie aus den schweren Phasen der Depression kannte. Daraufhin wurde die Patientin schwer depressiv, lebensmüde Gedanken traten erneut auf. Wie dieses Beispiel zeigt, brechen gerade in den Phasen eines Lockdowns für die bereits erkrankten Menschen sehr viel der positiven und hilfreichen Kontakte und Aktivitäten weg, sodass sich bereits bestehende Erkrankungen verschlimmern können.
Wie kann man als gesunde Person einer psychischen Erkrankung durch die Corona-Pandemie vorbeugen? Gibt es bereits Präventionsprogramme?
Ja, die gibt es schon. Wir unterscheiden hier zwischen universeller Prävention, also was können die Gesellschaft, die Medien oder die Politik vorbeugend tun, und spezifischer indizierter Prävention, also was können wir gezielt für Personen mit Risikofaktoren machen. Bei der universellen Prävention ist eine seriöse, wissenschaftliche Berichterstattung in den Medien sehr wichtig. Panikmache sollte dabei vermieden werden. Die Fakten sollten neutral und nachvollziehbar – am besten interaktiv – vermittelt werden, also so, dass wir nachvollziehen können, welchen Einfluss das eigene Verhalten auf die Entwicklung der Pandemie hat und welche Verantwortung wir dabei haben. Den Vorteil eines interaktiven Tools haben wir gerade in einer eigenen Studie zeigen können. Gleichermaßen sollte auch auf die bereits erwähnten positiven Begleiterscheinungen, die die Pandemie mit sich bringt, eingegangen werden. Auch ein Angebot für beispielsweise digitalen Sport kann dabei hilfreich sein. In Hinblick auf die indizierte Prävention habe ich zum Beispiel gemeinsam mit meiner Arbeitsgruppe auf einer speziellen Corona-Pandemie-Webseite verschiedene Videos, Materialen, Übungen und konkrete Tipps unter anderem über den Umgang mit Konflikten oder Stress für belastete Menschen aller Altersgruppen bereitgestellt. Sehr ähnlich jedoch noch umfassender informiert eine Website unserer Fachgruppe der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPS), bei der ich auch mitgewirkt habe. Zudem gibt es einige sehr gute Online-Trainings, die auch spezifisch auf die psychischen Belastungen resultierend aus der Corona-Pandemie ausgerichtet sind, wie z.B. www.corona-stressfrei.de oder https://hellobetter.de.