„The Ocean Cleanup bekämpft nur die Symptome”

Ein Gespräch mit Dr. Mark Lenz

„The Ocean Cleanup” – so heißt das ambitionierte Projekt des Niederländers Boyan Slat. Ziel des Projekts ist es, die Ozeane vom Plastikmüll zu befreien. Dazu sollen Anlagen mit knapp einen Kilometer langen Fangarmen und etwa drei Meter langen Netzen auf den Meeren installiert werden und den auf der Oberfläche treibenden Plastikmüll einfangen. In regelmäßigen Abständen wird der hängengebliebene Plastikmüll gesammelt und recycelt. Über Crowdfunding hat das Projekt bereits über 30 Millionen Dollar gesammelt und hatte erste Erprobungsphasen 2016 in der Nordsee und 2018 in der Bucht von San Francisco. Noch für dieses Jahr sind weitere Testläufe der Anlagen am Great Pacific Garbage Patch angekündigt. 2020 sollen dann 60 verschiedene Anlagen den Plastikmüll aus den Meeren herausfischen.

Wir haben mit dem Meeresbiologen Dr. Mark Lenz über den Sinn und Zweck dieser Aktion gesprochen.

Aktualisierung

Das Projekt „The Ocean Cleanup” ist im Oktober 2018 gestartet und musste nach technischen Schwierigkeiten im Januar 2019 abgebrochen werden. Seit Juni 2019 ist das Projekt nun wieder im Einsatz.

Wie gut lässt sich Plastik auf dem offenen Meer herausfischen?

Das ist enorm aufwendig.  Man muss bei allem Plastik, was jenseits der Küsten bereits ins offene Meer gelangt ist, eigentlich davon ausgehen, dass man es nie wieder zurückholen kann. Sinnvoller ist es, in Küstennähe oder an Flussmündungen anzusetzen. Dort ist der Plastikmüll noch deutlich konzentrierter und der Energie- und Materialeinsatz ist viel geringer.

Glauben Sie das Projekt ‘The Ocean Cleanup’ kann trotzdem Erfolg haben?

Ich persönlich halte den Ansatz von ‘The Ocean Cleanup’ nicht für sinnvoll. Denn wir wissen gar nicht, ob die Anlagen funktionieren und welche ökologischen Folgen sie verursachen werden. Selbst wenn sie funktionierten sollten, würde innerhalb von fünf Jahren gerade einmal ein halbes Prozent der Menge an Plastik aus dem Meer gefischt werden, die jährlich in die Ozeane gelangt. Der Effekt ist also sehr gering, gleichzeitig ist das Projekt aber sehr teuer und aufwendig.

„Die ökologischen Folgen können weitreichend sein.”

Weshalb glauben Sie, dass die Anlage gar nicht wie gedacht funktioniert?

Für mich sind noch eine ganze Reihe an technischen Fragen ungeklärt. Was passiert bei einer Havarie? Und lassen sich tatsächlich durch Treibanker die Anlagen kontrollieren? Insbesondere ist für mich aber die Frage ungelöst, ob man das Plastik überhaupt mit diesen Anlagen bergen kann. Denn das meiste Plastik, was in den Ozeanen treibt, ist sehr klein und kann wahrscheinlich gar nicht aufgenommen werden. Zudem befindet sich nur ein Teil des weltweiten Plastikmülls an der Wasseroberfläche, ein viel größerer Teil treibt in der Wassersäule darunter.

Was bedeutet ‘The Ocean Cleanup’ für die Meerestiere?

Es gibt eine ganze Reihe an Organismen, die ähnlich wie Plastikteile an der Wasseroberfläche treiben und an eine Umwelt angepasst sind, in der es keine festen Hindernisse gibt. Wenn nun solche Anlagen im Meer ausgebracht werden, werden nicht nur Plastikteile gegen die Fangarme gespült, sondern auch Quallen, Laich und Plankton an den Barrieren zerdrückt. Die ökologischen Folgen können daher weitreichend sein. Denn man darf sich die Meeresoberfläche nicht als sterile Wasserwüste vorstellen. Sie ist ein Ökosystem, welches von einer Vielzahl an Organismen besiedelt ist.

Gibt es von Seiten des Projekts Argumente gegen diese Bedenken?

Das Team von ‘The Ocean Cleanup’ argumentiert, dass die Tiere unter dem Filter hinweg tauchen. Das gilt sicherlich für größere Fische, Schildkröten und Meeressäuger. Aber es gilt eben nicht für die an der Oberfläche treibenden Organismen. Würde man ein solches Projekt an Land durchführen wollen, gäbe es wohl deutliche Kritik von Umweltverbänden. Und nur, weil das Projekt auf dem Meer stattfindet, ist man nicht gezwungen, eine Umweltverträglichkeit zu ermitteln. Das halte ich für problematisch.

„Wir müssen bei den Ursachen des Plastikmülls ansetzen, also bei der Produktion und der Entsorgung.”

Dennoch wird das Projekt in den Medien als innovativer Ansatz gefeiert. Warum?

Das Projekt hat für viele Menschen einen großen Reiz und es hat viel Aufmerksamkeit erzeugt. Denn es schlägt eine gewaltige technische Lösung für ein gewaltiges Problem vor. Tatsächlich hat das Projekt etwas vom Pioniergeist des späten 19. Jahrhundert oder auch von den Visionen des Silicon Valley. Gleichzeitig suggeriert ‘The Ocean Cleanup’, dass man nun eine Lösung hat, um das Plastik wieder aus den Meeren zu fischen, man also sein Verhalten nicht ändern müsste. Und dieses Bild ist fatal. The Ocean Cleanup bekämpft nur die Symptome. Aber ganz am Ende anzusetzen, wenn das Plastik bereits auf den Weltmeeren ist, ist viel zu spät.

Was würden sie sich konkret anders wünschen?

Wir müssen bei den Ursachen des Plastikmülls ansetzen, also bei der Produktion und der Entsorgung. Zwei grundlegende Aspekte müssten im Fokus der Diskussion um Plastikmüll in den Meeren stehen: Zum einen müssen wir unseren generellen Umgang mit Plastik überdenken. Rund ein Drittel der weltweiten Plastikproduktion sind Verpackungen und Einwegprodukte. Diese Zahl müssen wir deutlich reduzieren, denn dafür ist Plastik als Wertstoff zu wertvoll.

Dazu müssen wir den weltweit anfallenden Müll insgesamt besser managen. In Asien – von wo der meiste Meeresmüll stammt – müssen erstmal flächendeckend Müllentsorgungssysteme etabliert werden. Oftmals fehlt es schon an so simplen Sachen wie einer Müllabfuhr. Die Ansätze sind zwar längst nicht so medienwirksam, aber auf lange Sicht deutlich effektiver.

Zur Person

Dr. Mark Lenz ist Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Dort beschäftigt er sich insbesondere mit Aspekten der Meeresökologie und den Auswirkungen von Plastikmüll im Meer.

Foto: Geomar

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