Foto: BIH/Thomas Rafalzyk

„Tau ist die treibende Kraft im Krankheitsprozess!”

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Franz Theuring

Sie forschen an einem Medikament gegen Alzheimer, das die Tau-Fibrillen angreifen soll, die für die Krankheit mitverantwortlich gemacht werden. Eine Vielzahl an Wissenschaftlern forscht jedoch an Therapien gegen Beta-Amyloid, das im Gehirn von Alzheimerpatienten verklumpt. Warum sind Sie sich so sicher, dass Sie mit Tau auf dem richtigen Weg sind?

Seit nahezu 30 Jahren wird in der Tat in der Pharmaindustrie zu Beta-Amyloid geforscht. Die dazu gehörende Amyloid-Hypothese ist regelrecht in Stein gemeißelt und stellt das zentrale Dogma in der Alzheimerforschung dar. Aber bisher gibt es kein therapeutisch wirkendes Alzheimermedikament. Die Amyloid-Hypothese scheint nicht geeignet, die Ursachen zur Entstehung der Krankheitsprozesse erklären zu können. Es müssen alternative Ursachen diskutiert und analysiert werden.

1998 habe ich Claude Wischik kennengelernt, der viele Jahre in Cambridge in England geforscht und in der Klinik gearbeitet hat. Er hat dort acht Jahre lang hunderte Alzheimerpatienten interviewt, ihre Gehirne mit bildgebenden Verfahren analysiert und nach deren Tod die Gehirne untersucht. Aufgrund seiner Analysen, sowohl zu Beta-Amyloid als auch zu Tau-Proteinen, ist er zu dem Schluss gekommen, dass Tau die treibende Kraft im Krankheitsprozess ist. Ähnliche Ergebnisse wurden schon recht früh publiziert, zum Beispiel von dem Neuroanatom Heiko Braak 1991, jedoch wurden sie von der Pharmaindustrie offensichtlich nicht ernst genommen und nicht weiter verfolgt. Braaks Publikationen zeigten auch, dass die Tau-Pathologie sehr früh beginnt. Bereits bei unter 30-Jährigen zeigen sich erste Veränderungen des Tau-Proteins.

Man weiß allerdings nicht, ob sich das dann im Laufe der nächsten 30 bis 40 Jahre verschlimmert oder ob die Zellmaschinerie diese ersten Veränderungen wieder kompensieren und eliminieren kann. Dazu gibt es keine Studien. Aber Wischiks klinische Daten haben auch mich darin bestärkt, dass das Tau-Protein und dessen Aggregation die treibende Kraft darstellt. Beta-Amyloid mag sicherlich das Geschehen modifizieren, aber wir glauben, dass wir therapeutisch auf den Krankheitsprozess einwirken können, wenn wir die Tau-Aggregation unterdrücken und Tau-Aggregate auflösen. Etwas salopp kann man sagen, es gibt kein Alzheimer ohne Tau. Es mag sein, dass es mittelfristig eine Kombinationstherapie geben wird, aber wir sind überzeugt, dass Tau-Aggregationshemmer auf alle Fälle wirken werden.

„In unseren klinischen Studien haben wir gesehen, dass der Krankheitsprozess wirklich modifiziert ist.”

An welchem Wirkstoff forschen Sie?

Ursprünglich basiert der Wirkstoff auf dem Farbstoff Methylenblau. Damit hat bereits Paul Ehrlich 1870 gearbeitet. Er hat an Experimenten mit Ratten gesehen, dass Methylenblau Neuronen einfärbt, also das Gehirn. In der Phase II unserer klinischen Studie haben wir Methylenblau eingesetzt, jedoch in hochgereinigter Form. Mittlerweile haben wir eine chemisch modifizierte Variante, die sogenannte Leuko-Variante von Methylenblau entwickelt, die wesentlich effizienter ist. Das heißt, eine Tablette muss nur zweimal am Tag eingenommen werden und die Nebenwirkungen sind deutlich reduziert.

Wie genau funktioniert der Wirkstoff und wie soll er Alzheimerpatienten helfen?

Der Wirkstoff löst Tau-Fibrillen auf und verhindert die Neubildung, das heißt, es kommt zum Stillstand im Krankheitsprozess. Die geistigen Fähigkeiten der Patienten verschlechtern sich nicht mehr. In unseren klinischen Studien haben wir gesehen, dass der Krankheitsprozess wirklich modifiziert ist. Natürlich sind die Patienten weiterhin klinisch auffällig. Mittelfristig will man also erreichen, dass das Medikament prophylaktisch gegeben werden kann. Dafür braucht man aber eine vernünftige Diagnostik, die es bisher nicht gab, weil sich die Pharmaindustrie seit ungefähr 25 Jahren auf Beta-Amyloid fokussiert hat. Die Entwicklung von Tau-basierten Diagnostika ist nun aber eingeleitet worden und es gibt erste Substanzen, die sich an Tau-Aggregate anlagern und die dann mit bildgebenden Verfahren nachweisbar sind. Sie werden sicherlich in einigen Jahren auf den Markt kommen.

Welche Nebenwirkungen können bei einem solchen Medikament auftreten?

Es gibt kein Medikament, das keine Nebenwirkungen hat. Unser Medikament hat als Nebenwirkung Durchfall und Übelkeit. Das hat in den klinischen Studien auch vereinzelt  dazu geführt, dass davon betroffene Patienten aus den Studien herausgenommen werden mussten, weil das für die Angehörigen beziehungsweise das Pflegepersonal nicht mehr handhabbar war. Häufig reichte aber auch eine kurzfristige Verringerung der Dosis, damit die Personen weiter an den klinischen Studien teilnehmen konnten. Diese Nebenwirkung ist vertretbar im Vergleich zu der beobachteten und beabsichtigten Wirkung. Aber da ist natürlich jeder einzelne Fall anders.

„Wir reden über eine chemische Substanz, die geringe Herstellungskosten hat. Deutlich preiswerter als zum Beispiel Antikörper und die Technologie dahinter.”

Sie sind mittlerweile in Phase III der klinischen Studie. Wie sind Ihre Studien aufgebaut?

In Phase II haben wir noch mit Methylenblau gearbeitet – mit 321 Probanden in 17 Studienzentren. Die Rate der Nebenwirkungen war deutlich höher als in Phase III mit der modifizierten Variante. In der klinischen Studie haben wir gesehen, dass die Krankheit nicht mehr fortschreitet. Durch bildgebende Verfahren haben wir auch gesehen, dass es in den Hirnarealen, in denen normalerweise die Tau-Aggregate auftauchen, zu keinerlei Verminderung der Funktionsfähigkeit dieser Areale kommt, wenn die Patienten unser Medikament nehmen. Das war bei den, mit einem Placebo behandelten Patienten, nicht der Fall.

Daraufhin haben wir die Phase III der klinischen Studie mit zwei völlig unabhängigen Studien in 22 Ländern und mit 1690 Patienten eingeleitet. Als die Studien beendet waren, haben wir die Daten analysiert und keinen Unterschied zwischen den Patienten gesehen, egal welche Dosis diese vom Medikament bekamen oder ob sie ein Placebo eingenommen hatten. Das hat uns ziemlich geschockt und wir haben begonnen nach der Ursache zu suchen. Wir konnten feststellen, dass das Medikament nur in der Patientengruppe wirkt, die keine symptomatisch wirkenden Alzheimermedikamente parallel genommen hat. Die Einnahme dieser Medikamente hatten wir in Phase II nicht erlaubt, in Phase III jedoch erlaubt, mit dem Hintergrund, schneller mehr Patienten für die Teilnahme gewinnen zu können. Diese Medikamente wirken zwar nicht therapeutisch auf den Krankheitsprozess ein, sie können aber die Anprechbarkeit von Patienten heben und machen so auch derePflege etwas einfacher. Dennoch haben wir insgesamt 299 Patienten, die nur unser Medikament bekommen haben. Und bei ihnen sieht man eine signifikante Wirksamkeit.

Derartig positive Auswirkungen hat man bisher mit keinem symptomatisch wirkenden Alzheimermedikament gesehen. Jetzt müssen wir auf alle Fälle eine weitere Phase III-Studie durchführen. Dabei werden dann wirklich nur Behandlungsnaive, also Patienten die nur unser Medikament bekommen, mit Patienten verglichen, die ein Placebo einnehmen. Dafür sammeln wir momentan Geld, allein diese Studie wird rund 60 Millionen US-Dollar kosten.

Wann könnte das Medikament zugelassen werden und auf den Markt kommen?

Ich denke in ungefähr vier Jahren, wenn man Rekrutierung, Vorbereitung, Studiendauer und die Registrierung bedenkt. Das wäre immer noch schnell und auf alle Fälle relativ preiswert. Wir reden ja über eine chemische Substanz, die geringe Herstellungskosten hat. Deutlich preiswerter als zum Beispiel Antikörper und die Technologie dahinter. Wir glauben, dass wir gut im Rennen sind.

Zur Person

Prof. Dr. Franz Theuring ist am Institut für Pharmakologie der Charité Universitätsmedizin in Berlin tätig. In Zusammenarbeit mit der Firma TauRx forscht er an dem Medikament gegen Alzheimer.

Foto: BIH/Thomas Rafalzyk

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