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Ton, Salz oder Kristallin? Geologische Kriterien und die komplexe Suche nach einem Endlager

Anforderungen an ein Atommüll-Endlager

Deutschland sucht ein Endlager für seinen Atommüll. Denn Altlasten von rund 27.000 Kubikmeter Atommüll brauchen ein neues Endlager, welches Mensch und Umwelt vor dem Ausdringen der radioaktiven Substanzen schützt.

Ein sicheres Endlager für radioaktive Abfälle muss in erster Linie gewährleisten, dass die Radionuklide (radioaktiven Atome) nicht in einer schädlichen Dosis in die Umwelt gelangen”, sagt Prof. Dr. Joachim Stahlmann, Leiter des Instituts für Geomechanik und Geotechnik an der Technischen Universität Braunschweig. Werden die radioaktiven Abfälle nicht eingeschlossen, würden die gefährlichen Substanzen in die Biosphäre, also die Umwelt, gelangen und damit in die Nahrungskette aufgenommen werden”, so Stahlmann. Dies könnte dann zu Spätschäden wie Krebs oder Leukämie führen. Die Dosis an ionisierender (radioaktiver ) Strahlung, die als schädlich gilt, ist im Strahlenschutzgesetz festgelegt und beträgt ein Millisievert im Kalenderjahr. Diesen Wert darf die freiwerdende Strahlung nicht übertreten, da sonst Schäden für Menschen und Tiere drohen.

Verkompliziert wird die aktuelle Suche dadurch, dass radioaktive Abfälle eine sehr hohe Halbwertszeit haben. Ein Austritt der radioaktiven Substanzen kann gegebenenfalls erst nach langer Zeit erfolgen, im schlimmsten Fall aber auch viel eher, je nach den örtlichen Bedingungen”, sagt Prof. Dr. Christoph Clauser, Professor für angewandte Geophysik und geothermische Energie an der RWTH Aachen University.  Deshalb muss laut dem deutschen Atomgesetz eine sichere Lagerung der radioaktiven Substanzen für eine Million Jahre gewährleistet sein. Letztlich bleibe laut Clauser aber nichts für immer von der Außenwelt verschlossen. Der Prozess der Diffusion, womit in diesem Fall ein Austritt der radioaktiven Substanzen gemeint ist, sei nicht aufzuhalten, wenn er auch sehr langsam erfolge. 

„Der Eintritt der radioaktiven Substanzen in die Umwelt sollte dementsprechend erst dann erfolgen, wenn die Radioaktivität ausreichend abgeklungen ist.“

Prof. Dr. Christoph Clauser, Professor für angewandte Geophysik und geothermische Energie an der RWTH Aachen University

Eine möglichst endgültige Lösung braucht es dennoch, denn aktuell sind die Bestände an Atommüll nur in Zwischenlagern deponiert. Laut einer Studie der Diplom-Physikerin Oda Becker im Auftrag des BUND von Anfang September 2020 wird die aktuelle Sicherung und Sicherheit der Zwischenlager teilweise als hoch problematisch eingestuft. Es mangelt an Reparatur- und Inspektionsmöglichkeiten und eine erforderliche Aufbereitung der Behälter, in denen die radioaktiven Substanzen gelagert werden, ist längst überfällig. Zudem sind die Zwischenlager laut der Studie nicht ausreichend gegen potenzielle Terroranschläge geschützt. Auch rechtlich besteht Bedarf, denn die Zwischenlager wurden nur für 40 Jahre freigegeben, weshalb die bestehenden Genehmigungen für die aktuellen Lagerstätten zwischen 2034 und 2047 auslaufen. 

Daher untersucht die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) aktuell, welche Regionen in Deutschland günstige geologische Voraussetzungen für ein Atommüll-Endlager besitzen und somit als mögliche Standorte in Frage kommen. „Allgemein sollten potentielle Regionen für ein Atommüll-Endlager eine ausreichende Entfernung zu geologischen Zonen mit Klüften und Brüchen im Gestein besitzen sowie eine geringe Hebungsrate der Gesteinsschichten und eine niedrige natürliche Erdbebenaktivität“, so Clauser. Zudem müsse der mögliche Kontakt der radioaktiven Substanzen zum Grundwasserspiegel unbedingt vermieden werden, sagt Stahlmann. Es gilt also nachhaltig und mit Weitsicht zu planen:

„Wir müssen einen Standort finden, der sich im Laufe der Zeit weiter günstig für die Atommüll- Endlagerung entwickelt. Dafür muss man bei der Suche alle Veränderungen der Außenwelt mitberücksichtigen.”

Prof. Dr. Joachim Stahlmann, Leiter des Instituts für Geomechanik und Geotechnik an der Technischen Universität Braunschweig

Eine erste Einschätzung, welche Gebiete in Deutschland diese Voraussetzungen erfüllen und daher grundsätzlich als Standort geeignet wären, hat die BGE am 28. September 2020 in einem Zwischenbericht bekannt geben. Laut dem Bericht kommen ca. 194 157 km², und somit ca. 54 % der Landesfläche von Deutschland, für eine Endlagerung grundsätzlich in Frage. Diese Gebiete werden allerdings in der Zukunft noch weiter erforscht und geprüft werden, da Kriterien wie beispielsweise die Besiedelung oder ein Vorkommen von Naturschutzgebieten bei den Untersuchungen bisher noch nicht berücksichtigt wurden.

Um eine möglichst dauerhafte Sicherung von radioaktiven Stoffen zu gewährleisten, müssen Wirtsgesteine bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie sollten sehr hitzebeständig, stabil und belastbar sein und zudem möglichst undurchlässig für Wasser oder Gase. Voraussetzungen, die die Gesteine Ton, Salz und Kristallin erfüllen, weshalb sich die BGE in einem früheren Gutachten auf diese festgelegt hat. Allerdings erfüllt keine der Gesteinsarten alle Voraussetzungen gleichermaßen. 

Die größten Vorteile von Kristallingestein sind eine geringe Wasserlöslichkeit und eine hohe Stabilität und Belastbarkeit. Zudem ist das Gestein sehr hitzebeständig. Ein zentraler Nachteil ist jedoch, dass Kristallingestein in den entsprechenden Regionen häufig stark zerklüftet ist. Salzgestein hingegen besitzt zum einen die positive Eigenschaft der Verformbarkeit ohne dabei zu brechen. Zum anderen besitzt es eine gute Wärmeleitfähigkeit. Allerdings weist Salzgestein eine relativ hohe Wasserlöslichkeit auf. Tonstein wiederum ist kaum wasserlöslich, dafür aber sehr verformbar, was für die Endlagerung einen Vorteil darstellt. Außerdem besitzt es die Fähigkeit, radioaktive Teilchen aufzunehmen und somit ein Austreten der Substanzen in die Umwelt zu verhindern. Allerdings gibt es Joachim Stahlmann zufolge auch bei diesem Material einen entscheidenden Nachteil: Trocknet Tonstein jedoch aus, so kann er Risse bekommen, nimmt der Wassergehalt zu, kann er anfangen aufzuweichen.” Zudem besitzt Tonstein eine vergleichsweise geringe Stabilität und eine schlechte Wärmeleitfähigkeit, was vor allem in Hinblick auf die Lagerung hochradioaktiver Abfälle einen Nachteil darstellt. „Es wird uns leider nicht gelingen, die positiven Eigenschaften aller Wirtsgesteine in einem zu vereinen. Die Frage ist dann eher: Wo finden wir einen bestmöglichen Standort, an dem die Verhältnisse für eine der Gesteinsarten optimal sind”, sagt Stahlmann. 

In welcher Region das sein wird, ist bisher allerdings noch unklar. Sicher ist: Die endgültige Auswahl eines Standortes bis 2031 ist keine leichte Aufgabe.

Die Suche nach einem Endlager ist auf jeden Fall ambitioniert. Aus technischer Sicht würde ich sagen, ist es machbar, vorausgesetzt der Prozess findet gesellschaftliche Unterstützung.“ 

Prof. Dr. Christoph Clauser, Professor für angewandte Geophysik und geothermische Energie an der RWTH Aachen University

Neben dieser Herausforderung beschäftigt sich die BGE außerdem mit der Frage, inwiefern eine rückholbare oder eine nicht-rückholbare Aufbewahrung sinnvoll ist. Bei der rückholbaren Endlagerung wird den zukünftigen Generationen die Möglichkeit offengehalten, die radioaktiven Abfälle gegebenenfalls wieder an die Erdoberfläche zu bringen. „Es könnte zum Beispiel sein, dass man in der Zukunft einen Standort findet, der noch sicherer ist”, so Stahlmann. Durch den Transport von einem in ein anderes Lager entstehe allerdings auch wieder ein gewisses Risiko. Gegen eine rückholbare Endlagerung spricht allerdings die Herausforderung, das Endlager so zu sichern, dass künftige Zivilisationen nicht ungewollt eindringen können. „Es ist auf jeden Fall eine Option, die nachfolgenden Generationen entscheiden zu lassen, was in dem Endlager in Zukunft passieren wird“, sagt Stahlmann. Ob und inwiefern eine rückholbare Endlagerung mit Blick auf die Zukunft allerdings tatsächlich sinnvoll ist, müssen die Zivilgesellschaft und die entsprechenden Bundestagsabgeordneten schlussendlich abwägen.

 

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