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Was wir vom Rasenmäher lernen können

Ein Gespräch mit Dr. habil. Weert Canzler

Was sind die Chancen, was die Risiken, wenn Autos vernetzt und (teil-)autonom werden?

Wenn die vielen privaten Autos, wie wir sie heute kennen, einfach nur vernetzt und auf lange Sicht auch autonom unterwegs sein werden, werden die Unfälle rapide sinken und der Verkehrsfluss wird sicherlich gleichmäßiger sein. Aber das Grundproblem der Dominanz des Privatautos – nämlich der absurde Flächen- und Ressourcenverbrauch durch völlig ineffizient genutzte und vollkommen überdimensionierte Vehikel – wird nicht gelöst. Im Gegenteil: Es besteht das Risiko, dass durch den verbesserten Verkehrsfluss noch mehr private Autos genutzt werden, in denen eine oder vielleicht auch einmal zwei Personen sitzen. Der Ausweg liegt in anderen Nutzungsformen von Autos und in ihrer Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln. Carsharing und autonom fahrende Kleinbusse im öffentlichen Verkehr sind Anwendungen, die aus meiner Sicht verkehrspolitisch und stadtplanerisch sehr interessant sind. Das autonom fahrende Privatauto ist es nicht.

Was sind aus ihrer Sicht die größten Hürden auf dem Weg zu vollständig autonom fahrenden Fahrzeugen in Deutschland?

Überall, nicht nur in Deutschland, ist die Haftungsfrage nicht wirklich beantwortet. Sie ist auch durch das jüngste Bundesgesetz zum automatisierten Fahren nicht beantwortet. Das ist besonders problematisch in einem sogenannten Mischverkehr, also dort, wo nicht nur autonom fahrende Fahrzeuge unterwegs sind. Es wird auf lange Zeit vollständig autonome Fahrzeuge vor allem in geschützten Arealen und auf Sonderspuren geben. Auch das Hacking-Problem ist ungelöst. Es wird entscheidend darauf ankommen, autonome oder von außen gesteuerte Fahrzeuge „hacking-sicher“ zu machen. Gelingt das nicht, ist das ein Show-Stopper.

„Die Darstellung ist momentan sehr privatautofixiert und oft verliebt in die Endstufe des vollautomatisierten Fahrens.“

Wird der Nutzen und die Vision des autonomen Fahrens aus ihrer Sicht ausreichend dargestellt? Geht es tatsächlich um das E-Mail-Schreiben auf der Autobahn, oder doch eher um ein neues Modell der Mobilität, das auch z.B. große Effekte auf die Themen Energie und Stadtentwicklung hat?

Die Darstellung ist momentan sehr privatautofixiert und oft verliebt in die Endstufe des vollautomatisierten Fahrens. Dabei liegen enorme Chancen in den innovativen kollektiven Verkehrsangeboten wie dem Carsharing und neuen Fahrzeugformaten zwischen Taxi und Standardbus und in teilautonomen Funktionen wie z.B. dem „Rufen und Wegschicken“ von Mietautos über das Mobiltelefon oder ein das Mobiltelefon ablösendes persönliches Kommunikations- und Steuerungsgerät. Auch die Möglichkeiten, wenn Elektrofahrzeuge – vom Auto und Roller über den Bus bis zu neuen, teilweise noch gar nicht realisierten Fahrzeugtypen – Elemente eines „Erneuerbaren-Strom-Speichersystems“ werden, werden derzeit nicht erörtert. Für diese Verkehr-Stromnetz-Konvergenz brauchen wir viel mehr Fantasie. Und das werden dann auch in erster Linie Flottenfahrzeuge sein und weniger privat genutzte Fahrzeuge. Denn wer möchte sich denn die Nutzungsautonomie über sein Auto nehmen lassen, nur weil das dem Energiesystem insgesamt nutzt? Eine Ahnung über die Möglichkeiten bekommt man, wenn man dem Rasenmäherroboter zusieht, wie er nach getaner Mäharbeit zurück zu seiner Dockingstation rollt. Das ist übrigens das erste autonom fahrende Gefährt – wenn auch nur in einem eingezäunten Gartenbereich.

Wie ist die grundsätzliche Akzeptanz gegenüber der Technologie des autonomen Fahrens? Wie wird sich die Haltung mit der Zeit verändern? Wodurch kann Sie verändert werden? Welche Rolle spielen Kommunikation und Partizipation bei diesem Prozess?

Wie die Akzeptanz beim vollständig autonomen Fahren sein wird, ist schwer abzuschätzen. Im Mischverkehr würden ernste Unfälle mit vollautonomen Fahrzeugen die grundsätzlich vorhandene Akzeptanz schwer treffen. Auf exklusiven Arealen, etwa auf einem entsprechend regulierten Messegelände oder auf separierten Fahrspuren auf der Autobahn, dürfte die Akzeptanz hingegen keine Problem darstellen. Eine ganz andere Frage ist aber, ob es unsere bisherigen Vorstellungen von Automobilität nicht total durcheinander bringen würde, wenn es tatsächlich zum Normalfall des vollständig autonom agierenden Autos käme. Wo bliebe dann die „Freude am Fahren“ und die Selbstbeweglichkeit, die das Automobil ja immer versprochen hat. Mit diesem Dilemma kämpft die Autoindustrie heute schon, sie verspricht bestmögliche Unterstützung und mehr Sicherheit durch raffinierte Fahrerassistenzsysteme, aber sie betont zugleich, dass der Souverän weiterhin der Fahrer und die Fahrerin hinter dem Steuer ist. Dieser Spagat funktioniert beim vollautomatisierten Fahren nicht mehr.

„Hierzulande muss eine technische Lösung perfekt sein, bevor sie tatsächlich verwirklicht wird.“

Sind wir in einem Dilemma, wenn es einerseits darum geht, die Bevölkerung mitzunehmen und Datenschutz und Privatsphäre zu achten und wir andererseits auf diesem Weg den Anschluss an die USA oder asiatische Länder verlieren?

Datenschutz und Privatsphäre lassen sich doch mit einem einfachen Klick zum Einverständnis mit den gültigen AGBs ganz einfach außer Kraft setzen. Das machen wir mit unseren Smartphones und mit den vielen Apps ständig. Ob man in den USA und Asien beim automatisierten Fahren wirklich weiter ist, kann man bezweifeln. Dort wird allerdings mehr ausprobiert, was die deutsche Ingenieurskultur verbietet. Denn hierzulande muss eine technische Lösung perfekt sein, bevor sie tatsächlich verwirklicht wird. Das hat weniger mit gesellschaftlicher Akzeptanz und einem vorgeblich übertriebenen Datenschutz zu tun, sondern ist der auf Perfektion und inkrementellen Fortschritt geeichten (sic!) deutschen Innovationstradition geschuldet.

Dr. habil Weert Canzler

Der Soziologe und Mobilitätsforscher Dr. habil. Weert Canzler arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin in der Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik. Dort beschäftigt er sich vor allem mit sozialwissenschaftlicher Verkehrs- und Mobilitätsforschung und der technikhistorischen Bedeutung des Autos.

Foto: David Ausserhofer

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