Foto: Sven Owsianowki

Wenn Bienen Politik machen

Über den Umgang mit Pflanzenschutzmitteln und Landwirtschaft in Politik und Wissenschaft

„Warum grün wählen? Weil wir auch die parlamentarische Vertretung der Bienen sind“, twitterte Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Das Bienensterben ist also angekommen im Wahlkampf und damit auch endgültig auf der politischen Agenda. Und die Grünen gehen einen Schritt weiter: Die Bienenrettung und der Kampf gegen Pflanzenschutzmittel sind bei ihnen sogar verbrieftes Ziel im Wahlprogramm.

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Findet der Kampf gegen die Nutzung von Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft aber wissenschaftliche Unterstützung, oder ist dieser bloße populistische Rhetorik? Was weiß man tatsächlich über die Wirkungen von Insektiziden auf Bienen? Und was bedeutet die Debatte für die Landwirtschaft im Allgemeinen?

Trotz teils heftiger und vehement geführter Diskussionen um das tatsächliche Ausmaß des Rückgangs der Insekten, ist die Tatsache, dass es einen Rückgang gibt, zumindest in Deutschland weitestgehend unbestritten. So sagt unter anderem der Verhaltensforscher und Soziobiologe Prof. Dr. Jürgen Tautz von der Universität Würzburg: “In Deutschland gehen die Zahl der Arten und der Individuen dramatisch zurück”. Die Gründe für diesen Rückgang sind dahingegen weniger klar.

Von den Medien und der Politik oft an den Pranger gestellt: Die Landwirtschaft und ihr Pestizidverbrauch. Laut Zahlen des Bundesumweltamts lag der Absatz zwischen 1995 und 2005 bei etwa 35 000 Tonnen jährlich. Seitdem stieg er auf bis zu 49 000 Tonnen im Jahre 2015. Dabei sind neben Herbiziden (Unkrautvernichter) und Fungiziden (Pilzvernichter) auch Insektizide (Insektenvernichter) im Einsatz. „Eine der größten Bedrohungen für die Bienen sind Gifte, die wir in den Monokulturen der Landwirtschaft gegen Schadinsekten einsetzen“, sagt Jürgen Tautz. Zustimmung erhält er von Prof. Dr. Randolf Menzel, Zoologe und Neurobiologe an der Freien Universität Berlin: „Es sind vor allem die Neonicotinoide, die die Bienen so stark belasten.“ Der Einsatz dieser hochwirksamen Insektizide wird auch von der EU-Kommission zunehmend kritisch gesehen. Diese hat im März 2017 ein Verbot für die Anwendung auf Freiflächen vorgeschlagen

Infobox: Neonicotinoide

Neonicotinoide sind neuartige, hochwirksame synthetische Insektizide, die Pflanzen schon in winzigen Konzentrationen vor dem Fraß durch Insektenschädlinge schützen und in der Landwirtschaft und im Gartenbau immer öfter verwendet werden. Innerhalb der EU sind als aktive Substanzen Imidacloprid, Thiamethoxam, Clothianidin, Thiacloprid und Acetamiprid zugelassen. Von Umweltverbänden wird seit längerem ein Verbot sämtlicher Neonicotinoide in der EU gefordert.

Die chemische Strukturformel des Neonicotinoids Thiamethoxam

Mit wissenschaftlichen Studien lässt sich allerdings nicht abschließend belegen, ob Neonicotinoide wirklich der Hauptverursacher des Bienensterbens sind. „Seit Jahren wogt der Streit über die Beteiligung von Neonicotinoiden am Sterben der Honigbiene. Es herrscht Unsicherheit über die Bedeutung […], die Art der Belastungen […] und die Rolle der unterschiedlichen Entwicklungs- und Altersstufen von Bienen, die Schädigungen bewirken können“, so Prof. Dr. Karl Crailsheim vom Institut für Zoologie der Karl-Franzens-Universität Graz gegenüber dem Science Media CenterZwei kürzlich veröffentlichte Studien (Woodcock et al., Tsvetkov et. al.) haben nun die Wirkung von Insektiziden auf Bienen und Hummeln in umfassenden Freiland-Experimenten untersucht. Mit je nach Land unterschiedlichem Ergebnis.

Ein eindeutiger Beweis für einen direkten Zusammenhang zwischen Neonicotinoid und Bienensterben findet sich auch in den Studien nicht. „Wir sehen keine akute Toxizität (Giftigkeit), wenn das Insektizid normal eingesetzt wird“, sagt der Toxikologe Prof. Dr. Daniel Dietrich von der Universität Konstanz und führt weiter aus: „Wenn Sie ein Volk eines guten Imkers mitten in ein Feld hineinstellen, dass zum Beispiel mit den Neonicotinoiden behandelt worden ist, werden Sie keine Probleme haben.“

Also alles nur politische Strategie? „Der jeweilige Nachweis, dass die Neonicotinoide bei Zusammenbrüchen einzelner Völker eine wichtige Rolle spielen, ist schwer zu erbringen. Denn es ist ein anspruchsvolle, sehr teure und an bestimmte Bedingungen gebundene Analytik“, sagt Randolf Menzel. Und auch Karl Crailsheim sagt: „Es reicht nicht die Belastung eines Volkes mit einer einzigen Substanz zu messen. Der Grad der Schädigung hängt von einer Fülle anderer Einflussfaktoren ab.“

„Das ist ein sozialer Aspekt, ein gesellschaftlicher Aspekt und da müssen wir umdenken“

(Prof. Dr. Daniel Dietrich)

Varroa-Milbe, Faulbrut, Virus-Infektionen. Die Liste anderer Einflussfaktoren ist lang. Doch fest steht: Neonicotinoide wirken auf Bienen und andere Insekten negativ, ohne dass diese sofort daran sterben. “Es zeigte sich, dass selbst bei niedrigen Dosen eine Schwächung der Leistungsfähigkeit beobachtet werden kann”, sagt auch Karl Crailsheim.

Daniel Dietrich stimmt seinem Kollegen in diesem Aspekt zu, an der Diskussion um das Bienensterben stört ihn jedoch vor allem ein anderer Aspekt: “Damit Landwirte Profit machen können, müssen sie eine sehr große Fläche anbauen. Und das fördert zwangsläufig große Monokulturen”. Tatsächlich entstammen knapp 95% der deutschen landwirtschaftlichen Produkte von Feldern, die über Jahre hinweg mit einer einzigen Sorte angebaut wurden. Dadurch fehlt der Platz für alternative Blüten und Wildflächen. Futtermangel der Bienen ist oft das Resultat. Der Adressat des Problems: “Der Verbraucher, der möglichst preiswerte Lebensmittel haben möchte”, so Daniel Dietrich “Das ist ein sozialer Aspekt, ein gesellschaftlicher Aspekt und da müssen wir umdenken”. Es gilt also nicht nur, einen Faktor an den Pranger zu stellen, wie es oft der Fall ist, sondern alle Dimensionen der Problematik um das Bienensterben zu beachten.

Würden Bienen also die Grünen wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre? Nun, falls ja, dann sicherlich nicht allein wegen eines Verbots von Neonicotinoiden, denn das würde ihre Probleme vielleicht mindern, lösen würde es sie nicht.

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Aktualisierung

Am 27.4.2018 hat ein EU-Ausschuss für den Verbot von Neonicotinoiden im Freiland gestimmt und damit einem Verbot der drei Insektizide Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam im Freiland-Einsatz in der EU zugestimmt. Statements von wissenschaftlichen Experten und Hintergründe finden sich dazu beim Science Media Center.

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