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Biodiversität – Das war die Debatte

Eine Zusammenfassung

Die Biodiversität sinkt stetig. Inzwischen sind weltweit ungefähr eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Forschende sprechen bereits vom Beginn des sechsten Massenaussterbens. Vom 7. bis zum 19. Dezember treffen sich Regierungsvertreter*innen der ganzen Welt zur UN-Biodiversitätskonferenz (COP15). Ziel ist es, neue globale Vereinbarungen zu treffen, um die biologische Vielfalt zu schützen.

Welche Arten sind besonders gefährdet? Warum sterben so viele Arten aus und was kann der Verlust einer einzelnen Art für ein Ökosystem bedeuten? Diese Fragen zum Biodiversitätsverlust beantwortet das FAQ.

Biodiversitätsverlust betrifft uns Menschen aber auch direkt. Wir sind von Ökosystemleistungen abhängig, die uns gesunde Ökosysteme bereitstellen. Das heißt: Biodiversität ist unsere Existenzgrundlage. Deshalb sind Schutzmaßnahmen auf politischer und individueller Ebene notwendig. Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum zeigt sich optimistisch: „Wenn wir gleichermaßen Schutzgebiete einrichten, landwirtschaftliche Fläche anders gestalten und unseren Konsum ändern, dann können wir das Artensterben bis 2030 stoppen.“

Wir haben Passant*innen in Berlin gefragt, wie Biodiversität geschützt werden kann: Was wünschen sie sich von der Politik und was kann jede*r Einzelne tun? Die meisten waren sich einig, dass politische Maßnahmen noch nicht weit genug gehen und nicht konsequent umgesetzt werden. Einige finden aber auch: Wir sind auf dem richtigen Weg, auch wenn dieser noch lang ist. Als individuelle Schutzmaßnahmen schlagen die Passant*innen vor, den Garten möglichst divers zu gestalten, um vielen Arten Schutz zu bieten.

Mehr über Ursachen und Folgen von Biodiversitätsverlust gibt es im Video von Marina vom Youtube-Kanal “Evolutionary”.

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Die Hauptursache für den Verlust von Biodiversität ist die Landwirtschaft. Immer mehr Flächen werden für den Anbau von Lebensmitteln genutzt; die biologische Vielfalt leidet. Angesichts der steigenden globalen Bevölkerungszahl und der Tatsache, dass der Konsum in westlichen Ländern zunimmt, stehen Forschung und Politik vor der Aufgabe, einerseits die Ernährung einer immer größer werdenden Zahl an Menschen zu sichern und andererseits die Natur zu schützen. Um die landwirtschaftliche Produktion zu steigern, sind wir auf Bestäubung durch Insekten und diverse, fruchtbare Böden angewiesen. Verlieren wir biologische Vielfalt, verlieren wir auch diese Leistungen. Der Verlust von Bestäubern sorgt bereits jetzt für Ernteausfälle im Wert von ungefähr 235 bis 277 Milliarden US-Dollar, so Dr. Florian Zabel, Geograph an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Der Biodiversitätsverlust wirkt sich aber auch auf die menschliche Gesundheit aus. Wir Menschen reduzieren die Lebensräume von Tieren deutlich, weil wir immer mehr Platz einnehmen. „70 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten, die den Menschen betreffen, sind Zoonosen, sie stammen von Tieren und sind auf die drastisch erhöhte Kontaktwahrscheinlichkeit unter den Arten zurückzuführen“, so Prof. Dr. Simone Sommer von der Universität Ulm.

Wir blenden den Schutz der biologischen Vielfalt häufig aus. „Biodiversität ist zu komplex, als dass wir das ähnlich griffig auf den Punkt bringen können“, erklärt Prof. Dr. Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie die fehlende mediale Aufmerksamkeit im Vergleich zur Klimakrise. Und obwohl Klimawandel und Biodiversitätskrise einander bedingen, vergessen wir bei Klimaschutzmaßnahmen allzu oft den Biodiversitätsschutz. Eine Abstimmung von Schutzmaßnahmen kann aber beiden Krisen helfen, denn: „Gesunde Ökosysteme mit einer hohen Biodiversität sind resilienter gegenüber dem Klimawandel“, sagt Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut.

Wir Menschen beeinflussen die Natur in vielerlei Hinsicht. Dadurch verändern sich die Organismen ständig. Daraus können neue Arten sowie Ökosysteme entstehen, sogenannte ökologische Neuartigkeiten: „Neue Organismen und Ökosysteme können eine Bereicherung sein“, so Dr. Tina Heger vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Im Forschungsgebiet „Ecological Novelty“ wird interdisziplinär diskutiert, wie stark der Mensch in die Natur eingreifen darf. Es wäre möglich, Salamander genetisch so zu verändern, dass sie immun gegen einen tödlichen Pilz sind. „Aber wäre das dann noch die Natur, die wir bewahren wollen? Dürfen wir eingreifen? Was betrachten wir als Natur?“, fragt die Biologin.

Darüber hinaus bleibt auch die Frage: Welchen Wert hat Natur für uns? Diese Frage wird kontrovers diskutiert. Prof. Dr. Bernd Hansjürgens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung plädiert dafür, der Natur einen monetären Wert zu geben, um die Kosten des Verlusts von Ökosystemleistungen sichtbar zu machen. Prof. Dr. Andreas Hetzel von der Universität Hildesheim geht ein reiner Geldwert nicht weit genug. Er argumentiert mit einem Eigenwert der Natur, der über einen monetären Wert hinausgeht.

Im Artikel „Brauchen wir einen Einstellungswechsel?“ schließen sich Prof. Dr. Jörg Niewöhner von der Humboldt-Universität zu Berlin und Dr. Thomas Kirchhoff von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft einer ähnlichen Sichtweise an: Biodiversitätsschutz muss vom Menschen ausgehen – aus einer anthropozentrischen Perspektive, die sowohl instrumentelle als auch nicht-instrumentelle Werte von Natur berücksichtigt. Im westlichen Verständnis ist die Natur eine Ressource, die wir frei nutzen können. „Unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaftsform beruhen darauf, der Natur mehr zu entziehen, als sich regenerieren kann. Darauf fußt der Biodiversitätsverlust, den wir heute sehen“, sagt Niewöhner.

Biodiversität wird durch Umweltrecht, Bauplanungsrecht und sogar durch das Verfassungsrecht als Staatsziel garantiert und geschützt. Bisher aber nur als Rechtsobjekt. Das heißt: „Die Natur oder Tiere haben keine eigenen Rechte, die sie selbst oder Vertreter*innen für sie einklagen könnten“, sagt Prof. Dr. Jens Kersten von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er fordert daher eine „ökologische Revolution unserer Verfassungsordnung“, denn die bisherige Rechtsordnung im Bereich Ökologie sei zu statisch und werde den ökologischen Veränderungen nicht gerecht.

Die internationale Wissenschaftsgemeinschaft schaut besonders auf die bevorstehende Biodiversitätskonferenz. Dort wird entschieden, ob internationale Datenbanken mit genetischen Informationen über Pflanzen, Tiere und Mikroben weiterhin frei zugänglich bleiben. Einige Länder des globalen Südens fordern Zugangshürden, da die verfügbaren Daten auf den Ressourcen der Länder basieren. Dr. Jens Freitag, Leiter der Geschäftsstelle des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung argumentiert: „Nur mit einem freien Zugang lassen sich globale Ziele wie die Gesundheitsvorsorge, Ernährungssicherheit und der Schutz der biologischen Vielfalt erreichen.“ Man braucht also eine Lösung, die beides berücksichtigt: sowohl den freien Austausch von Daten für die Wissenschaftsgemeinschaft als auch die Gerechtigkeit gegenüber den Völkern, denen diese Daten zu verdanken sind.

Auch Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung sieht gespannt auf die Konferenz. Auf vorherigen Konferenzen beschlossene Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt wurden aus seiner Sicht nicht so umgesetzt wie erhofft: „Wir haben momentan wahrscheinlich noch viel höhere Aussterberaten als uns bekannt ist“, sagt Settele. Deshalb ist es herausfordernd, Schutzmaßnahmen umzusetzen. Settele betont aber, die Ziele der 15. Biodiversitätskonferenz gingen in die richtige Richtung. Auf der höchsten politischen Ebene fehle es jedoch immer noch an Engagement.

Alle Expert*innen sind sich einig: Biodiversität ist existenziell und schützenswert. Anders als beim Klimawandel, lassen sich beim Biodiversitätsschutz keine Kipppunkte ausmachen. Mit dem stärkeren Schutz der biologischen Vielfalt sollte schnell begonnen werden.

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