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Das sechste Massenaussterben

Warum Biodiversität wichtig für uns ist

Weltweit sind ungefähr eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, so ein Bericht des Weltbiodiversitätsrats (IPBES). Wissenschaftler*innen sprechen bereits vom Beginn des sechsten Massenaussterbens. In der Diskussion ist der Biodiversitätsverlust aber deutlich weniger präsent als die Klimakrise. Der „Biodiversity Day“ am 16. November auf der Weltklimakonferenz in Ägypten zeigt jedoch, dass Klima- und Biodiversitätskrise zusammengehören. „Die Ziele des Übereinkommens von Paris erreichen wir nur mit gesunden Ökosystemen und ihrem Beitrag zum Klimaschutz“, erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke dort in ihrer Rede.

Sowohl der Klimawandel als auch der Rückgang biologischer Vielfalt haben hoch problematische Auswirkungen für uns Menschen. Darum treffen sich vom 7. bis zum 19. Dezember erneut Regierungsvertreter*innen aus der ganzen Welt zu globalen Biodiversitätskonferenz (COP15). Ziel ist es, neue, weltweite Vereinbarungen zu treffen, um die Biodiversität zu schützen.

Biodiversität ist existenziell

Der Begriff „Biodiversität“ bezeichnet die Vielfalt aller lebenden Organismen, die Vielfalt innerhalb und zwischen Arten sowie die Vielfalt der Ökosysteme. Biodiversitätsverlust beschreibt den Rückgang dieser Vielfalt und die Zerstörung von Ökosystemen.

Ein bekanntes Beispiel für den Verlust von biologischer Vielfalt ist das Insektensterben. Die „Krefelder Studie“ hat gezeigt, dass die Biomasse von fliegenden Insekten innerhalb von 27 Jahren um 75 Prozent gesunken ist. Aber auch die Fischbestände sinken stetig: 2015 galt ein Drittel der Meeresfischbestände als überfischt. Ein weniger bekannter, aber ebenso besorgniserregender Verlust ist unter der Erde zu finden: Mikroorganismen wie Pilze und Bakterien wandeln tierische und pflanzliche Biomasse um und versorgen den Boden so mit Nährstoffen. Wenn sie weniger werden, sind Böden weniger fruchtbar – sowohl für andere Organismen als auch für Nahrungsmittel.

„Biodiversität ist unsere Existenzgrundlage.“ 

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums

„Die Luft, die wir atmen, unsere Nahrungsmittel und unser Trinkwasser kommen aus der Natur“, verdeutlicht Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums, die Relevanz von Vielfalt für uns Menschen. Sie hält diesen Negativtrend für problematisch: „Biodiversität ist unsere Existenzgrundlage.“

Biodiversität ist deshalb existenziell, weil die Natur uns Menschen kostenlos Güter bereitstellt – sogenannte Ökosystemleistungen. Das können materielle Leistungen, zum Beispiel Trinkwasser, kulturelle Leistungen wie Erholungsmöglichkeiten und regulierende Leistungen, zum Beispiel Kohlenstoffspeicherung oder Klimaregulierung, sein.

Die Relevanz von biologischer Vielfalt ist zuletzt auch im Zusammenhang mit der Coronapandemie besonders deutlich geworden. Jun-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger, Leiterin der Forschungsgruppe LANUSYNCON am Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn und nationale Expertin für den IPBES, erklärt den Zusammenhang zwischen Biodiversitätsverlust und Zoonosen: „Wenn die Menschen ihre Lebensräume weiter ausbreiten, steigt die Interaktion mit wildlebenden Tieren weiter an. Das kann zur Übertragung von Krankheiten und somit zu mehr Pandemien führen.“

Ursachen und Maßnahmen

Der Weltbiodiversitätsrat hat fünf Hauptursachen für den Biodiversitätsverlust identifiziert: Die größten Ursachen für den Rückgang biologischer Vielfalt sind die Abholzung von Wäldern und intensive Landnutzung für die menschliche Ernährungssicherung sowie die Ausbeutung von Arten, beispielsweise durch Überfischung. Darüber hinaus sind aber auch der Klimawandel, Umweltverschmutzung und das Einwandern invasiver Arten Haupttreiber für Biodiversitätsverlust.

Insbesondere die Landnutzung und Ausbeutung von Arten sorgt dafür, dass sich Ökosysteme verändern. Böhning-Gaese erklärt, dass gerade diejenigen Tiere von Menschen gejagt würden, die Samen von bestimmten Bäumen über weite Distanzen tragen und damit dazu beitragen, diese zu vermehren. „Verschwinden diese großen Samenausbreiter, wachsen vermehrt Bäume, die nicht darauf angewiesen sind. Diese sind in der Regel deutlich kleiner, haben weniger dichtes Holz und können damit weniger Kohlenstoff speichern.“ Dies wirke sich negativ auf den Klimawandel aus, so die Biologin. „Auch der Verlust weniger Arten kann große Effekte haben. Aber das ist ein schleichender Prozess, bei dem meist keine genauen Kipppunkte ausgemacht werden können.“

„Durch den internationalen Handel spüren wir die direkten Auswirkungen unseres Konsumverhaltens nicht oder können sie leichter verdrängen.“ 

Jun-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger, Leiterin der Forschungsgruppe LANUSYNCON am Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn

Biodiversität würde oftmals als „nice to have“ wahrgenommen, sagt Biologin Biber-Freudenberger. „Es muss aber deutlich werden, dass es ohne biologische Vielfalt keine funktionierende Gesellschaft und auch keine funktionierende Ökonomie geben wird“, betont die Wissenschaftlerin.

Schutzmaßnahmen müssen sowohl auf politischer als auch auf individueller Ebene ansetzen. Das wird jedoch durch eine Entkopplung von Handeln und Konsequenzen erschwert, erklärt Biber-Freudenberger: „Durch den internationalen Handel spüren wir die direkten Auswirkungen unseres Konsumverhaltens nicht oder können sie leichter verdrängen.“

Gerade unser Konsum müsse sich ändern, fordern beide Wissenschaftlerinnen: Es sollte weniger Fleisch gegessen werden, da gerade für die Tierhaltung und den Anbau von Tierfutter viel Fläche beansprucht werde. Von dieser Fläche würden dann natürliche Lebensräume wie der Regenwald verdrängt. Aber auch im kleinen Rahmen ist es möglich, Flächen und Schutzräume für unterschiedliche Arten zu schaffen. Zum Beispiel bei der Gestaltung des eigenen Gartens, indem unterschiedliche Pflanzen angebaut werden.

Ebenso notwendig seien auch die politischen Maßnahmen. Beispielsweise sollen laut EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030 auf 30 Prozent der Fläche in Europa Schutzgebiete entstehen. Die EU-Mitgliedsstaaten möchten sich auf der Biodiversitätskonferenz im Dezember dafür einsetzen, dass dieses 30-mal-30-Ziel weltweit realisiert wird.

„Wenn wir gleichermaßen Schutzgebiete einrichten, landwirtschaftliche Fläche anders gestalten und unseren Konsum ändern, dann können wir das Artensterben bis 2030 stoppen.“

Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums

Beide Wissenschaftlerinnen appellieren sowohl an die Politik als auch an Bürger*innen, die Biodiversitätskrise nicht hintan zu stellen, sondern diese zusammen mit der Klimakrise zu betrachten. „Biodiversitätsschutz findet nicht nur in Schutzgebieten statt, sondern sollte auch durch die Gesellschaft und in allen Sektoren wie zum Beispiel in der Land- oder Forstwirtschaft oder auch beim Bau von Infrastruktur eine wichtige Rolle spielen“, so Biber-Freudenberger. Beim Erfolg von Maßnahmen zeigt sich Böhning-Gaese jedoch optimistisch: „Wenn wir gleichermaßen Schutzgebiete einrichten, landwirtschaftliche Fläche anders gestalten und unseren Konsum ändern, dann können wir das Artensterben bis 2030 stoppen.“

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