Fledermaus hängt kopfüber im Baum.
Foto: Nils Bouillard / Unsplash

„Gesundheit für den Menschen gibt es nur, wenn Umwelt und Tierwelt gesund sind“

Prof. Dr. Simone Sommer über den Zusammenhang von Artensterben und Zoonosen

Was versteht man unter Zoonosen? 

Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Und zwar in beide Richtungen. Beim Coronavirus haben wir einen Übersprung vom Tier auf den Menschen kennengelernt. Es gibt aber ebenso Krankheitserreger, die von Menschen auf Tiere übertragen werden, beispielsweise auf Gorillas und andere Menschenaffen. In beiden Fällen spielt der Eingriff des Menschen in die Natur eine große Rolle. Wir dringen zu weit in den natürlichen Lebensraum vieler Arten vor. Das hat zum einen den Verlust von Arten zur Folge und zum anderen werden – beispielsweise durch Waldrodungen – Übertragungswege geschaffen, auf die weder Menschen noch Tiere angepasst sind.

„Wir bringen Arten miteinander in Kontakt, die sich unter natürlichen Bedingungen niemals begegnet wären.“

Wie erfolgen diese Übertragungen? 

Durch Umweltveränderungen und insbesondere durch Entwaldung kommt es zu Veränderungen der Artengemeinschaften. Wir bringen Arten miteinander in Kontakt, die sich unter natürlichen Bedingungen niemals begegnet wären. So gelangen beispielsweise infizierte Flughunde in Gebiete, in denen sie Kontakte zu Vieh oder anderen domestizierten Tieren haben und übertragen Krankheitserreger, die für sie selbst ungefährlich sind, für den Menschen oder bestimmte Nutztiere aber nicht.

Weil der Flughund das bessere Immunsystem hat? 

Er hat wie alle anderen Wildtiere auch ein auf sein Ökosystem angepasstes Immunsystem. In einem intakten Ökosystem lebt eine natürlich zusammengesetzte Artengemeinschaft mit einer hohen Vielfalt an Arten und Mikroben. Krankheitserreger wie Viren, Bakterien oder Pilze und deren Wirte haben sich über Jahrtausende einander angepasst. Die Wirtstiere haben deshalb ein abwehrbereites Immunsystem und können mit den Krankheitserregern umgehen.

Sie erforschen zurzeit in Panama, welche Auswirkungen die Störung von Ökosystemen auf die Gesundheit von einzelnen Wildtieren hat. Wie gehen Sie dabei vor? 

Wir untersuchen die Gesundheit und die Populationsentwicklung von Nagern, Beuteltieren und Fledermäusen in vier verschiedenen Lebensräumen: Einmal im unberührten Regenwald, ihrem eigentlichen Zuhause. Dann auf Inseln im Panamakanal, wo die Fläche des Lebensraumes zwar begrenzt ist, es aber keinen Zugang zu Menschen, Nutztieren und Haustieren gibt. Drittens in Waldfragmenten in der Agrarlandschaft – also Wäldern, die von Nutz- und Haustieren umgeben sind. Und zum Vierten schauen wir die Entwicklung dieser Arten in einem kommerzialisierten Wald, in Teakholzplantagen, an. Wir wollen wissen, wie sich die Gesundheit der Tiere in diesen unterschiedlich stark gestörten Ökosystemen unterscheidet.

Gibt es bereits ein Zwischenergebnis?

Die Artengemeinschaften verändern sich, sensitive Arten verschwinden. Mit zunehmender Störung reduziert sich die Vielfalt. Wir konnten zeigen, dass Umweltzerstörung die Infektionswahrscheinlichkeit von Wildtieren mit Krankheiten fördert. Hinweise darauf liefern Vireninfektionen, aber auch Darmbakterien. Wie beim Menschen steuert das Darmmikrobiom der Nager und Fledermäuse ihren Stoffwechsel, ihre Vitaminaufnahme und ist wichtig für ihr Wohlbefinden und ihre Immunabwehr. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass auch Rückinfektionen auftreten können und diese Erreger potenziell auch Menschen gefährden können.

Wie kommt es zum Verlust einzelner Arten? 

Das Aussterben läuft nach bestimmten Regeln ab: Zuerst gehen die Populationszahlen jener Arten zurück, die wir als Spezialisten bezeichnen. Sie reagieren besonders sensitiv auf Störungen und können sich den veränderten Umweltbedingungen nicht anpassen. Gleichzeitig besetzen so genannte Generalisten die freiwerdenden ökologischen Nischen. Generalisten sind resilienter, anpassungsfähiger, können sich dadurch stark vermehren und in den gestörten Lebensräumen mit Nutz-, Haustieren und dem Menschen in Kontakt kommen. In Deutschland gehören Wildschweine zu diesen Gewinnern von Störungen. Dabei können sie Pathogene, für die sie selber eine angepasste Immunabwehr haben, auf andere Arten übertragen, die für uns Menschen, aber auch für andere Arten gefährlich werden können.

„Etwa 70 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten, die den Menschen betreffen, sind Zoonosen, sie stammen von Tieren und sind auf die drastisch erhöhte Kontaktwahrscheinlichkeit unter den Arten zurück zu führen.“

Statement zu den Ergebnissen der Weltbiodiversitätskonferenz COP15

„Nach dem Scheitern der Klimakonferenz vor wenigen Wochen im ägyptischen Sharm El Sheikh war ich sehr besorgt, dass der Weltnaturschutzkonferenz im kanadischen Montreal das gleiche Schicksal droht. Umso erleichterter bin ich, dass wir dem 30/30-Ziel, 30 Prozent der Meeres- und der Landesfläche unter Schutz zu stellen einen ersten Schritt nähergekommen sind. Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität tragen auch zum Erhalt ihrer Lebensräume bei; Entwaldung ist einer der Haupttreiber für die Entstehung von Zoonosen. Gleichzeitig sind Wälder die größten CO2-Speicher, so dass mit dem 30/30-Ziel die Weiche nicht nur für den Schutz der dramatisch abnehmenden Artenvielfalt, sondern auch für den Klimaschutz gestellt wurden. Die große Herausforderung ist nun die Umsetzung auf nationaler Ebene. Das wird nicht einfach sein, zumal viele Formulierungen nicht quantitativ messbar sind, und ein Nicht-Erreichen nationaler Ziele keine Sanktionen zur Folge haben.“

Prof. Dr. Simone Sommer, Direktorin des Instituts für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik an der Universität Ulm

Foto: privat

Hinweise auf Zoonosen wurden allerdings schon bei ägyptischen Mumien nachgewiesen. Was lässt die Entwicklung so dramatisch erscheinen? 

Die Häufigkeit und Ausbreitung von Zoonosen nimmt stark zu. Es gibt drei Haupttreiber: 31 Prozent der Zoonosen gehen unmittelbar auf Entwaldung zurück. Die Verbreitung von Borreliose oder Zikavirus beispielsweise sind eine Folge von Waldrodungen. Der zweite Treiber ist der Bushmeat-Markt. So wurden Ebola und SARS durch den Handel und den Verzehr von Wildfleisch auf den Menschen übertragen. Drittens ist die Massentierhaltung ein wesentlicher Treiber für die Ausbreitung von Zoonosen. Sie spielte bei Vogelgrippe und Schweinegrippe eine entscheidende Rolle. Etwa 70 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten, die den Menschen betreffen, sind Zoonosen, sie stammen von Tieren und sind auf die drastisch erhöhte Kontaktwahrscheinlichkeit unter den Arten zurück zu führen.

Welche Konsequenzen müssen gezogen werden?  

Um beim Beispiel tropischer Wälder zu bleiben: Hier wäre eine Aufforstung wichtig, die Pufferzonen zwischen noch intakten Ökosystemen und wirtschaftlich genutzter Fläche müssen gestärkt werden. Ferner müssen wir uns fragen, warum so viel wichtiger Wald verschwindet. In Südamerika vorwiegend für die Produktion von Rindfleisch und für den Sojaanbau. 80 Prozent des angebauten Sojas gehen in die Tierfütterung. Auch in Deutschland werden 80 Prozent des Getreides für die Futtermittelproduktion verwendet. Wir brauchen entwaldungsfreie Handelsketten. Und ein Verständnis davon, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt eng miteinander verknüpft ist. Gesundheit für den Menschen gibt es nur, wenn auch Umwelt und Tierwelt gesund sind.

 

Zur Person

Die Biologin Prof. Dr. Simone Sommer ist Expertin für Zoonosen und Direktorin des Instituts für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik an der Universität Ulm. Forschungsaufenthalte führten sie u.a. nach Madagaskar, Namibia, Südafrika, in die USA, nach Brasilien und zuletzt vor allem nach Panama.

Foto: privat

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