„Wird bei einer kontrollierten Abgabe von Cannabis risikoärmer konsumiert?”

Ein Gespräch mit Dr. Jens Kalke

Die Berliner Regierungsparteien haben sich im Koalitionsvertrag (S.171) darauf verständigt, ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu erarbeiten. Was sind die Gründe dafür?

In Deutschland gibt es seit Jahren eine wissenschaftliche Diskussion darüber, wie sich das Cannabisverbot auf die Konsumenten auswirkt. Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, dass durch das Verbot selbst weniger Menschen Cannabis konsumieren. Andere argumentieren im Gegensatz dazu, dass das gesetzliche Verbot Menschen nicht davon abhält, Cannabis zu konsumieren und sie zudem noch Produkte zu sich nehmen, über deren Inhaltsstoffe sie teilweise nicht richtig informiert sind. Durch das Verbot sind sie sogar Gefahren ausgesetzt, weil sie nicht wissen, wie viel THC das Produkt enthält und ob es mit Streckmitteln oder Pestiziden belastet ist. Mit dem Modellversuch soll die Diskussion eine empirische Grundlage erhalten, um festzustellen, was wirklich passiert. Die zentrale Frage ist also: Wird bei einer kontrollierten Abgabe von Cannabis risikoärmer konsumiert? Mit den Erkenntnissen könnte eine nach wie vor ideologisierte Diskussion versachlicht werden.

„Wir haben schon eine Befragung unter Konsumierenden durchgeführt, um herauszufinden, ob die potentielle Zielgruppe überhaupt bereit wäre, sich an einem solchen wissenschaftlichen Modellversuch zu beteiligen.”

Sie sind nun damit beauftragt, die möglichen Rahmenbedingungen für einen solchen Modellversuch zu entwickeln. Wie gehen Sie dabei vor?

Wir sind ein interdisziplinäres Team aus Psychologen, Sozialwissenschaftlern und Rechtswissenschaftlern. Mit einem interdisziplinären Ansatz versuchen wir die relevanten Grundlagen zu erarbeiten. Dabei setzen wir insbesondere empirische Methoden ein und versuchen den momentanen Kenntnisstand erst einmal zu erfassen. Wir sprechen zudem mit den potenziellen Akteuren in Berlin, die an einem solchen Versuch beteiligt wären. Auch mit potentiellen Teilnehmern standen wir bereits in Kontakt.

Wer käme denn überhaupt als Teilnehmer einer solchen Studie in Betracht?

Das wären volljährige Cannabiskonsumenten mit Wohnsitz in der Modellregion. Wir haben schon eine Befragung unter Konsumierenden durchgeführt, um herauszufinden, ob die potentielle Zielgruppe überhaupt bereit wäre, sich an einem solchen wissenschaftlichen Modellversuch zu beteiligen. Demnach kann sich das ein erheblicher Teil der Befragten sehr gut vorstellen. Bei der Bewerbung der Umfrage haben uns verschiedene Organisationen unterstützt, angefangen von Suchtpräventionseinrichtungen über ambulante Einrichtungen bis hin zum Hanfverband. Wir hatten hier eine sehr gute Resonanz. Um die Ergebnisse einordnen zu können, müsste es wohl auch eine Kontrollgruppe geben, die außerhalb der Modellregion untersucht wird.

„Einen solchen Versuch hat es in Deutschland noch nicht gegeben.”

Wie müsste denn ein solcher Modellversuch angelegt werden, damit man verwertbare Ergebnisse bekommt?

Die zentrale Fragestellung solch eines Modellversuchs ist, ob eine kontrollierte Abgabe von Cannabis zu einem risikoärmeren Konsum führt – und zwar in Bezug auf die Konsumfrequenz und -form sowie in Bezug auf die Produkte, die dort konsumiert werden. Es müsste im Versuch entsprechend eine Auswahl an unterschiedlichen Produkten geben sowie Informationen über die Produkte und Tipps für einen kontrollierten Konsum. Auch die Prävention müsste also an dem Modellversuch beteiligt werden. Im Einzelnen wären noch die Konsum- und Abgaberegelungen sowie die Preise und die Frage nach der Beschaffung der Produkte zu klären.

Welche praktischen Schwierigkeiten könnten bei der Durchführung des Modellversuchs auftreten?

Die Bereitschaft der Konsumierenden, an einem solchen Modellversuch teilzunehmen, ist offensichtlich vorhanden, das hat zumindest unsere Befragung ergeben. Wir sehen in der konzeptionellen Ausformulierung eines solchen Modellversuches an sich kein Problem. Bei einigen Fragen, wie zum Beispiel die Problematik, wie sich jemand ausweist, wenn er mit den legalen Cannabisprodukten unterwegs ist und in eine Polizeikontrolle kommt, besteht noch Klärungsbedarf. Der Modellversuch müsste so aufgebaut sein, dass er zu jeder Zeit abgebrochen werden könnte, sollten zu große Probleme auftauchen. Einen solchen Versuch hat es in Deutschland noch nicht gegeben, aufgrund der internationalen Erfahrung sehe ich aber keinen Grund, warum man einen solchen Modellversuch nicht auch hier machen sollte.

 

Zur Person

Dr. Jens Kalke ist Politologe und gehört zur wissenschaftlichen Leitung des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg. Die Berliner Regierung hat das ZIS damit beauftragt, ein Konzept für ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis zu erstellen.

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