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„Die Bewertung von Cannabis ist in Deutschland außergewöhnlich restriktiv“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Knill

Sie beschäftigen sich mit Moralpolitik. Was genau darf man sich darunter vorstellen?

Moralpolitik bezeichnet Politikbereiche, bei denen es weniger um materielle Interessenkonflikte, als um fundamentale und grundlegende Überzeugungen und Wertvorstellungen geht. Das führt dazu, dass im Bereich der Moralpolitik politische Entscheidung vor allem unter dem Aspekt der Legitimität thematisiert werden, während bei allen anderen Bereichen der Diskurs durch die Frage nach der effektiven Lösung eines Problems geleitet wird. Im Bereich der Moralpolitik ist die Problemlösung als solche aber extrem politisiert und es ist oftmals nicht möglich einen Kompromiss zu finden. Es geht viel stärker darum, ob man für oder gegen etwas ist. Und um die Frage, was man als gesellschaftlich legitim erachtet.

Welche Felder oder Bereiche zählen denn dazu?

Es gibt einige Felder, die sehr stark der Moralpolitik zuzuordnen sind. Dazu zählen die Diskussion um Abtreibung oder Sterbehilfe, die Liberalisierung von Pornographie, der Umgang mit Homosexualität und die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Ehen: All diesen Themen liegen klare Wertekonflikte zu Grunde. Doch auch Suchtpolitik in Bezug auf Drogen und Glücksspiel oder ganz konkret der Umgang mit Cannabis wird in Deutschland „latent moralpolitisch” behandelt, auch wenn es zu dem starken moralischen Framing auch gesundheitspolitische und ökonomische Frames gibt.

„Es scheint in Deutschland eine Werthaltung verankert zu sein, die per se ablehnend gegenüber Suchtmitteln wie Cannabis ist.“

Warum ist die Frage der Cannabisregulierung so moralisch aufgeladen?

Die Frage ist aus der Perspektive der Moralpolitik nicht so klar zu beantworten. Es fällt aber auf, dass die Bewertung von Cannabis in Deutschland im internationalen und europäischen Vergleich außergewöhnlich restriktiv ist. Es scheint in Deutschland eine Werthaltung verankert zu sein, die per se ablehnend gegenüber Suchtmitteln wie Cannabis ist – interessanterweise unterscheidet sich dieses moralische Framing von Cannabis damit stark von dem anderer Suchtmittel, wie Alkohol, Zigaretten oder abhängig machenden Medikamenten.

Was sind die Gründe dafür?

Möglicherweise hat das mit dem Fehlen eines Akteurs mit einem starken ökonomischen Interesse auf dem Markt zu  tun, denn mit entsprechenden Akteuren gäbe es wahrscheinlich eine wertneutralere Diskussion über Cannabis. In der Pharma-, Tabak-, oder Glücksspielbranche haben wir im Gegensatz zu Cannabis sehr einflussreiche Akteure, die versuchen, zugunsten einer weniger restriktiven Regulierung auf die Politik einzuwirken. In Bezug auf Cannabis fehlt das aber auch aufgrund der sehr strikten Reglementierung in der Produktion. Eventuell entwickelt sich das aber durch ein immer stärker werdendes medizinisches Framing von Cannabis.

„Offenkundig scheint das parteipolitische Risiko, Wählerstimmen zu verlieren, größer eingeschätzt zu werden, als der mögliche Gewinn, wenn man prominent für die Liberalisierung kämpft.“

Andere Staaten haben in der Vergangenheit die Liberalisierung von Cannabis vorangetrieben. Wirkt sich dies auch auf Deutschland aus?

Bislang kann man noch keine Effekte feststellen. Über die ganzen letzten Jahre konnten wir eher eine Stagnation der Regulierung in Deutschland beobachten, nur bezogen auf die Sanktionierung und Kriminalisierung konnte man eine leichte Veränderung feststellen. Aus der Diffusionsforschung wissen wir aber, dass die Liberalisierung mittelfristig auch Auswirkungen auf Deutschland haben könnte: Denn je mehr Staaten eine liberale Regelung übernehmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Staaten mit verhältnismäßig restriktiven Regelungen nachziehen und auf die Liberalisierungsprozesse aufspringen.

Obwohl einige Parteien sich schon seit längerem für eine Liberalisierung von Cannabis aussprechen, ist das Thema aber immer noch nicht in der aktuellen Politik angekommen. Woran liegt das?

Das Thema Cannabis scheint schlicht kein Thema zu sein, zu dem sich ein parteipolitischer Wettbewerb um die besseren Argumente abspielt – auch wenn es die Konfliktlinien zwischen den Parteien durchaus gibt. Es ist ja immer die Frage, welche politischen Themen sich tatsächlich auf der Agenda behaupten können und da scheint das Thema nicht so prioritär zu sein, als das es zu ernsthaften parteipolitischen Debatten führt. Offenkundig scheint das parteipolitische Risiko, Wählerstimmen zu verlieren, größer eingeschätzt zu werden, als der mögliche Gewinn, wenn man prominent für die Liberalisierung kämpft. Eventuell könnte sich das aber bei einem möglichen Regierungswechsel auch ganz schnell ändern.

„Je weniger wertgeladen ein Diskurs ist, desto einfacher wäre eine deliberative Politik im Sinne einer möglichst guten Problemlösung.“

Wäre es denn wünschenswert, wenn das Thema Cannabis weniger moralpolitisch behandelt werden würde?

Die Frage, ob Cannabis in Deutschland liberalisiert werden sollte, stellt sich aus der moralpolitischen Perspektive nicht. Es lässt sich aber schon sagen: Je weniger wertgeladen ein Diskurs ist, desto einfacher wäre eine deliberative Politik im Sinne einer möglichst guten Problemlösung. Eine Veränderung des status quo ist in Anbetracht der aktuellen Diskussion eher dann zu erwarten, wenn die moralischen Argumente in der Diskussion hinter andere Argumente zurücktreten würden.

Kann auch die Gesellschaft den Diskurs verändern? Immerhin kommen Konsumenten im Alltag immer häufiger mit Produkten, die CBD enthalten, in Kontakt.

Wir beobachten, dass ein gesellschaftlicher Wertewandel und eine Modernisierung oftmals zentraler Antrieb für einen moralpolitischen Wandel sind. Das gilt erst mal allgemein für viele der angesprochenen Politikfelder. Nach meiner Einschätzung haben wir in Deutschland sogar einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens Cannabis weniger restriktiv zu regulieren. Die Frage ist aber, wie man das Thema als Gesellschaft an die Politik artikuliert und ob es gelingt, es auf die politische Agenda zu setzen.

Welche Rolle hat die Wissenschaft bei moralpolitischen Themen? Könnte nicht gerade durch Studienergebnisse eine Entemotionalisierung der Diskussion herbeigeführt werden?

Das ist eine extrem spannende Frage. Denn die Idealvorstellung ist eine evidenzbasierte Politik – und da könnten wissenschaftliche Erkenntnisse enorm viel zu beitragen. Das Problem ist, dass Evidenz oftmals gar nicht so eindeutig ist und die Erkenntnisse sehr komplex sind. Demgegenüber möchte die Politik stets klare, leicht verständliche Botschaften haben. Das kann die Wissenschaft jedoch nur in den seltensten Fällen bieten. Für den Expertendiskurs liefert die Wissenschaft daher sicherlich wichtige Grundlagen, im allgemeinen Diskurs werden wissenschaftliche Erkenntnisse aber regelmäßig instrumentalisiert. Daher können wissenschaftliche Erkenntnisse zwar eine Mobilisierungsfunktion haben, aber die gesellschaftlichen Positionen verändert sie nur in den seltensten Fällen.

 

Zur Person

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Knill leitet den Lehrstuhl „Empirische Theorien der Politik” an der Ludwig-Maximilians-Universität München. An dem dort ansässigen Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft beschäftigt er sich vor allem mit Fragen der Moralpolitik in Deutschland.

 

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