“Wir Ärzte sollen ein Medikament verordnen und wissen nicht, ob das Produkt wirksam und sicher ist”

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Frank Petzke

Seit rund zwei Jahren können Ärzte in Deutschland Cannabisblüten und Extrakte aus Cannabis verschreiben. Bereits zuvor gab es zugelassene cannabisbasierte Arzneimittel auf dem Markt. Was genau hat sich nun vor zwei Jahren geändert?

Arzneimittel sind klar definierte Substanzen, das heißt für die Herstellung werden bestimmte Extrakte verwendet, die einem klaren Herstellungsprozess unterzogen sind. In diesem Sinne ist seit den 90er Jahren ein synthetisches Cannabinoid (Dronabinol) zwar in Deutschland erhältlich, konnte aber nicht auf Kosten der Krankenkasse verordnet werden. Vor der Gesetzesänderung gab es zwei verschreibbare cannabisbasierte Arzneimittel in Deutschland auf dem Markt. Eins ist ausschließlich für die Behandlung bei Schmerzen und Spastik bei Multipler Sklerose zugelassen, das andere nur für die Behandlung von Übelkeit bei einer Chemotherapie. Für eine Behandlung mit Cannabisblüten konnte bei der Bundesopiumstelle eine individuelle Ausnahmeerlaubnis beantragt werden, was bis 2015 etwa 1200 Patienten nutzten. Allerdings gab es hier auch keine Kostenübernhame durch die Krankenkassen.

Neu ist seit März 2017 nun, dass die zugelassenen Arzneimittel auch zur Behandlung von Krankheiten angewendet werden dürfen, für die sie keine Zulassung haben. Darüber hinaus ist nun auch die Verschreibung (mit Kostenübernahme durch die Krankenkassen) von Dronabinol, verschiedenen Blüten und Blütenextrakten möglich, wovon es ja eine unendliche Vielfalt gibt. Das ist das Spektrum, in dem wir uns bewegen.

„Das Gesetz gibt eigentlich keinen klaren Rahmen vor, wo Cannabis eingesetzt werden soll“

Wo kann Cannabis sinnvoll in der Therapie eingesetzt werden?

Nach der neuen Gesetzgebung kann Cannabis bei jeder schwerwiegenden Krankheit eingesetzt werden, wenn eine Aussicht auf Verbesserung der Symptome nicht ausgeschlossen werden kann und alternative Therapien nicht vorhanden, bzw. nicht sinnvoll oder geeignet sind. Was genau eine schwerwiegende Krankheit ist, wird allerdings nicht weiter definiert. Das heißt, das Gesetz gibt eigentlich keinen klaren Rahmen vor, wo Cannabis eingesetzt werden soll. Die Intention des Gesetzgebers war es wohl, insbesondere schwerkranken Patienten eine mögliche symptomatische Linderung nicht vorzuenthalten. Und das ist ein Anliegen was von Seiten vieler Schmerzmediziner und ihrer Fachgesellschaften unterstützt wird.

Die Schwierigkeit ist allerdings, dass wir jetzt ein sehr offenes Gesetz haben. Wenn man sich anschaut, in welchen Fällen Cannabis seit März 2017 verschrieben wurde, kann man sehen, das fast zwei Drittel der Empfänger Schmerzpatienten waren, alle anderen Anwendungen sind meist Einzelfälle. Das geht vom Tourette-Syndrom über Angststörungen bis zu Übelkeit und starkem Gewichtsverlust.

„Es ist wichtig, besser zu verstehen, bei welchen Patienten medizinisches Cannabis tatsächlich anschlägt und Wirkung zeigt.“

Was weiß man über die medizinische Wirksamkeit von Cannabis?

Die Studien zeigen, dass die Evidenz für die Wirksamkeit von Cannabis gering ist, wobei gerade für Cannabisbüten und -Extrakte kaum Untersuchungen vorliegen. Das macht die Dynamik in der Diskussion aus, denn das Gesetz gilt unabhängig von der Aussage zur Evidenz. Im Gegensatz zu vielen anderen herkömmlichen Medikamenten, gibt es für mich als Arzt nur wenig Informationen über die Wirkung und Sicherheit von medizinischem Cannabis. Das heißt, wir Ärzte sollen ein Medikament, eine Blüte, oder ein Extrakt verordnen und wissen nicht, ob das Produkt wirksam und insbesondere bei längerer Gabe für den Patienten sicher ist. Da übernehme ich als Arzt eine besonders hohe Verantwortung. Nach meiner Erfahrung kann die Anwendung im Schmerzbereich in Einzelfällen sehr sinnvoll und hilfreich sein. Das ist auch der Grund, warum ich die Option auf jeden Fall für wichtig und richtig erachte. Aber für die meisten der Patienten hat medizinisches Cannabis wahrscheinlich wenig bis gar keine Effekte, oder aber auch relevante Nebenwirkungen, die zum Abbruch der Behandlung führen können.

Was sind aus Ihrer Sicht die nächsten notwendigen Schritte, um mehr Wissen zu Wirksamkeit und Sicherheit zu generieren?

Es ist wichtig, besser zu verstehen, bei welchen Patienten medizinisches Cannabis tatsächlich anschlägt und Wirkung zeigt. Nur so können wir eine rationale Grundlage für die Auswahl der Patienten bekommen. Zudem wissen wir nicht, ob die Wirkung bei chronischen Schmerzpatienten auch langfristig und anhaltend positiv ist. Denn: die Studien, die gemacht worden sind, hatten allesamt keinen langen Untersuchungszeitraum.

„Die Debatten um die generelle Legalisierung und um den medizinischen Gebrauch von Cannabis müssen daher ganz sauber voneinander getrennt werden.“

Wie nehmen Sie allgemein die Debatte um die Legalisierung von Cannabis wahr?

Ich habe das Gefühl, dass die medizinische Debatte ein Stück weit genutzt wird, um insgesamt die Akzeptanz für Cannabis zu erhöhen. Das ist aus Sicht der Befürworter einer Legalisierung nachvollziehbar. Aber der kritische Punkt ist, dass in vielen Medien über eine generelle schmerzlindernde Wirkung von Cannabis berichtet wird, die Beweise dafür jedoch sehr dünn sind und Nebenwirkungen eher bagatellisiert werden. Natürlich und „gut“ wird sehr vereinfachend und nicht selten fahrlässig mit chemisch und „böse“ kontrastiert. Doch die Argumentation der Befürworter, Cannabis sei allgemein wirksam, harmlos und effizient, setzt mich als Arzt unter Druck. Denn aus meiner Sicht hat der legale Gebrauch mit dem medizinischen Gebrauch bei Schwerkranken nichts zu tun. Hier stellen sich ganz andere Fragen, wie der Schutz Jugendlicher vor zu frühem Gebrauch. Die Debatten um die generelle Legalisierung und um den medizinischen Gebrauch von Cannabis müssen daher ganz sauber voneinander getrennt werden.

 

Zur Person

Prof. Dr. Frank Petzke ist Geschäftsfeldleiter Schmerzmedizin der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Göttingen. Er ist zudem Sprecher der Ad-hoc Kommission „Cannabis in der Medizin” der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V.

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