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Medizinisches Cannabis – Kein Wundermittel, aber manchmal hilfreich

Hype und Wirkung

Seit März 2017 können medizinisches Cannabis und cannabisbasierte Arzneimittel zu medizinischen Zwecken in Deutschland beim Arzt verschrieben werden. Eine politische Entscheidung, die in der Öffentlichkeit vielfach gefeiert wurde, medizinisch aber als durchaus umstritten gilt. Denn die Kritik der Mediziner bezieht sich vor allem darauf, dass auch getrocknete Cannabisblüten verschrieben werden dürfen.

Dagegen hatten sich sowohl die Bundesärztekammer als auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ausgesprochen. „Das Problem bei Cannabisblüten ist, dass wir im Gegensatz zu Fertigarzneimitteln und Rezepturarzneimitteln viel zu wenige Studien dazu haben, wie es genau wirkt, in welcher Dosis man es verabreichen müsste und wie viel des Wirkstoffs bei der Inhalation in den Körper gelangt”, sagt der Schmerzmediziner Prof. Dr. Winfried Häuser vom Klinikum Saarbrücken. „Mit den Cannabisblüten ist es deshalb in etwa so, wie wenn man den Leuten sagen würde, dass sie bei Kopfschmerzen Birkenrinde auskochen sollen, weil da Acetylsalicylsäure drin ist.” Zumindest dieses Problem gebe es bei Fertigarzneimitteln und Rezepturmitteln nicht, denn hier seien die Datenlage und die Dosierung klarer, so Häuser. Er warnt jedoch auch bei diesen vor zu großer Euphorie, da es für viele Krankheitsbilder keine Evidenz über die Wirksamkeit gebe.

„Medizinisches Cannabis ist keinesfalls ein Wundermittel. Es ist vielmehr ein Mittel, welches bei ganz bestimmten Indikationen und bei bestimmten Patienten eine positive Wirkung haben kann.“

Prof. Dr. Gerd Glaeske, Universität Bremen

Den Hype um das mögliche Wundermittel medizinisches Cannabis sieht auch Prof. Dr. Gerd Glaeske, Leiter des „Länger Besser Leben“-Instituts der Universität Bremen, kritisch: „Medizinisches Cannabis ist keinesfalls ein Wundermittel. Es ist vielmehr ein Mittel, welches bei ganz bestimmten Indikationen und bei bestimmten Patienten eine positive Wirkung haben kann. Eine Evidenz für die exakte Wirkung haben wir derzeit jedoch vielfach noch nicht.”

Trotzdem berichten sowohl Winfried Häuser als auch Gerd Glaeske von positiven Erfahrungen mit Patienten. „Es gibt immer wieder die Rückmeldung von Patienten, dass sie durch die Behandlung mit Cannabis keine Schmerzen mehr haben”, sagt Glaeske. Ganz allgemein gilt: Cannabis ist eine psychoaktive Substanz. Sie beeinflusst also das Gehirn und damit wie Menschen fühlen, denken und handeln. „Es kann Euphorie auslösen, Glücksgefühle erzeugen, die Stimmung aufhellen, den Konsumenten entspannen oder eben einen Rauschzustand auslösen – das sind alles positive Dinge, die durch Cannabis hervorgerufen werden und es zu einer beliebten Freizeitdroge machen”, sagt PD Dr. Eva Hoch, Psychologin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Aus diesen positiven Wirkmechanismen ergibt sich das medizinische Potenzial von Cannabis. „Chronische Nervenschmerzen sind der Bereich, indem ich das größte Potenzial sehe und in dem wir auch schon die meisten Studien haben”, sagt Häuser. In anderen Bereichen, in denen über den Einsatz diskutiert wird – wie beispielsweise bei der Behandlung von Darmerkrankungen oder Depressionen – hingegen gibt es, da sind sich die drei Experten einig, viel zu wenig Evidenz für einen Einsatz von Cannabis.

„Es ist individuell sehr unterschiedlich, wie es genau wirkt, aber natürlich hat es Risiken. Nur weil ein Stoff pflanzlich ist, hat er ja nicht keine Nebenwirkungen.“

Prof. Dr. Winfried Häuser, Klinikum Saarbrücken

Neben den mangelnden Belegen für die Wirksamkeit der Medikamente spielen auch die potenziellen Nebenwirkungen von Cannabis in der Debatte eine wichtige Rolle. So kann es Eva Hoch zufolge zu Schwindel, Sedierung, Schläfrigkeit, Einschränkungen der Aufmerksamkeit, Übelkeit oder Erbrechen kommen. Diese Nebenwirkungen sind in der Regel vorübergehend, können jedoch als unangenehm empfunden werden.

Hoch betont dabei allerdings, dass es sich bei den möglichen negativen Folgen um ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Faktoren handelt. Eine Einschätzung, die Winfried Häuser teilt: „Es ist individuell sehr unterschiedlich, wie es genau wirkt, aber natürlich hat es Risiken. Nur weil ein Stoff pflanzlich ist, hat er ja nicht keine Nebenwirkungen. Es handelt sich allerdings um Nebenwirkungen, die andere Schmerzmittel wie Antiepileptika, Opioide oder Antidepressiva auch haben. In der Behandlung wird dann ganz normal ausgetestet, wie der Körper des Patienten auf das Medikament reagiert.” Die Gefahr von Rauschzuständen hingegen schätzen Häuser und Glaeske beim medizinischen Cannabis als eher gering ein, da die Dosierung in den Medikamenten sehr viel geringer sei, als beim Konsum in der Freizeit.

„Auch das spricht gegen den Einsatz der Blüten, da hier die Dosierung sehr viel schwerer zu kontrollieren ist und die Risiken damit größer sind”, sagt Glaeske. Er wünscht sich deshalb, dass cannabis-basierte Medikamente zunächst zugelassen werden müssten, bevor sie auf den Markt kommen: „Das ist eine Lücke, die wir dringend schließen müssen, denn es würde automatisch zu konkreterer und verstärkter Forschung zum medizinischen Nutzen und der Wirksamkeit im Bezug auf einzelne Krankheitsbilder führen.” Ein wichtiger Schritt, um im Bezug auf den Einsatz der Medikamente künftig keine ideologischen und gefühlsmäßigen Entscheidungen mehr zu treffen, sondern evidenzbasierte.

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