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Cannabis – Medikament oder Rauschmittel

Über die Regulierung und die Verwendung von Cannabis

Ob als Droge der Hippies in den 60er Jahren, als Schmerzmittel oder Rauschmittel – Cannabis spielt bereits seit Jahren eine wichtige Rolle in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen. Während die eine Seite es als medizinisches Wundermittel und harmlosen Weg zur Entspannung lobpreist, verteufelt die andere Seite Cannabis als Einstiegsdroge mit hohem Abhängigkeitspotenzial, die Leute antriebslos macht und sich negativ auf die Intelligenz auswirkt. Dabei sind die aktuellen Debatten stark ideologisch geprägt und basieren häufig nicht auf wissenschaftlicher Evidenz zur Wirksamkeit und Wirkung der Pflanze. Und das, obwohl sich die großen Fragen nach Legalisierung und medizinischem Gebrauch eigentlich alle genau um diese Punkte drehen.

Verursacher der schmerzlindernden und berauschenden Wirkung von Cannabis sind die in ihr enthaltenen Cannabinoide. Eines von ihnen: Die Substanz Tetrahydrocannabinol (THC). Diese wirkt psychoaktiv auf das zentrale Nervensystem und verändert damit, wie Menschen handeln, denken und fühlen. So kann es die Stimmung aufhellen und Glücksgefühle auslösen, gleichfalls aber auch das Reaktionsvermögen einschränken und die Psychomotorik beeinträchtigen. Andere Cannabinoide, wie beispielsweise das Cannabidiol (CBD), entfalten hingegen kaum psychoaktive Wirkung. Dafür wirken sie unter anderem entkrampfend und entzündungshemmend. Ob das Cannabis aber insgesamt bei Konsum positive oder negative Auswirkungen hat, hängt dabei stark von dem Individuum ab, das den Stoff konsumiert.

„Cannabis wird in Deutschland ‘latent moralpolitisch’ behandelt.“

Prof. Dr. Christoph Knill, Ludwig-Maximilians-Universität München

Auch wegen der möglichen negativen Auswirkungen ist der Handel, Erwerb und Besitz von Cannabis in Deutschland durch das Betäubungsmittelgesetz strafbar. Als Grund für die restriktive Gesetzeslage macht der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Knill von der Ludwig-Maximilians-Universität München vor allem das Framing von Cannabis in den öffentlichen Diskursen aus: „Cannabis wird in Deutschland ‘latent moralpolitisch’ behandelt, also in einem Bereich, in dem es eher um fundamentale Werteinstellungen als um die effektive Problemlösung geht. Und die generelle Werteinstellung zu Cannabis als Rauschmittel scheint per se eher negativ zu sein.”

Zumindest in der politischen und ethischen Debatte, denn die Zahlen zeigen, dass Cannabis in Deutschland – trotz der strengen Regulierung – das meist verbreitete Rauschmittel nach Alkohol ist. 35,8 Prozent aller 18 bis 25 Jährigen und etwa jeder zehnte Jugendliche hat laut des aktuellen Drogen- und Suchtberichts der deutschen Drogenbeauftragten bereits Erfahrung mit dem Konsum von Cannabis gemacht. Und die Tendenz ist weiter leicht steigend.

„Cannabisblüten und -extrakte können nun grundsätzlich für jede Indikation verordnet werden, wenn eine Genehmigung der Krankenkassen vorliegt.“

Prof. Dr. Winfried Häuser, Klinikum Saarbrücken

Die politische Zurückhaltung bei der Legalisierung des privaten Gebrauchs von Cannabis steht jedoch im Gegensatz zur Diskussion um den medizinischen Einsatz der Substanz. Dort wird Cannabis als schmerzlinderndes Präparat schon seit langer Zeit ein großes Potenzial zugeschrieben. In Deutschland wurde nach anhaltenden Diskussion die Anwendung von Cannabis in der Medizin zuletzt durch eine Gesetzesänderung 2017 deutlich erleichtert. Seitdem ist die Verschreibung in deutlich mehr Fällen möglich. „Cannabisblüten und -extrakte können nun grundsätzlich für jede Indikation verordnet werden, wenn eine Genehmigung der Krankenkassen vorliegt, wobei diese ‘nur in begründeten Ausnahmefällen’ abgelehnt werden darf”, sagt Prof. Dr. Winfried Häuser, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Saarbrücken.

Cannabispräparate in der Medizin

Im medizinischen Gebrauch werden drei unterschiedliche Arten von cannabishaltigen Präparaten unterteilt: Es gibt Fertig- und Rezepturarzneimittel, die festgelegte Werte von THC und CBD aufweisen müssen sowie Cannabisblüten in pharmazeutischer Qualität. Für letztere soll eine eigens dafür eingerichtete staatliche Cannabisagentur im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland steuern und kontrollieren.

Voraussetzungen für eine Verschreibung eines Cannabispräparats sind eine schwerwiegende Krankheit, die Ausschöpfung bzw. Unverträglichkeit etablierter Therapieverfahren und die Aussicht auf Linderung durch die Verschreibung des Medikaments. Eine Formulierung, die von Ärzten durchaus kritisch bewertet wird: „Es kommt regelmäßig zu Streitereien zwischen Medizinern und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, ob eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt oder nicht, denn das Gesetz ist sehr unpräzise in der Formulierung”, sagt Häuser.

„Wissenschaftliche Belege, dass die Präparate ihre Wirkung tatsächlich auch entfalten, gibt es bislang nur im Bereich der Schmerztherapie für Nervenschmerzen.“

Prof. Dr. Winfried Häuser, Klinikum Saarbrücken

Auch kritisieren Ärzte, dass die wissenschaftliche Evidenz für den Einsatz vor allem von Cannabisblüten noch nicht ausreichend ist, um eine Legalisierung für den medizinischen Einsatz in der aktuellen Form zu begründen: „Wissenschaftliche Belege, dass die Präparate ihre Wirkung tatsächlich auch entfalten, gibt es bislang nur im Bereich der Schmerztherapie für Nervenschmerzen. Für alle anderen medizinischen Anwendungen gibt es noch keine Belege, die wissenschaftlichen Standards entsprechen”, sagt Häuser. Doch die wissenschaftliche Unsicherheit steht nicht im Verhältnis zu der Zahl der Verschreibungen von Cannabispräparaten. Rund 95.000 Rezepte für cannabishaltige Zubereitungen wurden in den Apotheken in Deutschland im Jahr 2018 laut dem Deutschen Arzneiprüfungsinstitut eingelöst. „Die Zahlen zeigen, dass die Verschreibung von cannabishaltigen Medikamenten in den vergangenen zwei Jahren stark zugenommen hat”, erklärt Häuser. Eine fast logische Folge des einfacheren Zugangs durch die politische Entscheidung.

„Je mehr Staaten eine liberale Regelung übernehmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Staaten mit verhältnismäßig restriktiven Regelungen nachziehen und auf die Liberalisierungsprozesse aufspringen.”

Prof. Dr. Christoph Knill, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die erleichterte Anwendung in der Medizin könnte auch Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftliche Betrachtung von Cannabis als Rauschmittel haben. „Vielleicht ändert sich der Diskurs über Cannabis durch ein immer stärker werdendes medizinisches Framing”, vermutet Knill. „Denn die Anwendungen in der Medizin könnten auch Akteure hervorbringen, die ein stärkeres ökonomisches Interesse vertreten und damit auch zu einer stärker wertneutralen Diskussion von Cannabis beitragen.”

Auch aktuelle Entwicklungen in anderen Ländern könnten den Diskurs in Deutschland beeinflussen. Denn international hat zuletzt ein merklicher Liberalisierungstrend von Cannabis eingesetzt. War 2014 Uruguay der weltweit erste Staat, in dem Cannabis legalisiert wurde, folgte Kanada im vergangenen Jahr. Und auch in anderen Staaten wird aktiv über eine Legalisierung diskutiert. So kündigte Neuseeland kürzlich an, 2020 ein Referendum über die Legalisierung abzuhalten und auch Luxemburg hat vor, den Anbau, Verkauf und Konsum von Cannabis zu erlauben, auch wenn es noch nicht umgesetzt ist. „Aus der Diffusionsforschung wissen wir: Je mehr Staaten eine liberale Regelung übernehmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Staaten mit verhältnismäßig restriktiven Regelungen nachziehen und auf die Liberalisierungsprozesse aufspringen”, sagt Knill.

Die Diskussion um eine mögliche Legalisierung von Cannabis bleibt weiterhin aktuell. Eine Debatte, die aus Sicht der Experten noch zu ideologisch und zu wenig wissenschaftlich geführt wird. „Momentan fehlt es insgesamt an einer differenzierten Berichterstattung zu Cannabis. Von der Politik würde ich mir eine weniger ideologisierte Debatte wünschen, aus der auch klare Vorgaben kommen, wie wir als Gesellschaft tatsächlich mit Cannabis umgehen wollen”, sagt Häuser.

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