Windräder an Land
Foto: American Public Power Association / Unsplash

Mit Technologien zur Netto-Null?

Wie viel CO2 können wir mit CCS und CCU einsparen? Und welche Voraussetzungen müssen die Technologien erfüllen, um zum Klimaschutz beizutragen?

Wir Menschen stoßen zu viel Kohlenstoffdioxid aus. 2021 haben wir mit unserer Lebensweise weltweit knapp 37 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen. Deutschland hat davon 750 Millionen Tonnen CO2 verursacht. Um Kohlenstoff in der Atmosphäre zu reduzieren und damit dem Klimawandel entgegenzuwirken, haben viele Länder das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet – auch Deutschland. Die Ziele des Abkommens wurden im deutschen Klimaschutzgesetz verankert: Bis 2045 möchte Deutschland klimaneutral sein. Das heißt, nur noch so viele CO2-Emissionen zu verursachen, wie auch wieder eingefangen werden können.

Damit wir dieses Ziel erreichen, brauchen wir unterschiedliche Technologien, um CO2-Emissionen zu vermeiden, aus der Atmosphäre zu entfernen und zu speichern. In Deutschland werden CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) sowie CO2-Abscheidung und -Weiterverwendung (CCU) derzeit wieder als Technologie diskutiert, um unvermeidbare Emissionen aus Industriezweigen nicht in die Atmosphäre zu entlassen: In diesem Jahr möchte die Bundesregierung eine Carbon-Management-Strategie erarbeiten, um die Rahmenbedingungen für Technologien zur CO-Speicherung zu beschließen.

„In Bezug auf die Klimaziele müssen wir verstehen, dass wir zwei Dinge tun müssen: Zum einen müssen wir unsere Emissionen stark reduzieren und zum anderen CO2 aktiv aus der Atmosphäre entnehmen. Beides ist notwendig, um die Klimaziele zu erreichen.“

Dr. Jan Minx, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Warum wir Technologien für den Klimaschutz brauchen

„In Bezug auf die Klimaziele müssen wir verstehen, dass wir zwei Dinge tun müssen: Zum einen müssen wir unsere Emissionen stark reduzieren und zum anderen CO2 aktiv aus der Atmosphäre entnehmen. Beides ist notwendig, um die Klimaziele zu erreichen“, erklärt Dr. Jan Minx, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. CO2 muss deshalb aus der Atmosphäre entfernt werden, weil es erstens immer unvermeidbare Restemissionen geben wird, zum Beispiel aus der Landwirtschaft. Zweitens sollen in Deutschland und Europa ab 2050 negative Emissionen erzeugt werden. Das heißt, dass mehr CO2 aus der Atmosphäre entnommen als ausgestoßen wird. „Es geht hier nicht um ein Kann. Es ist wirklich ein Muss“, ordnet Minx die Notwendigkeit von CO2-Entnahmen für die Klimaziele ein. Auch der Weltklimarat geht davon aus, dass die Klimaziele nur erreicht werden, wenn wir negative Emissionen erzeugen.

Derzeit entnehmen wir weltweit insgesamt zwei Milliarden Tonnen CO2 mithilfe von Bäumen aus der Atmosphäre. Zwei Millionen Tonnen CO2 entnehmen wir durch technische Verfahren, hauptsächlich durch Bioenergie mit CCS (BECCS). Um die Klimaziele zu erreichen, ist das zu wenig. Es ist allerdings auch nicht möglich, unbegrenzt Bäume zu pflanzen, da der Platz in Deutschland wegen dichter Besiedelung fehlt. Außerdem würde das in Bäumen gespeicherte CO2 wieder freigesetzt, wenn Wälder, zum Beispiel wegen Dürre, abbrennen. Deshalb sind wir zusätzlich auf technische Methoden angewiesen.

Wie viel CO2 sparen wir durch die Technologien ein? 

Die Internationale Energieagentur schätzt, dass weltweit 29 Milliarden Tonnen CO2 durch CCS bei industriellen Prozessen eingespart werden können. In Deutschland ließen sich 2045 jährlich insgesamt 16 Millionen Tonnen CO2 durch industrielles CCS vermeiden, so die Studie Klimaneutrales Deutschland 2045. Durch CO2-Entnahmetechnologien mit nachfolgender Speicherung wie BECCS oder Direct-Air-Capture-Anlagen (DAC) mit Speicherung steigt die Menge auf 73 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Diese Mengen werden jedoch nur erlangt, wenn das CO2 langfristig gespeichert wird.

Aber nicht nur die Speicherung ist entscheidend für den Einfluss auf das Klima. Die Abscheidung von CO2 aus industriellen Abgasen oder auch der Luft kostet viel Energie. Bei DAC mit nachfolgender Speicherung (DACCS) kommt hinzu, dass auch die Anlagen, die das CO2 aus der Luft entfernen, mit Energie versorgt werden müssen. Daher ist es wichtig, dass diese Energie aus erneuerbaren Quellen stammt. Deren Ausbau soll bis 2030 deutlich beschleunigt werden, heißt es im neuen Erneuerbare-Energien-Gesetz vom 1. Januar 2023.

„Wenn CO2 über 60 Jahre, zum Beispiel in Kunststoffen, weiterverwendet wird und danach nicht durch Verbrennung wieder freigesetzt, sondern recycelt wird, halte ich die CCU-Technologien für unproblematisch.“

Dr. Peter Viebahn, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut

Auch für CCU-Technologien sind sowohl die Speicherung als auch die Energiequelle wichtig. Wenn CO2 nicht gespeichert, sondern weiterverwendet wird, sollte es langfristig gebunden werden. „Wenn CO2 über 60 Jahre, zum Beispiel in Kunststoffen, weiterverwendet wird und danach nicht durch Verbrennung wieder freigesetzt, sondern recycelt wird, halte ich die CCU-Technologien für unproblematisch“, sagt Dr. Peter Viebahn, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut. Wird das abgeschiedene CO2 aber in kohlensäurehaltigen Getränken oder für synthetische Kraftstoffe verwendet, verschieben sich lediglich Zeitpunkt und Ort der CO2-Freisetzung. Auch für CCU-Technologien ist in jedem Fall der CO2-Fußabdruck der verwendeten Energie entscheidend: Wenn CO2 aus fossilen Energieträgern stammt oder aber für die Abscheidung und Weiterverarbeitung fossile Energieträger eingesetzt wurden, haben CCU-Technologien keinen positiven Einfluss auf die Klimabilanz. Darüber hinaus sollen fossile Energieträger ohnehin in 2045 nicht mehr verwendet werden. 

Sind die Technologien rechtzeitig einsatzbereit?

Bisher wurden sowohl CCS- als auch CCU-Technologien in Deutschland nur in kleinem Maßstab angewendet, zum Beispiel bei Pilotprojekten wie in Ketzin. Hier wurde die unterirdische Speicherung von CO2 untersucht. Dabei wurden zwischen 2008 und 2013 ungefähr 67.000 Tonnen CO2 gespeichert. Nach dem Kohlendioxid-Speicherungsgesetz hätten in bis zu drei Speicherprojekten zu Versuchszwecken jeweils maximal 1,3 Millionen Tonnen CO2 jährlich gespeichert werden dürfen, was jedoch kaum genutzt wurde. Seit Ablauf der Frist Ende 2016 sind keine Speicherprojekte in Deutschland mehr möglich. 

Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir deutlich mehr CO2 speichern – im Jahr 2045 nämlich genau das, was wir ausstoßen. Laut der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ bleiben trotz ambitionierter Reduktionsmaßnahmen in allen Sektoren im Jahr 2045 noch 73 Millionen Tonnen Emissionen, hauptsächlich aus der Landwirtschaft und Industrie, übrig, die wir entfernen und speichern müssen. Hierzu zählt neben CO2 vor allem Methan.

„Wir hätten noch rund zehn Jahre, um die Infrastruktur aufzubauen. Aber ich denke, dann muss es sofort damit losgehen.“

Dr. Peter Viebahn, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut

Für die Speicherung braucht es aber noch die notwendige Infrastruktur – in einer solchen Größenordnung sind das vor allem Pipelines. Viebahn schätzt, dass die Technologien erst frühestens in zehn Jahren umfangreich umgesetzt werden könnten, da zum Transport notwendige Pipelines umgewidmet oder neu gebaut sowie Speicherstätten untersucht werden müssten. Grundsätzlich wäre dieser Zeitrahmen aber noch mit den Klimazielen vereinbar, so der Wissenschaftler: „Nach der Studie ‚Klimaneutrales Deutschland 2045‘ ist das Hochfahren der CO2-Speicherung erst nach 2030 vorgesehen. Daher sind wir wohl erst ab etwa 2035 auf den CO2-Transport via Pipelines angewiesen. Wir hätten also noch rund zehn Jahre, um die Infrastruktur aufzubauen. Aber ich denke, dann muss es sofort damit losgehen.“ Projekte, die eine kleine Menge CO2 transportieren und speichern oder weiterverwenden, können bereits in den nächsten ein bis drei Jahren umgesetzt werden, da diese Menge CO2 noch mit LKWs oder mit Zügen transportiert werden kann. „Die größte Herausforderung ist es, dass alle Teilschritte der Infrastruktur gleichzeitig einsatzbereit sein müssen – sowohl Abscheidung als auch Transport sowie Speicherung“, sagt Viebahn. Aktuell sei es sehr teuer, CO2 abzuscheiden und zu speichern. Das schrecke Unternehmen vor der Umsetzung ab. Perspektivisch könnte die CO2-Abscheidung zwar ähnlich viel kosten wie das Erwerben von CO2-Zertifikaten, dennoch fordert Viebahn Unterstützung: „Es braucht mehr staatliche Mittel – sowohl für die Forschung als auch die Umsetzung der Technologien zur CO-Entnahme und Emissionsminderung.“

„Es geht nicht darum, alles zu erreichen oder nichts. Ich glaube, wir müssen damit anfangen, CO2 zu vermeiden und zu entfernen, denn jede Tonne CO2 weniger ist wichtig.“

Dr. Jan Minx, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change

Können wir die Klimaziele ohne CCS und CCU erreichen?

„Wir müssen uns um die geologische Einlagerung von CO2 kümmern. Denn das brauchen wir, um einige Industrieprozesse CO2 neutral gestalten zu können, aber auch für einige potentiell wichtige CO2 Entnahmetechnologien wie BECCS oder DACCS“, so Minx.

Ob die Klimaziele durch industrielles CCS oder DACCS erreicht würden, sei offen, sagt Peter Viebahn. Gerade weil ungewiss sei, wie erfolgreich jede einzelne Technologie in der Umsetzung sein wird, sei es wichtig, auf ein Portfolio aus Maßnahmen zu setzen und sie alle vorzubereiten. Doch auch wenn der tatsächliche Erfolg jetzt noch nicht absehbar ist und die Technologien noch nicht umfangreich umsetzbar, sollten wir mit der Umsetzung beginnen, so Viebahn. Und auch Minx betont: „Es geht nicht darum, alles zu erreichen oder nichts. Ich glaube, wir müssen damit anfangen, CO2 zu vermeiden und zu entfernen, denn jede Tonne CO2 weniger ist wichtig.“

Mehr zu dem Thema