Welche verheerende Auswirkung eine Unterfinanzierung und Unterausstattung des Gesundheitssystems haben kann, sieht man derzeit in vielen europäischen Ländern. Insbesondere in Ländern mit staatlichem Gesundheitsdienst wie in Spanien und in Italien wurde im Zuge der Austeritätspolitik nach der globalen Finanzkrise von 2008 am Gesundheitssystem gespart, die Folgen zeigen sich heute angesichts der Pandemie in erheblicher Überlastung und einer hohen Zahl von Todesfällen, auch unter den Ärztinnen und Ärzten. Ebenfalls unter akuten finanziellen Zwängen leidet das Gesundheitssystem Großbritanniens, der National Health Service (NHS). „Hier gibt es ein staatliches System, das eine gute Organisationsstruktur hat, einen gewaltigen logistischen Überbau und eine hervorragende Dokumentation bei der konkreten Umsetzung”, sagt Eckhard Nagel. „Das alles hilft aber wenig, wenn sowohl das Fachpersonal als auch die Ressourcen nicht zur Verfügung stehen, weil das System nicht ausreichend finanziert ist”. Nagel hält dies neben dem relativ späten Ergreifen von Maßnahmen für einen der wesentlichen Gründe, warum die Epidemie Großbritannien deutlich stärker trifft als andere Nationen.
Geld allein hilft aber in der aktuellen Situation nicht, wie die Situation in den USA zeigt. „Dort fließt sehr viel Geld in die Gesundheitsbranche – und zwar fast doppelt so viel, wie in anderen Ländern, bezogen auf das Bruttosozialprodukt”, sagt Nagel. „Um auf eine solche Krise zu reagieren, braucht es neben finanziellen Mitteln aber eben auch eine Organisations- und Infrastruktur – und wenn eines von beiden fehlt, wird es schwierig.”
Hinzu kommt, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen den europäischen Gesundheitssystemen und der Situation in den USA gibt, der ideologischer Natur ist. „In Europa gibt es zwar unterschiedliche Systeme, aber die Systeme haben gemein, dass ihr Ziel ist, allen Menschen gleichen Zugang zur Gesundheitsversorgung zu gewähren. Das ist in den USA anders”, sagt Stolpe. Im Gegensatz zu den europäischen Systemen ist das amerikanische Gesundheitswesen – trotz aller Bemühungen des ehemaligen Präsidenten Barack Obama – immer noch ein relativ wenig regulierter Markt, auf dem reiche Menschen sich eine gute Versorgung kaufen können, während Armen der Zugang zu vielen Gesundheitsleistungen de facto oft verwehrt bleibt. Dies gilt dort selbst im Falle des Ausbruchs ansteckender Krankheiten und so musste der amerikanische Kongress in Reaktion auf die explosionsartige Zunahme der Infektionen eigens ein Gesetz verabschieden, dass die Kostenübernahme von Corona-Tests und Behandlungen durch den Staat erst ganz kurzfristig einführte. „Das ist ein wesentlicher Unterschied, einheitliche flächendeckende Qualitätsstandards der medizinischen Versorgung für alle Menschen gibt es in den USA nicht, was die Eindämmung einer Epidemie erschweren kann”, sagt Stolpe.