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Plötzlich Homeoffice: Facetten einer neuen Arbeitssituation

Was bedeutet die Umstellung?

Die Corona-Pandemie stellt die Arbeitswelt auf den Kopf. Viele Unternehmen folgen notgedrungen den Empfehlungen der Fachleute und schicken ihre Beschäftigten in ein vorerst dauerhaftes Homeoffice. Während die wenigsten Betriebe auf eine solche Belastung ihrer Systeme vorbereitet waren und vor allem vor technischen Herausforderungen stehen, müssen sich Arbeitnehmer in einem oftmals neuen Arbeitsumfeld zurechtfinden: den eigenen vier Wänden.

Dabei ist Homeoffice kein neues Phänomen, sondern als Arbeitsform inzwischen seit Jahren bekannt und sehr gut erforscht. Laut einer Umfrage der AOK sind Menschen, die oft im Homeoffice arbeiten zwar zufriedener mit ihrer Arbeitssituation, aber auch erschöpfter und psychisch stärker belastet. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg beschrieb in einem 2019 erschienen Bericht sowohl Vor- als auch Nachteile beim Homeoffice. „Viele Beschäftigte haben Bedenken, dass sich Arbeitszeit und Freizeit zu sehr vermischen und lehnen deshalb Homeoffice eher ab“, sagt Dr. Stefanie Wolter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAB und Mitverfasserin des Berichts.

„Eltern im Homeoffice stehen zurzeit vor dem dauerhaften Konflikt, dass sie sowohl ihrer Arbeit, als auch den Kindern gerecht werden wollen.“

Dr. Stefanie Wolter, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung

Eine doppelte Belastung für junge Familien

Diese Vermischung ist in der aktuellen Situation besonders für Familien mit kleinen oder schulpflichtigen Kindern eine Herausforderung. „Eltern im Homeoffice stehen zurzeit vor dem dauerhaften Konflikt, dass sie sowohl ihrer Arbeit, als auch den Kindern gerecht werden wollen,“ so Wolter. Eine doppelte Belastung, die bislang wenig erforscht wurde. „Der Großteil an Forschung zum Thema Homeoffice betrachtet bisher ausschließlich die arbeitende Person und die Frage, wie diese sich zuhause organisieren kann. Nun stehen viele in der derzeitigen Krise vor dem Problem, ihre ganze Familie organisieren zu müssen,“ sagt Prof. Dr. Cornelia Niessen, Arbeitspsychologin an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Umso wichtiger ist es, den eigenen Arbeitstag so gut es geht zu strukturieren. „Man muss versuchen, Zeiten zu schaffen, in denen man wirklich konzentriert arbeiten kann und möglichst nicht abgelenkt wird. Genügend Pausen dürfen jedoch nicht fehlen“, sagt Wolter.

„In der Krise sollte jeder auch Milde mit sich selbst walten lassen.“

Prof. Dr. Cornelia Niessen, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Die Gestaltung der neuen Arbeitsumgebung

Aber nicht nur für Eltern ist die Strukturierung des Arbeitstages schwierig. Für Cornelia Niessen ist sie Teil einer akuten Herausforderung, vor der alle im Homeoffice Arbeitenden stehen: die Gestaltung der neuen Arbeitsumgebung. Hierbei unterscheidet sie zwischen physischen Anforderungen, wie regelmäßige Bewegung, komfortables Sitzen und eine ruhige Umgebung, sowie kognitiven Anforderungen. „Von kognitiver Seite muss man sich überlegen, in welcher Reihenfolge man seine Tagesaufgaben bewältigt. Zu welcher Tageszeit schafft man eher komplizierte Aufgaben, wann sollte man besser Routineaufgaben erledigen?“ Vielen hilft es, eine feste Routine zu etablieren und sich morgens Ziele zu setzen, um abends zu prüfen, ob man diese Ziele auch erreicht hat.

Ebenso wichtig ist es für die Gesundheit und das Wohlbefinden, seine Arbeitszeit im Blick zu halten, bewusst abzuschalten und rechtzeitig Feierabend zu machen. „Im Homeoffice ist es ganz normal, dass die Arbeitszeit durch andere Verpflichtungen unterbrochen wird und man das Gefühl hat, nicht genug gearbeitet zu haben. Doch das ist kein Grund, sich selbst auszubeuten“, sagt Arbeitsforscherin Wolter. Im Gegenteil: Cornelia Niessen zufolge kann man durchaus die neuen Freiheiten dieser Situation für sich nutzen und die eigene Art zu arbeiten aktiv gestalten und verändern. Denn auch, wenn man weiterhin regelmäßig Kontakt zu seinen Vorgesetzten habe, müsse man sich im Homeoffice ein Stück weit selbst führen. Umso wichtiger sei es, sich von anfänglichen Konzentrationsschwächen nicht entmutigen zu lassen. Sich täglich überschlagende Eilmeldungen zu Ereignissen und Erkenntnissen über die Corona-Pandemie von oftmals existenzieller Reichweite, lassen sich – und da ist sich die Fachwelt einig – nicht einfach wegdrücken, sondern rufen negative Emotionen hervor. „Aus dem Grund fällt es schwerer als sonst, kreativ und konzentriert zu arbeiten. In der Krise sollte deshalb jeder auch Milde mit sich selbst walten lassen“, rät deshalb Arbeitspsychologin Niessen.

Trotz ihrer räumlichen Abwesenheit und obwohl man sich teilweise selbst führt, spielen Vorgesetzte bei all dem eine nicht zu unterschätzende Rolle: „In diesen Zeiten braucht es eine besondere Rücksichtnahme und ein positives Bestärken durch Führungskräfte“, sagt Stefanie Wolter. Sie müssen ihren Mitarbeitern Vertrauen entgegenbringen, dass diese ihre Arbeit trotz der ungewöhnlichen Umstände erledigen. Zugleich ist Führung auch in diesen Zeiten weitaus mehr als die Verteilung von Arbeitsaufträgen. „Kollegen stehen in Beziehungen zueinander, die aktiv gestaltet werden müssen, etwa durch neue, proaktive Kommunikationsmaßnahmen. Tür- und Angelgespräche im Büro sind wichtig und sollten beispielsweise durch virtuelle Kaffeerunden ersetzt werden“, sagt Niessen. Zumal in den meisten Fällen eine Rückkehr ins Büro zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen wird.

„Ich bin mir sicher, dass wir infolge der Corona-Krise einen Sprung in Richtung Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeit sehen werden.“

Dr. Stefanie Wolter, Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung

Zurück auf Los?

Denn auch, wenn es zurzeit für viele vermutlich schwer vorstellbar ist, irgendwann wird auch diese Krise mit ziemlicher Sicherheit überstanden sein. Die leeren Büros werden sich wieder füllen und Kolleginnen und Kollegen können den Großteil ihrer Telefon- und Videokonferenzen hinter sich lassen, um Arbeitsrelevantes und Privates an der Bürotür gelehnt oder in der Kaffeeküche zu besprechen. Zurück auf Los also? Mitnichten, sagt Stefanie Wolter: „Ich bin mir sicher, dass wir infolge der Corona-Krise einen Sprung in Richtung Digitalisierung und Flexibilisierung der Arbeit sehen werden.“ So sei es nicht unwahrscheinlich, dass viele Unternehmen, die bisher mit der Flexibilisierung der Arbeit, etwa durch Homeoffice, haderten, jetzt investieren werden. Die technische Infrastruktur und unternehmenseigenen Systeme werden mittelfristig darauf ausgelegt sein, dass ein Großteil der Belegschaft auch von zuhause arbeiten kann. Doch wie werden die Beschäftigten selbst nach wochenlangem Homeoffice wieder in ihren Büroalltag zurückfinden? „Die Betriebe werden es aushalten müssen, dass es erst einmal eine Anlaufphase braucht, in der die Mitarbeitenden ankommen. Doch dann wird sicher eine Phase der Neustrukturierung eintreten, in der die Führungskräfte den Dialog mit ihren Beschäftigten suchen müssen, um Feedback einzuholen“, so Wolter.

Die Beschäftigten werden nach den Wochen im Homeoffice gewohnt sein, einen relativ großen Handlungsspielraum zu haben. In Teams sollte proaktiv besprochen werden, wie man die Erfahrungen der vergangenen Wochen in den neuen Arbeitskontext übertragen kann. Cornelia Niessen versteht die Rückkehr ins Büro als Chance für einen positiven Wandel: „Was lief besonders gut, als wir alle zuhause waren und was läuft im Büroalltag besser? Was kann man aus der Arbeitssituation während der Corona-Krise, aus diesem großen Lernexperiment übernehmen? Wir haben eine Chance, das Gute aus beiden Arbeitswelten zusammenzuführen.“

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