Was sind die Gründe dafür?
Zum einen neigen Menschen mit Depressionen dazu, negative Dinge intensiver wahrzunehmen, da liefert die momentane Situation natürlich jede Menge Futter für die Depression. Zudem ist die Fähigkeit, sich auf Veränderungen im Alltag einzustellen, beispielsweise weil man in Quarantäne ist, reduziert. Schon kleine Dinge erscheinen wie ein großer Berg. Auch nimmt die Qualität der Versorgung zur Zeit ab, was mir große Sorgen bereitet: Psychotherapiestunden werden abgesagt, psychiatrische Ambulanzen werden geschlossen, Selbsthilfegruppen finden nicht mehr statt, stationäre psychiatrische Einrichtungen entlassen Patienten. Über Videosprechstunden, Telefonate und viele andere Maßnahmen machen die Kliniken und die niedergelassenen Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten große Anstrengungen, um Lösungen zu organisieren, aber das gelingt nur teilweise. Meine große Sorge ist, dass es durch den Rückgang der Versorgungsqualität für Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen zu einer Zunahme der Suizide und Suizidversuche kommt.
Welche Tipps geben Sie Betroffenen, um die Situation zu meistern?
Sie können digitale Hilfsangebote nutzen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet kostenfrei das iFightDepression-Tool an. Betroffene können sich formlos über die E-Mail-Adresse ifightdepression@deutsche-depressionshilfe.de für das Programm anmelden und werden meist innerhalb von 24 Stunden freigeschaltet. In den letzten Tagen haben bereits mehrere Tausend Menschen dieses Angebot genutzt. Es hilft dabei, eine Tagesstruktur aufzubauen, was Menschen in der Depression sehr schwerfällt. Es zeigt, wie man versuchen kann, negative Gedankenkreise zu durchbrechen oder wie der Zusammenhang zwischen Bettzeit und Stimmung ist. Dies ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn wenn man gezwungen ist, viel Zeit zu Hause zu verbringen, dann ist gerade für die unter Erschöpfungsgefühlen leidenden depressiv Erkrankten die Versuchung groß, früher ins Bett zu gehen, länger liegen zu bleiben oder tagsüber sich hinzulegen. Bei den meisten depressiv Erkrankten führt das aber nicht zu der erhofften Erholung, sondern im Gegenteil, die Depression wird noch schwerer. Dies ist durch Forschung sehr gut belegt und Schlafentzug, wie er auf Depressionsstationen den Patienten angeboten wird, wirkt ja zu deren Überraschung antidepressiv. Stellt man nun bei sich mit Hilfe des iFightDepression-Tools einen Zusammenhang zwischen langen Bettzeiten und schlechterer Stimmung am nächsten Tag fest, so kann man versuchen, die Zeit im Bett auf 7-8 Stunden zu reduzieren.