Foto: privat

„Die Biodiversität spielt eine wichtige und regulatorische Rolle.“

Ein Gespräch mit Dr. Sandra Junglen

Was wissen wir über den Ursprung des SARS-CoV-2-Virus?

Über den Ursprung des Virus gibt es noch keine genauen Informationen. Es gibt allerdings verschiedenste Studien, die gezeigt haben, dass verwandte Viren in Fledermäusen gefunden wurden. Es ist also sehr naheliegend, dass das aktuelle Virus ursprünglich von Fledermäusen stammt und von ihnen den Weg zum Menschen gefunden hat. Ob hierbei, wie bei SARS, ein Zwischenwirt involviert war, ist noch nicht bekannt. Hierzu liegen noch keine Daten vor.

Wie kann ein Virus überhaupt von Tieren auf Menschen übertragen werden und sich anschließend ausbreiten?

Es gibt eine Vielzahl von Viren, die ursprünglich aus dem Tierreich stammen und auf den Menschen übergegangen sind und Infektionskrankheiten verursachen – sogenannte Zoonosen. Bekannte Beispiele sind Ebola, HIV, die Vogelgrippe und Tollwut. Die Viren werden üblicherweise von Wildtieren auf den Menschen übertragen. Unklar hierbei bleibt jedoch meistens, ob das Virus sich erst an den Menschen als Wirt anpassen musste und wenn ja, wo, also in welchem Wirt, diese Anpassung stattgefunden hat. Unser Problem ist, dass wir oft erst Kenntnis über das Auftreten eines neuartigen Virus erlangen, wenn das Virus bereits eine Infektion beim Menschen ausgelöst hat und eine neuartige Infektionskrankheit auftritt. Dann ist dieser Übergang von einer Art auf die andere, also vom Tier auf den Menschen, bereits geschehen. Ein potentieller Anpassungsprozess liegt in der Vergangenheit und kann nur noch rekonstruiert werden.

„Für die Medizin ist die Erforschung des Ursprungs von Krankheiten und der Zusammenhänge, die zum Auftreten neuer Infektionskrankheiten geführt haben, ein relativ neues Forschungsfeld.“

Wie ließe sich das besser erforschen?

Bei der Erforschung solcher Übertragungsereignisse stehen wir noch sehr am Anfang. Meistens stehen beim Auftreten neuartiger Infektionserkrankungen, wie jetzt gerade bei Covid-19, andere Dinge im Vordergrund, wie beispielsweise die Erforschung der Krankheit, Fragen zur Übertragung zwischen Menschen, die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen und wie sich die Pandemie eindämmen lässt. Es gibt also eine Bandbreite an wichtigen Fragestellungen, die es momentan zu beantworten gilt. Dazu gehören allerdings auch infektionsökologische Studien, zu den konkret in der Natur liegenden Ursachen der Ausbreitung. Solche Studien, die sich damit beschäftigen, welche Eigenschaften die Erreger besitzen, bevor sie ihre Wirte wechseln und bei Menschen oder Nutztieren Krankheiten verursachen, sind sehr wichtig aber insgesamt zu selten.

Warum werden infektionsökologische Studien so selten durchgeführt?

Hier sind zwei Gründe zu nennen. Zum einen sind solche Studien sehr aufwendig, denn dafür muss man in intakte Ökosysteme vordringen und unter einfachsten Bedingungen und größten logistischen Herausforderungen die Feldforschung durchführen. Dazu kommt, dass die Prävalenz solcher Erreger in intakten Ökosystemen sehr gering ist. Das erfordert eine intensive und lange Suche bis Modellviren identifiziert oder bestimmte generalisierbare Muster erkennbar sind. Zum anderen werden solche Feldstudien zudem eher von Ökologen, Zoologen und Botanikern als von Vertretern der Veterinär- oder Humanmedizin durchgeführt. Während der ökologische Hintergrund bei solchen Studien meistens hervorragend vertreten ist, fehlen oft konkrete Daten zu Erregern und deren Eigenschaften. Für die Medizin ist die Erforschung des Ursprungs von Krankheiten und der Zusammenhänge, die zum Auftreten neuer Infektionskrankheiten geführt haben, ein relativ neues Forschungsfeld, das sich erst langsam entwickelt. Dabei sehen wir sehr deutlich, dass die Ökologie bei der Entstehung und Ausbreitung von neuartigen Infektionskrankheiten eine erhebliche Rolle spielt.

„Anpassung geschieht durch Mutation. So kann es sein, dass auch Varianten von Erregern dabei sind, die auf andere Arten überwechseln können.“

Wie können Artenvielfalt und funktionierende Ökosysteme die Ausbreitung von Infektionskrankheiten beeinträchtigen?

Die Biodiversität spielt hier eine wichtige und regulatorische Rolle und beeinflusst das Vorkommen, die Prävalenz und Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Die Erreger von Infektionskrankheiten sind wirtsspezifisch und jede Tierart trägt ihre eigenen Erreger in sich. In einem intakten Ökosystem gibt es von jeder Tierart nur eine relativ geringe Zahl an Individuen einer Art, also eine geringe Dichte an Wirtstieren für einen bestimmten Erreger. Die Zusammensetzung der Individuen einer Art wird durch das Gesamtgefüge an vorkommenden Arten bestimmt und die Arten stehen miteinander im Gleichgewicht. Daher ist auch das Vorkommen an verschiedenen Erregern ausbalanciert. Verändert sich nun das Ökosystem – zum Beispiel durch einen Eingriff durch den Menschen – führt es dazu, dass einige Arten nicht in der Lage sind sich an die veränderten Umweltbedingungen anzupassen und aussterben. Hierzu kommt es bildlich gesprochen zu Lücken im Gesamtgefüge der Arten. Andere Arten mit einer breiten ökologischen Nische können sich an die veränderten Umweltbedingungen anpassen und generieren daraus sogar teilweise einen Vorteil, weil beispielsweise Fressfeinde oder konkurrierende Arten wegfallen. Diese sogenannten Generalisten können sich in Folge ausbreiten und mit ihnen die Erreger, die sie in sich tragen.

Sind denn die Erreger von Generalisten per se problematischer?

Nein, wenn allerdings die Population einer Tierart insgesamt wächst, kommt es zu einer höheren Infektionsrate, weil es mehr Übertragungsereignisse gibt. Zudem sieht es so aus, dass nicht nur die Generalisten als Tierart anpassungsfähiger sind, sondern auch die Viren, die sie in sich tragen. Und schließlich bedeutet die Veränderung eines Ökosystems auch immer die Beschleunigung der Evolutionsgeschwindigkeit der überlebenden Arten, um sich an die geänderten Bedingungen anzupassen. Und diese Anpassung geschieht natürlich immer auch durch Mutation. So kann es sein, dass auch Varianten von Erregern dabei sind, die auf andere Arten überwechseln können.

„Da muss langfristig ein Umdenken stattfinden, denn die einzelnen Ökosysteme sind wichtig für die gesamte Erde als funktionierendes Ökosystem und letztlich für unsere Gesundheit.“

Ist Umwelt- und Naturschutz also gleichzeitig präventiver Gesundheitsschutz, wie es Bundesumweltministerien Svenja Schulze zuletzt formulierte?

Nach allem was wir bisher über die neuartigen Infektionskrankheiten wissen, sind der Rückgang der Biodiversität und der Handel mit Wildtieren die Hauptursachen für ihre Entstehung. Der Erhalt und Schutz von Ökosystemen ist daher insgesamt für unseren Schutz vor dem Auftreten neuartiger Infektionskrankheiten sehr wichtig. Bei der Ausbreitung mit dem aktuellen SARS-CoV-2-Erreger glaube ich allerdings nicht an einen direkten Zusammenhang mit dem Biodiversitätsverlust – da vermute ich eine stärkere Verbindung zum Handel mit Wildtieren. Aber beide Aspekte gehen natürlich ineinander über, denn wenn man Ökosysteme und den Lebensraum von Tieren schützen möchte, beinhaltet das auch, dass man die darin lebenden Tiere schützt.

Was sind konkrete Maßnahmen, die als Schluss aus der Covid19-Pandemie gezogen werden sollten, um die Entstehung und Verbreitung weiterer Viren zu verhindern?

Als aktuelle Maßnahme wurden in China die Wildtiermärkte bereits geschlossen, auch wenn einige davon inzwischen wiedereröffnet haben. Wünschenswert wäre es den Handel mit Wildtieren dauerhaft zu unterbinden. Denn wir wissen aus der Forschung, dass diese für das Auftreten von neuartigen Infektionskrankheiten beim Menschen einen erheblichen Einfluss haben. Gleichzeitig sollte aber auch der Schutz von Regenwäldern und anderen wichtigen Ökosystemen mehr in den Fokus gestellt werden. Da muss langfristig ein Umdenken stattfinden, denn die einzelnen Ökosysteme sind wichtig für die gesamte Erde als funktionierendes Ökosystem und letztlich für unsere Gesundheit.

„Ich hoffe, dass jedem klar wird, was ein Ausbruch einer neuartigen und leicht übertragbaren Krankheit mit sich bringt.“

Glauben Sie, dass die aktuelle Pandemie das Potential hat, das Verhältnis von Mensch und Natur zu überdenken?

Ich wage zu bezweifeln, dass der Effekt wirklich nachhaltig ist. Denn häufig ist der Druck, etwas zu ändern, deutlich geringer, wenn die Krise erst einmal überstanden ist. Aber so schlimm die aktuelle Pandemie in all ihren Facetten auch ist, hoffe ich, dass dadurch jedem klar wird, was ein Ausbruch einer neuartigen und leicht übertragbaren Krankheit mit sich bringt und welche Folgen dies hervorrufen kann. Meine große Hoffnung ist, dass uns der Zusammenhang zwischen Zerstörung von Ökosystemen, einschließlich dem Handel mit Wildtieren und der Globalisierung, und der Entstehung von Pandemien als Gesellschaft bewusst wird und wir etwas dagegen tun, damit vergleichbare Epidemien nicht wieder passieren.

Sie forschen vor allem an Stechmücken. Haben Sie Erreger gefunden, die ein ähnlich verheerendes Potential besitzen wie der aktuelle SARS-CoV-2-Erreger?

Erreger mit vergleichbaren Potential sind generell extrem selten und hat es bisher kaum gegeben. Allenfalls sind die vier pandemischen Influenza Varianten zu nennen. Durch Stechmücken übertragenene Erreger stellen allerdings auch ein großes Problem für die weltweite Gesundheit dar. So treten jährlich ca. 100-400 Millionen Infektion mit Dengue und ca. 200 Millionen Malariainfektionen auf. Wir hatten vor einiger Zeit einen interessanten Befund, der in die jetzige Thematik sehr gut passt und zeigt, wie das Eindringen des Menschen in intakte Ökosysteme die Ausbreitung von Infektionskrankheiten bedingt. Und zwar haben wir im südlichen Mexiko ein Vorläufervirus von einem Virus gefunden, welches ab 1933 in Nordamerika auftauchte und sich über Jahre in Nordamerika ausgebreitet hat und immer wieder Ausbrüche mit Fieber und Enzephalitis verursachte. Bis zu unserem Befund, war nicht klar, woher das Virus eigentlich kam. Mittels phylogeographischen Untersuchungen konnten wir dann modellieren, wie die Ausbreitung des sogenannten St. Louis Enzephalitis Virus in den USA stattgefunden hat. Wir konnten sehen, dass sich das Virus langsam von Zentralamerika ausbreitete zu der Zeit, als erste größere Rodungen im Regenwald stattfanden. Das Virus gelangte dann als erstes nach New Orleans und von dort vermutlich über den Flussverkehr im Mississippi weiter bis nach St. Louis, wo es einige Jahre später den ersten Ausbruch gab.

 

Zur Person

Dr. Sandra Junglen leitet die Arbeitsgruppe „Ökologie neuartiger Arboviren” am Institut für Virologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Mehr zu dem Thema