„Kinderbetreuung und Sorgearbeit kann nicht parallel zur Erwerbstätigkeit erledigt werden.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Bettina Kohlrausch

Sie haben für die Hans-Böckler-Stiftung eine Studie ausgewertet, die die Situation von Berufstätigen während der Corona-Pandemie untersucht hat. Auf welche gesellschaftlichen Gruppen wirkt sich die Corona-Pandemie besonders hart aus?

Besonders hart trifft die Corona-Pandemie Eltern. Wir haben festgestellt, dass Personen mit Kindern belasteter sind als Personen ohne Kinder. Außerdem wirkt sich die Corona-Pandemie ausgesprochen hart auf Frauen aus, weil sie deutlich mehr Sorgearbeit übernehmen, häufiger Arbeitszeit reduzieren und seltener eine Aufstockung der Kurzarbeit bekommen. Auch Menschen mit niedrigem Einkommen sind stärker betroffen, weil sie generell seltener eine Aufstockung der Kurzarbeit durch den Betrieb bekommen. Da die geschlechtsspezifische Verteilung zuungunsten von Frauen auf dem Arbeitsmarkt in unteren Gehaltsgruppen besonders stark ausgeprägt ist, sind also Frauen mit wenig Gehalt am stärksten betroffen.

Wie sind Sie zu den Ergebnissen Ihrer Studie gekommen?

Wir haben Anfang April in einer gewichteten Online-Erhebung etwa 7.500 Erwerbstätige befragt und können so ein nahezu repräsentatives Bild der Erwerbsbevölkerung zeichnen. Strenggenommen erfüllt die Studie damit nicht die Kriterien der Repräsentativität, da sie keine Zufallsstichprobe ist. Wir halten die Online-Befragung in der jetzigen Situation jedoch für ein angemessenes Mittel. Eine Zufallsstichprobe in Form einer Telefonbefragung hätte hingegen deutlich längere Erhebungszeiträume und würde in Zeiten von Corona zu Verzerrungen führen. Denn wenn die Befragung sechs Wochen läuft und Personen, die am Anfang dieser Zeit befragt wurden, und Personen, die am Ende dieser Zeit befragt wurden, gleichbehandelt werden, wird nicht beachtet, dass sich die Gesamtsituation und die Situation der Personen im Laufe der sechs Wochen enorm verändern kann.

„Außerdem denken wir, dass sich traditionelle Familienrollen verfestigen könnten“

Die Studie hat ergeben, dass auch Paare, die auf eine ausgewogene Aufteilung von Sorgearbeit achten, während der Corona-Pandemie in traditionelle Rollenverteilungen zurückfallen. Welche Faktoren beeinflussen diese Rollenverteilung?

Wir haben diese Tendenz bei 60 % der Paare, die sich vor der Corona-Pandemie die Sorgearbeit fair geteilt haben, gesehen. Bei Paaren mit einem geringeren Gehalt ist diese Entwicklung noch einmal stärker ausgeprägt. Wir glauben, dass Paare zurzeit nicht auf das Gehalt des Mannes, das ja meistens höher ist, verzichten können. Hier führen also strukturelle Faktoren – die es natürlich auch schon vor der Corona-Pandemie gegeben hat –dazu, dass Frauen benachteiligt sind, dass Frauen den höheren Teil der Sorgearbeit übernehmen und dass Paare zurück in alte Rollenmuster fallen.

Arbeiten Personen, die weniger verdienen, eher in Berufen, die nicht gut mit Homeoffice kompatibel sind?

Ja, das kommt noch dazu. Deswegen müssen diese Personen eben häufiger ihre Arbeitszeit reduzieren. Man sieht generell, unabhängig von Mann oder Frau, dass Personen, die in Haushalten mit niedrigeren Einkommen leben, häufiger ihre Arbeitszeit für die Kinderbetreuung reduzieren, weil sie eben nicht die Möglichkeit haben, im Homeoffice zu arbeiten.

Welche Folgen hat diese Arbeitszeitreduzierung?

Die Arbeitszeitreduzierung geht teilweise mit Lohnverlusten einher. Außerdem denken wir, dass sich traditionelle Familienrollen verfestigen könnten und sich die Arbeitszeitreduzierung schlecht auf die beruflichen Perspektiven von Frauen auswirken könnte. Wenn Frauen jetzt ihre Arbeitszeit reduzieren und wir in eine Situation kommen, in der der Arbeitsmarkt generell angespannter ist, stellt sich die Frage, ob es ohne weiteres möglich ist, auf die volle Stundenanzahl zurückzukommen. An dieser Stelle will ich betonen, dass ich es plausibel finde, von diesen Folgen auszugehen. Welche Folgen dann wirklich eintreten, wissen wir aber noch nicht genau.

„Das ist einfach eine Missachtung und Geringschätzung von Sorgearbeit und ich hätte eigentlich gedacht, dass wir als Gesellschaft weiter sind.“

Wie bewerten Sie die Idee von Corona-Elternzeit oder Corona-Elterngeld?

Die Grundidee finde ich richtig. Wir brauchen einen vernünftigen Lohnersatz, wenn Eltern Arbeitszeit für Kinderbetreuung reduzieren. Außerdem brauchen wir auch eine flexiblere Form der Arbeitszeitreduktion und ein Rückkehrrecht in die Vollzeit nach Arbeitszeitreduktion. Ich finde es wichtig, Anreize zu schaffen, dass auch Männer Arbeitszeit reduzieren, gerade weil wir sehen, dass das überwiegend Frauen machen. Wenn ein mögliches Corona-Elterngeld an die Bedingung geknüpft ist, dass beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren, muss man aber natürlich aufpassen, dass die Frauen, deren Männer sich schlichtweg weigern das zu machen, nicht zu kurz kommen.

Denken Sie, dass die Politik Familien während der Corona-Pandemie ausreichend unterstützt?

Mein Eindruck ist, dass Familienpolitik nicht so auf der Agenda stand, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich möchte das beispielhaft an zwei Sachen zeigen. Erstens finde ich es doch sehr erstaunlich mit welcher Selbstverständlichkeit die Schulen und Kitas geschlossen wurden und davon ausgegangen wurde, dass das schon irgendwie innerhalb der Familien organisiert wird. Wenn man die Betreuungsfrage mit der gleichen Dringlichkeit wie der, den Spargel vom Feld zu holen, betrachtet hätte, hätte man vielleicht doch noch kreativere Ideen gefunden, was die Unterstützung von berufstätigen Eltern angeht. Zweitens irritiert es mich, dass im Infektionsschutzgesetz geregelt ist, dass das Recht auf Arbeitszeitreduktion oder Urlaub nur wirkt, wenn man keine angemessene Form der Betreuung hat und Homeoffice als angemessene Form der Betreuung gilt. Diese Idee, dass Homeoffice mit gleichzeitiger Kinderbetreuung vereinbar ist, zeigt, dass der Gesetzgeber noch nicht verstanden hat, dass Sorgearbeit Arbeit ist. Arbeit, die man nicht parallel zur Erwerbstätigkeit erledigen kann. Das ist einfach eine Missachtung und Geringschätzung von Sorgearbeit und ich hätte eigentlich gedacht, dass wir als Gesellschaft weiter sind.

„Insofern ist eine Ausweitung und qualitative Verbesserung des Betreuungsangebots nötig.“

Woran liegt das?

Lange Zeit war Sorgearbeit einfach eine unsichtbare Tätigkeit von Frauen, die aber zentral war, um die Erwerbstätigkeit der Männer aufrechtzuerhalten. Und dieses Unischtbarmachen und Nichtwertschätzen ist offensichtlich immer noch tief verankert.

Welche Maßnahmen müsste die Politik also treffen?

Unsere Studie lässt erkennen, dass Eltern unter dem Druck von zusätzlicher Kinderbetreuung dazu tendieren, in traditionelle Rollenmuster zurückzufallen. Das heißt, wenn Eltern an dieser Stelle entlastet werden, haben sie mehr Spielräume für eine faire Rollenverteilung. Insofern ist eine Ausweitung und qualitative Verbesserung des Betreuungsangebots nötig. Außerdem ist eine vernünftige Entlohnung von Frauen wichtig. Diese würde es Familien leichter machen, auf das Gehalt des Mannes zu verzichten und die interne Verhandlungsposition von Frauen stärken. Am Ende des Tages sind das ja auch immer innerfamiliäre Verhandlungsprozesse.

 

Zur Person

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch ist wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung und Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildungssoziologie an der Universität Paderborn.

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