Apropos Social Media: Tragen auch Aktionen in den sozialen Medien wie #wirbleibenzuhause oder #WirvsVirus zu einer Verhaltensänderung bei?
Das ist eine gute Frage! Ich kenne die Antwort nicht, aber man könnte das testen. Ein anderer schöner Hashtag ist #staythefuckhome, eher etwas drastischer. Es gibt Forschungen zu solchen moralischen Appellen und wann sie in anderen Kontexten einen Einfluss haben. Die finden aber – wie bereits erwähnt – meist in Laborexperimenten statt. Und selbst wenn sie großflächig getestet wurden ist die Generalisierbarkeit solcher Erkenntnisse ein konstantes Problem: das wissen die WissenschaftlerInnen aber auch. Man könnte zum Beispiel untersuchen, ob es effektiver ist zu sagen: Das ist gut für dich, weil du gesund bleibst. Oder: Es hilft deiner Umgebung um dich herum. Die Ergebnisse wären natürlich abhängig vom kulturellen Kontext. So gibt es Länder, in denen es relativ effektiver ist, an das soziale oder altruistische Verhalten zu appellieren als an das Individuum. Genau diese Erkenntnisse gibt es hier zusammengetragen von van Bavel et al., viel besser, als ich das jetzt wiedergeben kann.
Bei der Klimakrise ist auch eine Änderung unseres Verhaltens notwendig. Wie unterscheiden sich die beiden Krisen und bedürfen sie unterschiedlicher Strategien?
Die Klimakrise ist gefühlt vermeintlich einfach weiter weg – obwohl das gar nicht wahr ist, denn wir spüren die Auswirkungen der Klimakrise schon jetzt und global. Die Corona-Krise betrifft uns gerade ganz offensichtlich, bei jedem von uns zuhause, am Bildschirm und vermutlich auch im Schlaf – und sie ist das einzige Thema über das wirklich alle auf der ganzen Welt reden. Das ist für die Klimakrise aus unterschiedlichen Gründen nicht der Fall. Gründe dafür sind beispielsweise kurzfristige Profite oder Akteure, die aktiv dagegen arbeiten, dass das Klimathema auf die politische Tagesordnung kommt. Die Aktivitäten der Lobbies für fossile Brennstoffe sind ja gut dokumentiert. Es ist interessant, dass es diese Akteure in der jetzigen Pandemie kaum gibt. Ähnlich wie bei der Klimakrise wussten wir aber schon früher, dass unsere Gesundheitssysteme nicht resilient genug sind, um das jetzt alles auszuhalten. Gesundheitsminister Spahn hat bereits im Oktober 2019 auf dem World Health Summit in seiner Rede gesagt, dass wir nicht bereit sind für eine globale Pandemie. Seit Jahren gibt es Kurse der WHO zu „pandemic preparedness” und Stiftungen wie die Gates Foundation haben sehr ähnliche Fälle mit in science diplomacy-Kursen gelehrt. Es ist also kein Wissensproblem. Corona ist eben kein „unknown unknown” sondern ein „known unknown”. Nun gibt es immer wieder Vorschläge, man sollte die Corona- und Klimakrise nicht nur stärker vergleichen, sondern auch die Dringlichkeit der einen Krise für die Dringlichkeit der anderen „nutzen”. Ich sehe eine Instrumentalisierung der Corona-Krise, besonders wenn sie auf Furcht und anderen Emotionen aufbaut, als ethisch problematisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nachhaltige Lösungen daraus erwachsen können, dass man die Furcht der einen Krise auf die andere überträgt. Wir haben ja nicht nur diese zwei, sondern vielfältige, sich überlagernde „Krisen” oder globale Herausforderungen von Biodiversitätsverlusten, globalen Ungleichheiten, Landnutzungfragen und nun auch einer kommenden Wirtschaftskrise. Ich finde wir sollten eher eine andere Perspektive einnehmen und zum Beispiel das Rahmenwerk der Global Nachhaltigkeitsziele (SDGs) der Vereinten Nationen nutzen, um diese Problematiken insgesamt in ihren Wechselwirkungen und Verknüpfungen zu verstehen. Der erste Reflex der Psychologie ist natürlich die Perspektive aufs Individuum, wir sollten den Blick hier aber eindeutig weiten.