Foto: Privat

„Ein erheblicher Teil der Maßnahmen wirkt eher langfristig als kurzfristig.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christian Leßmann

Wie bewerten sie das Konjunkturpaket insgesamt aus ökonomischer Sicht?

Im Großen und Ganzen finde ich das Maßnahmenpaket in Ordnung. Aber die konjunkturelle Wirkung wird überschaubar sein. Wichtig für ein Konjunkturprogramm ist ja, dass es sehr kurzfristig Wirkung entfaltet. In der Corona-Krise haben wir einen gleichzeitigen Nachfrage- und Angebotsschock. Angebotsseitig sind die Lockerungsmaßnahmen wichtig, damit der Warenverkehr wieder frei fließen kann und die Produktion hochgefahren wird. Auch Gaststätten, Hotels und Einzelhandel können nur anbieten, wenn sie es auch dürfen. Nachfrageseitig können Impulse grundsätzlich durch eine Erhöhung der Staatsausgaben oder eine Verringerung der Steuern gesetzt werden. Wichtig ist aber, dass das Geld schnell zum Einsatz kommt. Das Regierungsprogramm sieht jedoch auch gut 50 Milliarden Euro für ein Zukunftspaket vor. Dies beinhaltet etwa die steuerliche Forschungsförderung für die Entwicklung von Quantencomputing und KI oder eine bessere Ladeinfrastruktur für E-Autos. Das mag zwar strukturell gut eingesetztes Geld sein. Ganz sicher wird es aber keine kurzfristigen Effekte auf die Konjunktur haben. Vermutlich wirkt die Therapie hier erst dann, wenn der Patient wieder gesund ist. Und dann droht die Überdosis.

„Im Allgemeinen sind Ökonomen keine Freunde einer Gießkannenpolitik, aber in diesem speziellen Fall hat es Vorteile: schnelle Wirksamkeit und Gleichbehandlung der Branchen.“

Insbesondere die Senkung der Mehrwertsteuer hat viele in der Öffentlichkeit überrascht.

Ich zumindest bin positiv überrascht. Die Diskussionen der letzten Wochen haben ja unzählige Lobbyisten auf den Plan gerufen, die für deren Branche gezielte Maßnahmen gefordert haben. Die Senkung der Mehrwertsteuer kommt allen zugute, und es entscheidet der Konsument darüber, welche Güter er kaufen möchte oder nicht. Im Allgemeinen sind Ökonomen keine Freunde einer Gießkannenpolitik, aber in diesem speziellen Fall hat es Vorteile: schnelle Wirksamkeit und Gleichbehandlung der Branchen.

Was kann diese Maßnahme bewirken – vor allem wenn sie ja nur für sechs Monate kommt?

Die Befristung der Maßnahme verstärkt die gewünschte kurzfristige konjunkturelle Wirkung. Wenn ich ein langlebiges Konsumgut anschaffen möchte, etwa einen PKW oder eine neue Küche, dann lohnt es sich durchaus, den Erwerb auf das Jahr 2020 vorzuziehen. Nächstes Jahr wird es teurer. Ziel der Konjunkturpolitik ist ja gerade, jetzt einen Nachfrageimpuls zu setzen. Konsumgüter, die eher dem Verbrauch zuzuordnen sind, werden auch etwas günstiger, sodass auch hier die Nachfrage stimuliert wird.

„Die Mehrwertsteuersenkung begünstigt relativ ärmere Haushalte.“

Welche Maßnahmen halten sie für besonders vielversprechend? Und welche eher für weniger wirksam?

Die Mehrwertsteuersenkung halte ich für vielversprechend, auch weil sie zugleich günstige Verteilungswirkungen hat. Alle Bürger zahlen natürlich den gleichen Mehrwertsteuersatz, aber ärmere Haushalte geben einen größeren Anteil ihres Einkommens für Konsum aus. Damit begünstigt die Mehrwertsteuersenkung relativ ärmere Haushalte. Diese sind von der Wirtschaftskrise auch überproportional betroffen, da sie häufig in Jobs sind, die derzeit mit Kurzarbeit verbunden sind. Reichere Haushalte sind seltener in Kurzarbeit und arbeiten im Homeoffice weiter. Für die Konjunktur wenig bringen die Maßnahmen für die Automobilwirtschaft, wie etwa die Förderung von Forschung und Entwicklung bei der Batteriezellenfertigung. Diese wirken nur sehr langfristig.

Ebenfalls viel Geld wird in die Kommunen gesteckt. Wie sinnvoll ist das? Und was erhofft man sich davon?

Kommunen bestreiten einen Großteil Ihrer Ausgaben über die Einnahmen aus Grund- und Gewerbesteuern. Die Gewerbesteuern basieren ja auf Unternehmensgewinnen und werden in diesem Jahr vielerorts einbrechen. Hier beteiligt sich der Bund an den Einnahmenausfällen. Dadurch müssen Kommunen ihre Ausgaben nicht schlagartig kürzen, sodass dies wiederum die Nachfrage stabilisiert. Ich begrüße zugleich sehr, dass es nicht zu einer Altschuldenübernahme gekommen ist, wie vom Bundesfinanzminister gefordert. Solche bail-out Politiken sind nicht anreizkompatibel und tragen zur langfristigen Überschuldung bei.

 „Ich denke, dass diese Maßnahmen gut für die Nachfragestabilisierung sind, und zugleich dort helfen, wo die Not größer ist.“

Olaf Scholz hat den Satz gesagt, dass man mit „Wumms aus der Krise kommen will“ – erfüllt dieses Paket das?

Ein bisschen Psychologie ist schon dabei. Wie gesagt – ein erheblicher Teil der Maßnahmen wirkt eher langfristig als kurzfristig. Damit wird auch der konjunkturelle Effekt überschaubar sein. Aber bei der puren Addition all der Einzelmaßnahmen kommt eben ein dreistelliger Milliardenbetrag zusammen, der den Wirtschaftssubjekten signalisiert: Sehr her – wir tun was! Genau so ist sicher auch der Satz gemeint.

Es wurde im Vorfeld viel über Abwrackprämien und Co. diskutiert. Nun kommt diese nicht. Wie sinnvoll ist es, dass diese Maßnahme nicht kommt und wie bewerten sie die stattdessen getätigten Maßnahmen – die vor allem die Weiterentwicklung in der Automobilbranche fördern?

Ich finde erfreulich, dass es weniger direkte Maßnahmen für die Automobilindustrie gibt als zunächst diskutiert wurde. Die getroffenen Maßnahmen sind wie gesagt eher struktureller Natur und helfen möglicherweise langfristig bei der Modernisierung der Industrie. Konjunkturelle Effekte kommen hier eher durch die Reduktion der Mehrwertsteuer.

Wer wird vom Konjunkturpaket am meisten profitieren und wer am wenigsten?

Viele Maßnahmen adressieren wie eingangs erwähnt eher ärmere Haushalte. Die Mehrwertsteuer belastet diese Gruppe mehr also werden Sie auch mehr entlastet. Auch die Ausgaben für Strom treffen ärmere Haushalte stärker als reichere, sodass die Kürzung der EEG-Umlage hier etwas hilft. Die Einmalzahlung von 300€ pro Kind wird auch für ärmere Haushalte bedeutsamer sein, als für reichere. Insofern denke ich, dass diese Maßnahmen gut für die Nachfragestabilisierung sind, und zugleich dort helfen, wo die Not größer ist.

„Die Ökonomie wird sich mittelfristig von der Krise erholen.“

Welche nächsten Schritte wären sinnvoll?

Abwarten. Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, dass der Staat durch seine Politik einfach alles regeln kann. Die Ökonomie wird sich mittelfristig von der Krise erholen. Die Aufgabe des Staates ist, diesen Prozess zu begleiten und idealerweise etwas zu beschleunigen. Aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis muss mitgedacht werden. Wenn der Nachfrageimpuls in der kurzen Frist überschaubar ist, dann rechtfertigt dies eben keine hohen Milliardenbeträge, die junge Generationen in Zukunft belasten. Zudem dürfen wir nicht vergessen, dass Deutschland wirtschaftlich eine sehr offene Ökonomie ist. Viel von der Entwicklung unserer Wirtschaft und Gesellschaft hängt davon ab, wie es bei unseren Partnern läuft. Es braucht etwas Geduld um zu schauen, wie sich die Wirtschaft in Europa und der ganzen Welt erholt. Möglicherweise müssen wir eher darüber nachdenken, wie wir unseren EU-Partnern im Süden helfen können, da ein Euro dort möglicherweise sehr viel mehr bringt als ein weiterer Euro bei uns.

Sie hatten im vorherigen Gespräch das Kurzarbeitergeld als Maßnahme gelobt, wie bewerten sie es, dass dieses nun nicht verlängert wird?

Das Kurzarbeitergeld ist ein sehr effektives Instrument in Krisenzeiten. Es stabilisiert die Nachfrage, da die Betroffenen nicht einfach in die Arbeitslosigkeit fallen. Und es stabilisiert die Beschäftigungsverhältnisse in der Krise. Inwieweit die Verlängerung der Bezugsdauer sinnvoll ist, ist schwer zu beurteilen. Ein Unternehmen, dass länger als 12 Monate Kurzarbeit machen muss, ist sicherlich nicht als gesundes Unternehmen zu bezeichnen. Es wird durch die Krise ausgelöst eben auch strukturelle Veränderungen geben, etwa in der Luftfahrtindustrie oder beim Bau von Kreuzfahrtschiffen. Da werden Unternehmen und somit auch Beschäftigungsverhältnisse schrumpfen müssen. Ich glaube aber nicht, dass die Fallzahlen der verlängerten Bezugszeiten des Kurzarbeitergelds sehr groß sein werden. Insofern sendet die Maßnahme das Signal, dass die Regierung sich kümmert, mit der Hoffnung, dass es letztlich gar nicht zum Tragen kommt.

 

Zur Person

Prof. Dr. Christian Leßmann leitet das Institut für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität Braunschweig. Zudem ist er Forschungsprofessor am ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.

Mehr zu dem Thema