Foto: DIW Berlin / B. Dietl

„Insgesamt hätte ich mir etwas mehr Weitsicht von Seiten der Politik gewünscht“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. C. Katharina Spieß

Letzte Woche hat die Bundesregierung ein umfangreiches Konjunkturpaket beschlossen. Wie bewerten Sie das Paket aus ökonomischer Perspektive?

Was mich als Bildungs- und Familienökonomin interessiert ist, wie insbesondere Familien und Bildungsangebote in dem Konjunkturpaket bedacht sind. Da sind zwei Elemente wichtig: Zum einen der Kinderbonus und zum anderen die Mittel, die in den Bereich der Kindertageseinrichtungen und die Schulen fließen. Insgesamt sieht man, dass etwa sieben von 130 Milliarden Euro explizit im Bereich Bildung und Familie investiert werden – das sind knapp 6 Prozent. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen ist das relativ wenig, das heißt Bildung und Familie werden nur in geringem Ausmaß berücksichtigt. Es gibt zwar eine Reihe indirekter Maßnahmen, die auch Familien zu Gute kommen können, wie beispielsweise die Senkung der Mehrwertsteuer. Trotzdem ist das explizite Signal, was mit dem Konjunkturpaket an Familien und auch Bildungsinstitutionen gesendet wird, nicht sehr stark.

Eines der konkreten Maßnahmen ist die Zahlung eines Kinderbonus von 300 € pro Kind vor. Ist diese Zahlung sinnvoll?

Der Kinderbonus ist zuallererst ein explizites Signal an die Familien. Die Politik macht damit deutlich, dass ihr bewusst ist: Familien sind großen Belastungen im Zuge der Pandemie ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund ist der Kinderbonus ein wichtiges Signal! Andererseits halte ich es aber nicht für sinnvoll, dass wir in mehr Geldleistungen investieren, die mehr oder weniger pauschal allen Familien zu Gute kommen. Immerhin erfolgt die Verrechnung des Kinderbonus mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag und er wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet. Das sind kleine aber sinnvolle Korrekturen nachdem zunächst allen der gleiche Betrag ausgezahlt werden sollte.

„Ich hätte mir gewünscht, dass mehr in innovative Ansätze investiert wird, welche es allen Kindern ermöglichen, Bildungsangebote zu nutzen.“

In welchen Bereichen hätten Sie sich eine stärkere Förderung gewünscht?

Ich hätte mir gewünscht, dass mehr in innovative Ansätze investiert wird, welche es allen Kindern ermöglichen, Bildungsangebote zu nutzen. Denn wie wir aktuell sehen, ist es vor allem eine öffentlich finanzierte Infrastruktur im Bereich von Bildung und Betreuung, die Familien fehlt, auf die sie aber angewiesen sind. Schauen wir uns die Verteilung der Gelder an, die explizit Familien zu Gute kommen, so sehen wir aber, dass ein Großteil in den Kinderbonus fließt, weniger in Bildungs- und Betreuungsangebote, in Kitas und Schulen. Da aber jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, wäre es sinnvoller gewesen, den Schwerpunkt auf Investitionen in die Bildungsinfrastruktur zu legen und nicht auf Geldleistungen.

Sie hatten in unserer Live-Debatte insbesondere die schwierige Situation der Eltern und insbesondere Mütter in der aktuellen Zeit hervorgehoben, die ein Großteil der Betreuungsarbeit übernehmen und Arbeit und Familie vereinbaren müssen. Hätten Sie sich gewünscht, dass man diese besondere Belastung durch das Konjunkturpaket beheben möchte?

Zusammen mit Kolleg*innen am DIW Berlin habe ich unterschiedliche Vorschläge entwickelt, wie Familien in der Pandemie besser unterstützt werden können, beispielsweise mit einem Corona-Elterngeld oder einer räumlichen und personellen Entzerrung der Bildung und Betreuung in Kitas und Schulen. In dem aktuellen Konjunkturpaket wurde aber vor allem auf die klassischen Instrumente zurückgegriffen – viel Innovatives sehe ich in diesem Bereich nicht. Ich hätte mir gewünscht, dass die Politik innovativere Lösungen umsetzt, um unter anderem auch der zu erwartenden steigenden Bildungsbenachteiligung entgegen zu wirken. Es gibt zwar recht enge Grenzen, wie der Bund in Bildungsangebote investieren kann, da dafür die Länder und Kommunen zuständig sind, allerdings wären befristete Förderprogramme durchaus möglich gewesen.

„Wir lernen, dass in Deutschland die Förderung und Unterstützung von Familien nicht die Aufmerksamkeit zukommt, die der Bedeutung von Familie für unserer Gesellschaft und Volkswirtschaft entspricht.“

Bei der Vorstellung des Pakets wurde deutlich, dass die Mehrbelastung der Eltern durchaus gewürdigt werden sollte. Entschädigt die Einmalzahlung des Kinderbonus dafür ausreichend oder welche Summe wäre dafür tatsächlich angebracht?

Es ist es sehr schwer pauschal zu berechnen, welche Mehrkosten Familien in den letzten Monaten entstanden sind. Hinzu kommt, dass nicht alle Familien im gleichen Umfang von der Krise betroffen sind. Es gibt Familien, die massiv durch Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit belastet sind, andere hingegen haben keine Einkommensveränderungen zu verzeichnen, sind aber durch die zusätzlichen Betreuungsaufgaben belastet. Es sind unglaublich viele Facetten zu bedenken, die es schwer machen die unterschiedlichen Belastungen für Familien mit einem äquivalenten Geldwert zu bewerten.

Was lernen wir insgesamt im Allgemeinen aus den letzten Monaten und im Speziellen aus dem Konjunkturpaket über den Stand von Kindern und Familien in unserer Gesellschaft?

Wir lernen, dass in Deutschland die Förderung und Unterstützung von Familien nicht die Aufmerksamkeit zukommt, die der Bedeutung von Familie für unserer Gesellschaft und Volkswirtschaft entspricht. Wir wissen, dass mit dem Konjunkturpaket die folgenden Generationen stark belastet werden. In diesem Zusammenhang verwundert es dann aber schon, dass die Investitionen in das Humanpotential dieser nächsten Generation eher gering ausfallen. Eigentlich sollte das Konjunkturpaket in diesem Bereich innovativ in die Zukunft wirken. Das ist aber nur in sehr geringem Ausmaß gelungen. Insgesamt hätte ich mir etwas mehr Weitsicht von Seiten der Politik gewünscht, so hätte sie mehr Ressourcen für Investitionen in unserer Humanpotential von morgen – unsere Kinder – vorsehen sollen.

 

Zur Person

Prof. Dr. C. Katharina Spieß leitet die Abteilung Bildung und Familie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und hat an der Freien Universität Berlin die Professur für Bildungs- und Familienökonomie inne. Zudem war sie Expertin unserer Live-Debatte am 14. Mai zum Thema „Corona-Pandemie: Streitthema Kinder“.

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