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Plötzlich Ersatzlehrerin

Was macht das Homeschooling mit Eltern, Kindern und den Schulen?

Als vor rund zwei Monaten die Schulen aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus schließen mussten, stellte das Schüler, Eltern und Lehrkräfte vor eine ganz unerwartete Herausforderung. Eine Ausnahmesituation für alle, aber besonders für Eltern. Einerseits mussten sie nun ihre Kinder ganztags betreuen, oft neben ihrer beruflichen Tätigkeit, andererseits wurden sie quasi über Nacht zu Ersatzlehrkräften für den Nachwuchs. Homeschooling, was unter normalen Umständen in Deutschland verboten ist, wurde zum Begriff der Stunde.

Wie Eltern das Homeschooling erleben, haben bereits zwei Studien begonnen zu erforschen. Eine Studie der Universität Magdeburg hat dabei die Grundschulen in den Blick genommen, während die  Universität Koblenz-Landau auch Eltern befragt, deren Kinder weiterführende Schulen besuchen. Erste Ergebnisse beider Studien wurden bereits veröffentlicht, die Befragung der Universität Magdeburg ist mittlerweile auch abgeschlossen.

„Wenn die Unterstützung der Schule als gut empfunden wird, ist das Stressempfinden der Eltern niedriger.“

Prof. Dr. Raphaela Porsch, Universität Magdeburg

Eine der deutlichsten Erkenntnisse: Die Zufriedenheit der Eltern mit der Situation ist stark davon abhängig, wie viel Rückmeldung sie von den Schulen bekommen. „Unsere Studie zeigte, dass nicht alle Eltern gestresst sind. Wenn die Unterstützung der Schule als gut empfunden wird, ist das Stressempfinden der Eltern niedriger. Dann kommen natürlich noch andere Faktoren hinzu, wie die Situation zu Hause in den Familien oder die berufliche Situation“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Raphaela Porsch, die die Studie an der Universität Magdeburg durchgeführt hat. Zwar erhielten nahezu alle der teilnehmenden Eltern Materialien von den Lehrkräften, überwiegend per Email, aber auch postalisch oder über Lernplattformen. Videochats oder Videokonferenzen wurden jedoch nur rund zwei Prozent der Schüler angeboten. „Eltern wünschen sich mehr Kontakt mit den Lehrkräften, egal ob in Form von Videochats, Anrufen oder Emails. Hauptsache es gibt Rückmeldungen, diese sind auch wesentlich für den Lernprozess der Kinder“, so Porsch.

Ähnliches berichtet auch Prof. Dr. Anja Wildemann , Professorin für Grundschulpädagogik, die zusammen mit Prof. Dr. Ingmar Hosenfeld vom Zentrum für Bildungsforschung (zepf) die Studie der Universität Koblenz-Landau durchgeführt hat. „Eltern haben des Weiteren oft berichtet, dass sie keinen Rhythmus erkennen können bei der Zuteilung der Aufgaben, sie vermissen so etwas wie einen Wochenplan. Das würde zu mehr Planbarkeit im Alltag führen und klarere Vereinbarungen zwischen Eltern und Kindern zulassen“, so Wildemann. Denn eigentlich sollten Eltern vor allem eines nicht sein: Ersatzlehrer. Immerhin ein Viertel der Eltern gab an, dass diese Funktion die Beziehung zu ihren Kindern belaste.

„Jetzt wird sich auch nochmal alles erneut ändern mit der schrittweisen Öffnung der Schulen.“

Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist, Georg-Eckert-Institut

Befragungen von Kindern bestätigen diese Aussage. Die Medienstudie JIMPlus hat Schüler zwischen 12 und 19 Jahren unter anderem zum Thema Homeschooling befragt. Darin zeigte sich, dass ältere Schüler weniger auf ihre Eltern angewiesen sind und oftmals lieber Freunde um Hilfe bitten oder Videotutorials ansehen. Aber nur ein Drittel der Jugendlichen gab an, dass sie die Anleitungen der Schule zum Lernen nutzen würden und rund ein Drittel hatte kaum Kontakt zu den Lehrkräften. Schlechte Noten für das Homeschooling vergaben dennoch nur wenige Schüler: die große Mehrheit zeigte sich mindestens zufrieden.

Auch wenn die Umfragen unter Eltern und Schülern anderes vermuten lassen: Lehrkräfte wünschen sich in einer überwiegenden Mehrheit den persönlichen Kontakt zu Schülern, wie eine aktuelle Studie im Auftrag der Vodafone Stiftung ergeben hat. Den Kontakt zu halten und wirklich alle Schüler zu erreichen, gelang letztendlich jedoch nur einem Drittel. Die meisten Lehrkräfte hatten außerdem nicht das Gefühl, dass ihre Schule gut auf die Situation vorbereitet gewesen sei.

Die Professorin für Medienforschung und Leiterin der Abteilung Mediale Transformationen am Georg-Eckert-Institut in Braunschweig, Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist, erwartet jedoch einen Rückgang dieser Probleme: „Am Anfang gab es viel Unsicherheit und Durcheinander während Schulen und Ministerien versucht haben zu klären, wie es weitergehen soll. In Niedersachsen beispielsweise wurde der Unterricht bis zu den Osterferien gestrichen, Lehrer durften nur freiwillige Aufgaben zur Wiederholung verteilen. Jetzt wird sich auch nochmal alles erneut ändern mit der schrittweisen Öffnung der Schulen.“

„Technologie alleine reicht nicht aus, es muss auch überlegt werden, wie diese eingesetzt wird.“

Prof. Dr. Raphaela Porsch, Universität Magdeburg

Eine Hürde stellten unter anderem die digitalen Tools dar, die nun zunehmend verwendet werden mussten. Streng genommen dürften Chats etwa über WhatsApp aus datenschutzrechtlichen Gründen von Lehrerkräften in vielen Bundesländern gar nicht benutzt werden, funktionierende Alternativen und stabile Lernplattformen sind jedoch rar in einer Zeit, in der alle darauf zurückgreifen. Vor allem fehlt es auch an entsprechenden Kompetenzen bei vielen Lehrkräften. „Digitalisierung wurde bisher viel im Rahmen von Präsenzunterricht diskutiert, die Situation jetzt ist aber eine ganz andere. Das führt zu eher klassischen Aufgaben wie dem Bearbeiten von Arbeitsblättern. Die methodische Vielfalt ist da oft auf der Strecke geblieben“, sagt Anja Wildemann. „Die Politik sollte jetzt ganz klar Angebote an Lehrkräfte richten und Schulen die Möglichkeit geben, von Experten unterstützt zu werden.“ Digitale Hilfsmittel seien jedoch kein Allheilmittel, auch nicht in der aktuellen Situation, sagt Raphaela Porsch: „Technologie alleine reicht nicht aus, es muss auch überlegt werden, wie diese eingesetzt wird. In unserer Befragung war es den Eltern auch nicht wichtig, ob sie bzw. ihre Kinder nun per Videochat oder telefonisch von den Lehrkräften kontaktiert werden.“

Felicitas Macgilchrist plädiert dennoch dafür, dass Schulen ausreichend Leihgeräte wie Laptops zur Verfügung stellen: „Ein Gerät zu haben ist natürlich nicht alles, aber ein Gerät ist das Mindeste, dass überhaupt etwas anderes stattfinden kann. Ich habe von Schulen gehört, die nur Videokonferenzen gemacht haben, wenn sie sicher waren, dass alle in der Klasse ein Gerät haben um daran teilzunehmen, damit eben niemand benachteiligt wird“.

„Es muss berücksichtigt werden, dass manche Eltern ihre Kinder weniger unterstützen können und dass es bei der Ausstattung auch nicht nur um Smartphones geht, sondern viele Familien beispielsweise keinen Drucker oder Scanner besitzen, um simple Arbeitsblätter zu nutzen“

Prof. Dr. Anja Wildemann, Universität Koblenz-Landau

Dieser Erfahrungsbericht spiegelt eine Befürchtung wider, die die drei Forscherinnen gleichermaßen beschäftigt: zunehmende Bildungsungleichheit. „Nun ist ganz stark das Elternhaus aber auch die individuelle Unterstützung der Lehrkräfte dafür verantwortlich, wie viel Kinder lernen. Man kann davon ausgehen, dass es Kinder gibt, die dabei eher Nachteile haben. Von den Schulen wünsche ich mir daher Angebote an Kinder, die Schwierigkeiten im Homeschooling hatten“, sagt Porsch. Wie es speziell diesen Kindern und Familien mit dem Homeschooling geht, wurde durch die Eltern-Befragungen nicht gezielt erfasst. Als Online-Befragungen erreichten die Fragebögen überwiegend interessierte Eltern mit mittlerem oder hohem Bildungsabschluss, die zuhause Deutsch sprechen. „Es muss berücksichtigt werden, dass manche Eltern ihre Kinder weniger unterstützen können und dass es bei der Ausstattung auch nicht nur um Smartphones geht, sondern viele Familien beispielsweise keinen Drucker oder Scanner besitzen, um simple Arbeitsblätter zu nutzen“, sagt Wildemann. Sie weist auf eine weitere Ungleichheit hin, die sich in ihrer Studie herauskristallisiert hat: An der Befragung haben hauptsächlich Mütter teilgenommen, die auch angaben, in erster Linie für den Heimunterricht verantwortlich zu sein.

„Das wichtigste ist, in Kontakt zu bleiben, egal ob man das nun digital oder persönlich macht.“

Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist, Georg-Eckert-Institut

Trotz der vielen negativen Aspekte konnten die befragten Eltern auch Positives aus der neuartigen Situation ziehen. „Eltern haben einen viel tieferen Einblick in das Lernen ihrer Kinder bekommen. Vorteilhaft für viele Schüler ist die flexible Lernzeit. Für mich ergeben sich da viele Möglichkeiten der Individualisierung, die auch zukünftig im Unterricht stärker genutzt werden können. Gleichzeitig sollte der Austausch mit den Lehrkräften und das Reflektieren in der Gruppe im Präsenzunterricht in den Mittelpunkt rücken“, sagt Porsch. Die Erziehungswissenschaftlerin sieht außerdem ein Potenzial für verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Eltern und den Lehrkräften. Anja Wildemann erhofft sich eine Stärkung des diagnostischen Blicks durch die Pädagogen: „Lehrkräfte müssen nun deutlich differenzierter an den individuellen Stand eines jeden Schülers anknüpfen.“

Den Eltern raten die beiden Erziehungswissenschaftlerinnen trotz der aktuellen großen Herausforderungen gelassen zu bleiben. Sie dürften ruhig das Feedback von den Lehrkräften einfordern und seien nicht selbst für alles verantwortlich, was die Kinder momentan in der Schule verpassen. „Letztendlich muss es auch wieder mehr Familienleben geben, das soll nicht nur alles immer mit der Schule zu tun haben“, sagt Wildemann.

Die Medienforscherin Macgilchrist hat dagegen einen wichtigen Rat für die Lehrkräfte: „Das wichtigste ist, in Kontakt zu bleiben, egal ob man das nun digital oder persönlich macht. Und bei der Anwendung von digitalen Tools sollte bedacht werden, dass die Fehlertoleranz momentan recht hoch ist. Niemand erwartet eine Hochglanz-Videoproduktion, Schüler freuen sich schon, ihre Lehrkräfte überhaupt in Videos zu sehen. Das ist manchmal besser für sie als die Tutorials von fremden Personen. Es kann also einfach mal alles ausprobiert werden.“

 

 

 

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