Eine breite Medienlandschaft gilt gemeinhin als Garant der Meinungsvielfalt. Diese Erkenntnis spiegelt sich beispielsweise im Rundfunkstaatsvertrag (seit 2020 im Medienstaatsvertrag) der Bundesrepublik wieder. Dort hieß es: «Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und privater Rundfunk sind der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sowie der Meinungsvielfalt verpflichtet». Was die privaten Medien, früher also die Presseverlage betrifft, so habe man schon in den 1950ern erkannt, dass keine neuen Pressemonopole entstehen dürften, die bestimmte Meinungen als die einzige herrschende verbreiten könnten. Seither sei es Aufgabe der Kartellbehörde gewesen, aufzupassen, ob nicht ein Medieneigentümer in seinem Verbreitungsgebiet eine marktbeherrschende Stellung erlange, „etwa, indem er andere Zeitungen aufkauft und damit die publizistische Vielfalt einschränkt”, erinnert Haller. „Weil man erkannt hatte, dass eine funktionierende Demokratie auf Meinungsvielfalt angewiesen ist.” Natürlich sei dies ein Leitbild, betont Haller, nicht anders als die Idee der gelingenden gesellschaftlichen Verständigung. Dies seien normative Modelle, ergänzt Haller, nicht anders als das Leitbild der Demokratie mit ihren Grundrechten. Für ihre Gewährleistung müssten wir tagtäglich streiten und kämpfen – ganz besonders heute, weil sich im Internet medienbeherrschende Monopole entwickelt hätten. “Mit ihnen verbindet sich die Gefahr, dass die neu geschaffenen Foren der freien Meinungsäußerung von den monopolisierenden Medienkonzernen weggespült würden”, sagt Haller. „Wenn Google, YouTube, Instagram, Facebook oder Twitter als privatwirtschaftliche Unternehmen selbst entscheiden, wen sie ein- und ausschließen und was sie zulassen und was nicht, dann ist dies für die meinungsoffene Zivilgesellschaft ein bedrohlicher Trend”.
Eine weitere Gefahr sieht Haller darin, dass die großen Online-Newsanbieter im Medienwettbewerb fast nur noch um Reichweiten kämpfen, damit sie der Werbewirtschaft möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer anbieten können. Statt der inhaltlichen Relevanz der Nachrichten zähle die größtmögliche Aufmerksamkeit, die man mit möglichst vielen, meist bedeutungslosen Info-Häppchen erzielen könne. Für diese Gefahr, sagt Haller, hätten die Amerikaner den treffenden Ausdruck geprägt: „overnewsed but underinformed”. Diese Überfülle an Belanglosigkeiten, aber auch an irreführenden Nachrichten und Falschbehauptungen könnten „auf der Rezipientenseite zu einer folgenreichen Desorientierung führen”, fügt Haller an.
Beide Tendenzen beschädigen den öffentlichen Diskurs und so auch das demokratische Zusammenleben. Damit eine so komplexe Gesellschaft wie die deutsche mit sich selber im Gespräch bleiben könne, müsse vor allem auf der untersten Ebene, dem informatorischen Grundrauschen, mit der Sanierung begonnen werden, ist Haller überzeugt. Denn die Grundlage jeder Meinungsbildung müsse die zutreffende Beschreibung der Ereigniswelt sein. Andernfalls, fügt Haller bei, fielen wir zurück in die Zeit vor der Aufklärung, als man sich aus Unkenntnis die Vorgänge nur mit Hilfe von Verschwörungen und Dämonen erklären konnte. Deshalb, folgert Haller, sei die Idee der Verständigung davon abhängig, dass vor allem die jungen Erwachsenen die erforderlichen Kompetenzen erwerben, um die Informationsangebote im Internet durchschauen und qualifizieren zu können. Informations- und Medienkompetenz sei die neue Schlüsselqualifikation, schließt Haller, die bereits in den Grundschulen vermittelt werden sollte. Haller plädiert, wie viele andere Expert*innen auch, für einen erweiterten Kompetenzbegriff, der den Unterrichtsstoff und die Schuldidaktik mitprägen müsste. „Durch den kompetenten Umgang mit den unterschiedlichsten Medienangeboten, die man im Schulalter kennenlernen sollte, werden sich nach und nach neue, diskursive Formen der Debattenkultur herausbilden.“ Trotz seiner Medienkritik bleibt Haller optimistisch.