Welche Veränderungen haben Sie in Ihrer Forschung in Debatten wahrgenommen?
Hier möchte ich zwei Punkte nennen, die mit Blick auf die aktuelle Debattenkultur auffallen. Der erste Punkt: Wenn wir uns die heutigen Debatten anschauen, beispielsweise die um den Pflanzenschutz, den Tierschutz, den Klimawandel oder die Corona-Pandemie, dann zeichnen sich all diese Debatten durch einen starken, fast schon selbstverständlichen Bezug auf naturwissenschaftliche oder soziologische Studien aus. Dabei rücken die eigenen Motive und Interessen, mit denen auf die Studien verwiesen wird, deutlich in den Hintergrund. Wir unterhalten uns also gar nicht mehr über die Interessen selbst, sondern nur noch über die Studien. Die Frage, ob die Interessen selbst gerechtfertigt sind, fällt aus dem Diskurs heraus. An die Stelle des Streits um Ziele und Interessen tritt ein Gefecht um die Relevanz von Studien.
Ein zweiter Punkt ist, dass Debatten häufig so geführt werden, als müsste unbedingt ein bestimmtes Ergebnis dabei herauskommen. Debatten im Gerichtssaal oder im Bundestag müssen natürlich ergebnisorientiert sein, denn man muss zu einem Urteil kommen oder über einen Gesetzentwurf entscheiden. Aber ich glaube, wir machen einen Fehler, wenn wir alle Debatten nur in einem solchen Sinne als ergebnisorientiert führen – Debatten haben gelegentlich auch einfach nur den Zweck der Selbstverständigung.
In welchen Räumen finden heutzutage gesellschaftliche Debatten statt?
Debatten finden nicht nur in einem Medium statt. Wenn wir uns unsere Lebenswirklichkeit einmal anschauen, dann sehen wir, dass wir in die verschiedensten Debatten in den unterschiedlichsten Formaten eingetaucht sind. Wir lesen Zeitungen, Bücher, Tweets und Posts, wir sprechen mit Freundinnen und Freunden, wir treffen in Cafés und Kneipen auf Menschen – wenn sie denn wieder geöffnet sind. Wir bewegen uns also in einem wilden Debattierraum, in dem es keine moderierende Instanz gibt, keine Geschäfts- oder Tagesordnung. Ich glaube, es würde das Debattenklima tatsächlich verengen, wenn wir der Ansicht wären, Verständigung würde nur auf diesem oder jenem Medium stattfinden.