Erleben Sie eine Politisierung von Studierenden und Lehrenden an den Hochschulen?
Da muss ich zurückfragen, was meint „Politisierung”? Und Politisierung im Vergleich wozu – zu den 68ern oder zur Jahrtausendwende? Ich finde es grundsätzlich sehr begrüßenswert, wenn Studierende sich nicht nur auf das Erreichen von Credit-Points konzentrieren. Wenn sie den Raum der Universität als einen Raum für intellektuelle Auseinandersetzungen wahrnehmen. Das ist ja eigentlich auch das humboldtsche Ideal, eine Persönlichkeitsbildung an der Universität. Wenn Studierende versuchen, das, was sie im Studium lernen, mit gesellschaftspolitischen Problemen in Verbindung zu bringen, dann gehört dazu auch eine Debattenkultur, argumentative Auseinandersetzungen, Haltungen zu entwickeln und sie begründet zu vertreten. Deshalb kann ich mit dem Begriff „Politisierung” wenig anfangen. Noch vor einem Jahrzehnt wurde gesagt, die Studierendenschaft sei so unpolitisch und jetzt ist plötzlich Politisierung ein Problem. Diese Wahrnehmung teile ich nicht.
Was wünschen Sie sich für die Diskussionskultur an deutschen Hochschulen und innerhalb der gesellschaftlichen Debatten?
Grundsätzlich bin ich gar nicht so unzufrieden mit der Debattenkultur, auch wenn ich an bestimmten Phänomenen immer wieder Kritik äußere. Ich finde, wir haben eine lebendige Debattenkultur: Immer mehr Menschen beteiligen sich und versuchen ihre Stimmen hörbar zu machen. Das ist eine gute Sache in einer pluralistischen Gesellschaft.
Ich sehe aber die Tendenz, dass Menschen Kritik sofort abwehren oder eben nicht als Kritik ausweisen, sondern dramatisieren und sich mit dem allgemeinen Bedrohungsszenario, man dürfe nichts mehr sagen, gegen Kritik abschotten. Da wünsche ich mir mehr Bereitschaft zur Auseinandersetzung.
Außerdem wünsche ich mir, dass wir viel genauer sagen, was gemeint ist, wenn wir über Ideologie sprechen. Es gibt sexistische, rassistische und antifeministische Angriffe, es gibt wissenschaftsfeindliche Angriffe gegen ganze Forschungsfelder. All diese Angriffe sind ideologisch motiviert, und darauf müssen wir unsere Aufmerksamkeit richten. Die öffentliche Debatte ist oft problematisch: Beispielsweise wenn Rassismuskritik in gleicher Weise als ideologisch gelten soll wie Rassismus. Darüber sollten wir viel mehr und viel kritischer sprechen, statt Phantomdebatten zu führen.