Foto: Julius-Maximilians-Universität-Würzburg

„Es gibt keine einfachen Antworten mehr!”

Ein Gespräch mit Dr. Astrid Carolus

Ist es wichtig, dass Kinder möglichst früh lernen mit Medien umzugehen?

Die Beantwortung dieser Frage ist durch den Wandel der Medienlandschaft schwieriger geworden. Es gibt keine einfachen Antworten mehr. Früher ging es bei der Debatte primär um das Fernsehen oder andere lineare Medien. Da konnte man als Medienpädagoge oder Medienpsychologin eindeutigere Hinweise geben und Eltern z.B. raten, dabei zu bleiben, wenn die Kinder Medien nutzen. Durch die mobilen und viel heterogeneren Medien ist diese Kontrolle heute fast nicht mehr möglich. Sobald die Kinder ein eigenes Gerät haben, können sie über offene WLANs alleine auf sämtliche Online-Inhalte zugreifen. Da liegt der große Unterschied: Es wird schwerer den Medienkonsum zu kontrollieren und nachzuvollziehen.

Und das ist schädlich für Kinder?

Das kann problematisch werden. Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass die technische Entwicklung auch viele tolle Seiten hat. Es kommt eben darauf an, was mir mit der Technik machen. Pauschalantworten nach Chancen und Risiken sind daher schwieriger geworden. Ab wann und wie intensiv Kinder Medien nutzen sollten, lässt sich mit Blick auf den gestiegenen Facettenreichtum einfach nicht mehr so klar beantworten wie früher. Wir landen daher erst einmal bei einem wenig befriedigenden „Es kommt darauf an“. Welche Inhalte rezipiert das Kind? Sind Erwachsene dabei? Was macht das Kind, wenn es nicht Medien nutzt? Eine kindgerechte App für eine bestimmte Zeit zu nutzen ist eine komplett andere Situation als das Kind ganz alleine durchs Internet surfen zu lassen.

„Ein Jugendschutz entfällt online fast gänzlich und das Kind ist mit mobilen Geräten allein unterwegs.“

Was bedeuten diese Veränderungen für Eltern?

Die Neuen Medien erschweren ihre Funktion als Kontrollinstanz. Früher stand das Fernsehgerät im Wohnzimmer und zeigte nur solche Inhalte, die mit dem Jugendschutz konform waren. Das ist heute anders: Ein Jugendschutz entfällt online fast gänzlich und das Kind ist mit mobilen Geräten allein unterwegs. Altbewährte Maßnahmen greifen daher nicht mehr.
Aus meiner Sicht müssen wir uns als Gesellschaft darüber bewusst werden, wie wir mit Medien umgehen wollen. Und zwar so, dass wir die Chancen, die uns Medien bieten, kompetent nutzen ohne dabei die Risiken auszublenden. Es gilt, Medien nicht zu verteufeln, sondern einen systematischen Umgang mit der neuen Situation zu entwickeln.

Welche Chancen und Risiken bieten denn die digitalen Medien für Kinder und Jugendliche?

Nehmen wir das Beispiel WhatsApp, also Messenger-Dienste. Diese ermöglichen Kindern und Jugendlichen beispielsweise, mit ihren Freunden oder Mitschülern zu kommunizieren. Die Interakation mit Gleichaltrigen als entwicklungspsychologisch relevante Bezugsgruppe kann vorteilhaft sein, wenn sie zum Beispiel Austausch und das Gefühl der Zugehörigkeit bietet. Denken wir an Cybermobbing, werden allerdings auch schnell Nachteile sichtbar. Und da haben wir noch gar nicht über den Datenschutz gesprochen. Wir müssen genau abwägen, was wie fördern und was wir vermeiden wollen.

Ich sehe auch im Bildungsbereich große Entwicklungspotentiale. Ein generelles Smartphoneverbot an Schulen ist möglicherweise eher ein Indiz für eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber der neuen Situation als eine adäquate Lösung. Dass Smartphones in bestimmten Lernsituationen ablenken können und daher zu entfernen sind, ist unstrittig. Aber Smartphones können eben auch gewinnbringend im Unterricht eingesetzt werden. Ziel sollte es sein, unseren Kindern einen kompetenten Umgang mit diesen Geräten und Funktionen beizubringen. Konzepte zu entwickeln, wie das gelingen kann, ist aufwändig. Aber sie sind für eine zukunftsorientierte Nutzung der Technologien entscheidend. Einfach ausblenden können wir die digitalen Medien aus meiner Sicht nicht.

„Wir müssen neben den technischen Fertigkeiten vor allem auch über Normen und Werte sprechen.“

Was genau braucht es also?

Wir brauchen einen Diskurs darüber, wie wir als Gesellschaft mit dieser neuen Medienwelt umgehen wollen. Wir müssen neben den technischen Fertigkeiten vor allem auch über Normen und Werte sprechen – insbesondere mit Kindern und Jugendlichen.

Veränderungen kritisch gegenüber zu stehen, ist zwar zutiefst menschlich und daher aus psychologischer Sicht verständlich. Allerdings ist gerade mit Blick auf die Digitalisierung eine konstruktive Grundhaltung zentral. Sonst geben andere Entwicklungen vor und wir laufen permanent hinterher. Wir sollten deshalb mutig sein und uns aktiv Gedanken zum Thema machen, nur dann können wir langfristig erreichen, dass der digitale Wandel sich positiv auf die Entwicklung unserer Kinder und unserer Gesellschaft insgesamt auswirkt.

Zur Person

Dr. Astrid Carolus ist Akademische Rätin & Projektleiterin der Kooperation „Cyberpsychology“ am Institut für Medienpsychologie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.

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