Sind wir in Deutschland mit digitalen Medien allgemein zu vorsichtig?
Ja, ich denke schon. Interessanterweise sind wir es in der öffentlichen Debatte aber noch stärker als im pragmatischen Gebrauch. Ich kenne viele Leute, die zwar nach außen sagen, dass ihre Kinder kaum digitale Medien nutzen, es aber privat anders leben. Das ist ein typisch deutsches Phänomen. Die Angst vor Technik zieht sich in Deutschland schon lange durch die öffentlichen und gesellschaftlichen Debatten. Wir haben auch eines der strengsten Mediengesetze und gerade im pädagogischen Bereich sind wir hier sehr vorsichtig und gehen immer erst einmal vom Schlimmsten aus, anstatt zunächst die Chancen zu sehen. Unsere direkten Nachbarn, die Niederländer, sind da beispielsweise viel entspannter.
Ich würde mir an vielen Stellen wünschen, dass man einfach zu einer sachlicheren Diskussion kommt und sich nicht so stark an antiquierten Vorurteilen bedient. Es sollte nicht so sehr darum gehen, die bedrohlichste Schlagzeile zu produzieren oder wissentlich ständig widerlegte Klischees zu wiederholen. Aber es gibt auch positive Entwicklungen, die dem Populismus entgegenwirken wollen, gerade im Bereich der Computerspiele. Mein Rat ist, generell entspannter mit dem Thema umzugehen. Nach intensiver Beschäftigung mit dem Thema ist die Meinung dann zumeist differenzierter.
Träumen Sie doch mal fernab von allen finanziellen Zwängen: Wie sollte denn ein ideales Computerspiel aussehen, das möglichst positive Effekte hat?
Im Unterhaltungsbereich sollte ein Spiel idealerweise angemessen mit Spannung und Erleben eine interessante Geschichte erzählen, in der ich etwas über die Welt oder mich selbst lerne. Das machen gute Filme und gute Bücher, und gute Computerspiele können es auch. Damit erlebe ich etwas in einer Intensität, die ich sonst nicht habe.
Bei einem Lernspiel geht es vor allem darum, dass das Spiel dazu anregt, eine Eigenmotivation für ein Lernziel zu entwickeln, die Kinder fasziniert vom Medium sind und dabei transferierbares Wissen für die reale Welt mitnehmen. Wäre es nicht faszinierend einmal ein Lernspiel mit dem Etat eines Blockbusters zu produzieren?
11.02.2018, 22:21 Uhr
Sehr schöner Artikel und allgemein eine interessante Debatte!
Gerade bei öffentlichen Diskussionen im Fernsehen oder in den Zeitungen fühle ich mich als langjähriger Internetnutzer und Computerspielespieler selten in irgendeiner Form repräsentiert. Die Teilnehmer sind häufig aus Berufs- und Gesellschaftsgruppen, die wenig bis gar keine ernsthafte Erfahrung mit dem entsprechenden Thema haben oder dieses eher von außen betrachten. Politiker, Pädagogen, Journalisten, oft aus einer etwas höheren Altersstufe, die bis zum entsprechenden Zeitpunkt nie wirklich Teil der Internetkultur waren oder mal was anderes gespielt haben als Solitär oder Snake. Branchenvertreter, Spieler… Gerade am Anfang gabs das gar nicht. Das typische Problem, dass man über eine Gruppe von Leuten spricht statt mit ihnen. In den letzten Jahren hat sich das etwas verbessert, nachdem es auch immer mal wieder ein paar wissenschaftliche Ergebnisse ans Tageslicht geschafft haben, die diverse populistische Äußerungen etwas differenzierter und neutraler betrachtet haben. Was sie – Überraschung – oft widerlegt oder nur stark eingeschränkt bestätigt hat.
Inzwischen sind Computerspiele hier nun weit genug in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit, um als Markt wahrgenommen zu werden. Es wurde erkannt, dass Gamer nicht die typischen verschwitzten einsamen „Kellerkinder“ sind, sondern alle möglichen Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten. Aber dennoch kämpft man regelmäßig mit Vorurteilen und sobald irgendwo ein größeres Gewaltverbrechen passiert (das nicht auf den IS zurückzuführen ist), wird erstmal nach Computerspielen geschaut.
Damit meine ich nicht, dass das Thema digitale Medien – egal ob nun Spiele, das „Web“, soziale Medien etc. absolut verharmlost werden sollten, da sie wie alles andere auch genauso gefährlich oder ungefährlich sein können – oft durch den ungeübten Umgang und mangelnde Medienkompetenz. Aber wenn man sofort alles auf „die Medien“ schiebt, verbaut man sich unheimlich viele Debatten, die dringend geführt werden sollten, besonders in einem Land, in dem es zum Internet-Meme wird, dass die Bundeskanzlerin Jahrzehnte nach „Erfindung“ des Internets von Neuland spricht. Und dabei meine ich nicht nur Debatten über die Nutzung sozialer Netzwerke, sondern auch Ursachenforschung in Bereichen wie Depressionen, Mobbing etc., deren Ursachen mit „die Medien“ einfach überbügelt und vom Tisch geschoben werden.
Ich bin in einem Bundesland aufgewachsen, in dem es lange Zeit keine Absicherung gab, wenn man nach 12 Jahren am Gymnasium ohne Abitur dastand. Als jemand, der das Abitur nicht geschafft hat, hätte ich gar keine berufliche Zukunft mehr gehabt, wenn nicht ein Junge in einer ähnlichen Situation zur Waffe gegriffen und amok gelaufen wäre. Natürlich wurden „Killerspiele“ herangezogen und der übliche Medienzirkus veranstaltet. Aber es wurden auch Stimmen laut, die sich mit dem System befasst haben. Es wurde eine Zwischenprüfung nach der 10. Klasse eingeführt, wie es sie in anderen Bundesländern zum Teil längst gab.
Das heißt nicht, dass ich diesen Amoklauf in irgendeiner Weise gutheiße, das möchte ich eindeutig sagen. Aber ich hatte das Gefühl, dass das der einzige Amoklauf gewesen ist, bei dem die Gründe dafür tatsächlich eine Rolle in der nachfolgenden Debatte gespielt haben. Das sind viele verpasste Möglichkeiten gesellschaftliche Themen zu behandeln, die auch für viele andere Schüler problematisch sind, wie z.B. Mobbing, der hohe Leistungsdruck und Probleme des Bildungssystems an sich. (Die Gründe für dieses Abwälzen auf einen besonders für viele Politiker damals unbekannten Sündenbock wären auch die ein oder andere weitere Diskussion wert.) Man kann solche Probleme nicht über Nacht lösen, aber sie mehr ins Bewusstsein rücken, wäre auf jeden Fall zielführender.