Foto: kbo-Isar-Amper-Klinikum München-Ost

„Die Probleme mit Medienkonsum entstehen selten komplett isoliert.“

Im Gespräch mit Dr. Susanne Pechler

Sie behandeln Menschen, die mediensüchtig sind. Was genau ist das eigentlich?

Die Grenzen zwischen normalem PC-Gebrauch, problematischem Gebrauch und pathologischem sind fließend. Es gibt aber Kriterien der Amerikanischen Fachgesellschaft die einen Rahmen geben für die Diagnose. Die Diagnose ist nicht einfach und man muss aufpassen, dass man eine bestimmte Verhaltensweise, die vielleicht von der Norm abweicht nicht sofort pathologisiert. Genau das ist aber auch die spannende Sache an unserer Arbeit hier in der Ambulanz. Oftmals haben die Kinder und Jugendliche noch andere Probleme mit sozialen Interaktionen. Sie flüchten sich dann quasi in die Welt der Spiele. Ausgrenzung, Schulprobleme und Mobbing stehen dabei vielfach am Beginn der Krankengeschichten. Dadurch entsteht dann dieses Rückzugsverhalten, Vermeidung und die Flucht in eine virtuelle Welt. Die Probleme mit Medienkonsum entstehen daher selten komplett isoliert, häufig sehen wir Patienten mit 2 Problemen: PC-Internet und beispielsweise einer Depression. Wenn wir die „Hauptdiagnose“  Mediensucht geben müssen alle anderen Gründe und Diagnosen ausgeschlossen werden.

Ab wie vielen Stunden Mediennutzung spricht man denn überhaupt von einem übermäßigen Verhalten?

Man sagt, dass mehr als 30 Stunden pro Woche außerhalb vom Arbeits- oder Schulalltag als übermäßiger Konsum gelten. Der Medienkonsum sollte aber alltagsrelevant sein und sich im normalen Ablauf bemerkbar machen. Allerdings sind die Kriterien nicht ganz so klar, wie beispielsweise beim Glücksspiel. So eine richtige Trennschärfe gibt es im Bereich der Internetnutzung bisher noch nicht, auch deshalb, weil Langzeitstudien über längere Zeiträume noch selten sind. Es gibt aber Tendenzen in den bisherigen Daten.

„Das Verhalten online hat nicht die gleichen Konsequenzen wie in der realen Welt.“

Was ist das Problem beim extremen Spielen und dem Flüchten in eine virtuelle Welt?

Am schwierigsten ist für Kinder und Jugendliche der Transfer aus der virtuellen Welt in die reale Welt. Innerhalb ihrer Online-Welt verständigen sie sich beispielsweise fließend auf Englisch und haben Kameraden, aber sie schaffen es nicht, diese Fähigkeiten mit in die reale Welt zu nehmen.

Ein weiteres Problem ist, dass es oft kein reales Feedbacksystem gibt. Das Verhalten online hat nicht die gleichen Konsequenzen wie in der realen Welt. Wenn ich einen Bauklotzturm errichte und ich es schlecht mache, dann bekomme ich direktes Feedback, weil der Turm umkippt. Im virtuellen Raum starte ich einfach das Spiel neu und beginne von vorne. Auf der anderen Seite kriege ich im virtuellen Raum sehr viele positive Reaktionen auf mein Verhalten und meine Aktivitäten Wer wird schon täglich gelobt im realen Leben?! Im virtuellen Raum ist das Beziehungsleben klar kontrollierbar und auch meine Person kann ich mir relativ frei gestalten.

„Man kann nicht von jetzt auf gleich jemanden zwingen das Spielen komplett aufzugeben.“

Welche Rolle spielen die Eltern beim Suchtverhalten?

Eltern spielen dabei eine ganz entscheidende Rolle. Es ist sehr wichtig, gerade bei kleinen Kindern, dass die Eltern den Medienkonsum kontrollieren und Medien sinnvoll einsetzen. Dabei geht es nicht allgemein darum Medien zu verdammen, aber man muss sie als Eltern bewusst einsetzen und über die Nutzung reflektieren. Denn Kinder orientieren sich auch am Verhalten der Eltern.

Eine Auffälligkeit die wir beobachten ist, dass Medienkonsum häufig als Belohnung eingesetzt wird. Sprich, wenn Kinder ihre Hausaufgaben gemacht haben, dann dürfen sie eine halbe Stunde länger Fernsehen. Das ist natürlich schwierig und nicht zielführend.

Wie behandeln sie denn die Leute, die bei ihnen in die Ambulanz kommen?

Es gibt einen Ampelvertrag, den wir mit den Patienten abschließen. Grün ist dabei vollkommen angemessenes Verhalten, rot das absolut negative. Onlinespiele sind beispielsweise oft rot, weil es Zeit raubt und nicht wirklich einen Gewinn bringt für die Entwicklung. Gelb wären beispielsweise Youtube-Videos und grün dann die Dinge, die man wirklich im Alltag benötigt um in der heutigen Welt zu existieren. Wir wollen keine realitätsfremde Behandlung.

Man kann auch nicht von jetzt auf gleich jemanden zwingen das Spielen komplett aufzugeben. Es braucht vielmehr eine langsame Auseinandersetzung und Entwöhnung. Wir versuchen mit den Patienten gemeinsam Lösungen und Wege zu finden, um so ein Vertrauensverhalten aufzubauen. Wir wollen den Patienten das Gefühl geben, dass wir gemeinsam mit ihnen an dem Problem arbeiten. Es ist daher auch wichtig eine persönliche Ebene zu finden.

„In den meisten Fällen zeigen sich innerhalb der ersten zwei Jahre große Fortschritte und die Probleme nehmen sichtbar ab.“

Wie gut funktioniert das?

Seitdem wir so stark auf die Patienten eingehen und ihnen auch Freiheiten in der individuellen Nutzung geben, ziemlich gut. Durch unsere Methode kommen wir fast gänzlich ohne Medikamente aus und in den meisten Fällen zeigen sich innerhalb der ersten zwei Jahre große Fortschritte und die Probleme nehmen sichtbar ab.

Die Entwicklung und Verbesserung dauert aber seine Zeit und Verbesserungen geschehen nicht von heute auf morgen. Solche Heilversprechen halte ich nicht für sinnvoll. Gewohnheiten aufzugeben ist für uns Menschen nicht leicht und etwas Neues aufzubauen ist gerade dann schwierig, wenn man sich lange abgekapselt  und sich in eine andere Welt geflüchtet hat. Es ist eben nicht die Onlinewelt, in der man sehr schnell neue Freunde findet und sehr schnell integriert ist.

Zur Person

Dr. Susanne Pechler ist Psychiaterin und Oberärztin am Isar-Amper-Klinikum in München und behandelt in der Ambulanz für PC- und Internetsüchtige.

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