Die kürzlich veröffentlichte Stellungnahme der Leopoldina kommt zu dem Schluss, „dass auch ein kurzfristiger Lieferstopp von russischem Gas für die deutsche Volkswirtschaft handhabbar wäre“. Für wie praxisnah halten Sie die Stellungnahme?
Die Stellungnahme macht ja deutlich, dass ein schneller spezifischer Ersatz von russischem Erdgas durch heimische erneuerbare Energie nicht möglich ist. Damit positioniert sich die Leopoldina meiner Meinung nach sehr deutlich, dass wir nicht ohne weiteres aus den aktuellen Energieträgern aussteigen können. Vielmehr müssen wir sowohl eine diversifizierte Internationalisierung der Versorgung als auch einen stufenweisen Ersatz bisheriger Energieträger anstreben – und da schließe ich mich voll und ganz an.
Als eine der Sofortmaßnahmen nennt das Papier auch den Ersatz von Gas durch Kohle im Stromsektor. Wäre das überhaupt ohne weiteres möglich?
Etwa 12 Prozent des gesamten Erdgasbedarfs wird für die Stromerzeugung eingesetzt – daher halte ich den Ansatz grundsätzlich für richtig. Aber dafür muss man Kohle auch in ausreichenden Mengen beschaffen und rund 50 Prozent der Kohle stammt ebenfalls aus Russland. Dazu kommt die Schwierigkeit, dass ein Kraftwerk stets für eine ganz besondere Kohlespezifikation gebaut ist: Man kann also nicht ohne weiteres Kohle aus Russland durch Kohle aus einem anderen Land ersetzen, weil sich die Kohle zu stark voneinander unterscheidet – das ist ein ganz praktisches Problem.
Wirtschaftsminister Robert Habeck äußerte sich zuletzt, dass er es noch nicht für gesichert ansehe, dass man ohne russisches Gas gut durch den Winter käme. Teilen Sie seine Einschätzung.
Ich stimme Herrn Habeck hier zu, bis zum Herbst halte ich das durchaus für handhabbar, aber die Situation für den Winter bewerte ich als kritisch. Letztlich ist es auch eine politische Frage, wie man auf den weltweiten Energiemärkten agieren möchte. Eine mögliche Strategie könnte sein, dass man auf diplomatischem Wege versucht, Japan oder China davon zu überzeugen, dass sie weniger LNG nutzen. Beide sind große LNG-Verbraucher und wenn es gelänge, wäre dadurch gegebenenfalls mehr LNG für europäische Verbraucher verfügbar.
Welche anderen Aspekte könnten die Energiesicherheit in Deutschland noch erhöhen?
Ein Punkt, der in der gesamten Diskussion kaum Beachtung findet, ist das Thema Biogas. Wir nutzen Biogas in Deutschland überwiegend, um daraus Strom und Wärme zu machen. Wir könnten aber rund 10 Prozent des aktuellen Erdgasbedarfs durch Biogas ersetzen, wenn man die Anlagen entsprechend anpassen würde. Gleichzeitig werden die Anlagen reihum stillgelegt, weil sie sich nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen. Eine stärkere Nutzung des Biogases als Erdgassubstitut (SNG, Substitute Natural Gas) müsste aber politisch gewollt sein und bräuchte ebenfalls eine gewisse Zeit zur Umsetzung, aber in der Gesamtbetrachtung der Versorgungssicherheit in Deutschland sollten wir meiner Meinung nach diesen Aspekt nicht außer Acht lassen.