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Ernährungssicherung und Ernährungswende

Über Flächenkonkurrenz in der Landwirtschaft und Welthandel von Agrarprodukten

Der Krieg in der Ukraine hat die Verletzlichkeit von Lieferketten und Agrarsystemen weltweit verdeutlicht. Insbesondere Weizen, Gerste und Mais sowie Sonnenblumen und Raps, sind aktuell rare Güter, da Russland und die Ukraine große Mengen davon exportieren.

Die Ukraine alleine exportierte 44 Prozent des im Jahr 2020 weltweit verbrauchten Sonnenblumenöls – und Russland immerhin 21 Prozent. Fast ein Fünftel des in den Jahren 2020 und 2021 weltweit exportierten Weizens kommt aus Russland. Die Ukraine lieferte 8,5 Prozent.

Durch den Krieg in der Ukraine fallen diese beiden Exporteure nun weg: Russland hat – zunächst bis Juni – einen Exportstopp verhängt, der vor allem Weizen, Gerste und Roggen, aber auch Zucker betrifft. Die Ukraine beklagt große Ernteausfälle, da Felder durch den Krieg zerstört wurden. Transportwege sind über den direkten Seeweg versperrt, sodass etwa Getreide nicht transportiert und im Zielland weiterverarbeitet werden kann. Aktuell versucht die EU weitere Transportwege für Schiffe zu erschließen: Insbesondere der rumänische Seehafen Konstanza sowie verschiedene Donauhäfen sind laut Angaben der EU-Verkehrskommissarin Adina Valean Alternativen.

Getreide macht knapp 50 Prozent – und damit den größten Teil – der menschlichen Kalorienversorgung aus. Deshalb steht es in der öffentlichen Debatte um die weltweite Ernährungssicherung im Mittelpunkt. Ägypten, Indonesien, die Türkei und Bangladesch gehören zu den Hauptabnehmerländern von Weizen aus der Ukraine und Russland.

Europa kann sich überwiegend selbst mit Getreide versorgen und ist kaum von gravierenden Lebensmittelengpässen betroffen – auch wenn das die derzeitige intensive Berichterstattung nicht vermuten lässt. Die aktuelle Ernährungsunsicherheit, so kritisieren Wissenschaftler*innen in einer Stellungnahme, hinge weniger mit einer grundsätzlichen Angebotsknappheit zusammen: Wirtschaftliche Ungleichheiten sowie eine ungleiche weltweite Verteilungen tragen mehr dazu bei, dass in einigen Ländern Lebensmittel knapp werden können. Hierzulande werden eher die Preise steigen: Engpässe, die Veränderung von Angebot und Nachfrage oder steigenden Produktions- und Transportkosten wirken sich darauf aus. Allerdings wird ein Großteil der deutschen Bevölkerung steigende Preise  verkraften können, nimmt Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel an, Professor für Agrarpolitik an der Georg-August-Universität Göttingen. Problematischer seien diese in einkommensschwachen Ländern, in denen die Haushalte oft die Hälfte ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Das trifft insbesondere afrikanische Länder besonders, die stark von russischen und ukrainischen Getreideimporten abhängig sind, sagte der Agrarökonom in einer Rapid Reactiongegenüber dem Science Media Center.

Für Europa und Deutschland betrachtet, richtet die Debatte um Ernährungssicherung den Fokus auf teils neue, teils schon seit Jahren diskutierte Fragen: Was kann jede*r Einzelne tun, um für mehr Ernährungssicherung zu sorgen? Kurzfristig müssen wir die fehlenden Nahrungsexporte kompensieren oder auf diese verzichten. Zwei Möglichkeiten, die sich individuell und schnell umsetzen lassen, sind: weniger Lebensmittel zu verschwenden und wegzuschmeißen sowie weniger Fleisch und tierische Produkte zu konsumieren, denn auf mehr als 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland bauen wir Getreide für Tierfutter an, um es dann preisgünstig zu exportieren, sagt Prof. Dr. Sebastian Lakner, Agrarökonom der Universität Rostock. 

Eine Transformation des Agrarsystems kann mittel- und langfristig fehlende Nahrungsmittelimporte ausgleichen und auch die Landwirtschaft resilienter machen. Wissenschaftler*innen fordern in einer Stellungnahme eine Ernährungswende für mehr Ernährungssicherung: Der Fleischkonsum müsse reduziert und die Lebensmittelverschwendung minimiert werden. Die EU solle die „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie des Europäischen Green Deals beibehalten, die einen Ausbau von ökologischer Landwirtschaft vorsieht. Ein Abweichen von dieser Strategie, so halten die Wissenschaftler*innen in der Stellungnahme fest, sei aus Gründen der Nachhaltigkeit kurzsichtig. 

Kritiker*innen entgegnen, dass aufgrund der aktuellen Lebensmittelknappheit vielmehr auf konventionellen Anbau zurückgegriffen werden sollte, da beim Bioanbau pro erzeugter Einheit mehr Fläche gebraucht wird, so Agrarökonom Prof. Dr. Christian Lippert

Für höhere Erträge könnte grüne Gentechnik sorgen, also gentechnisch veränderte Pflanzen. Sie wird zunehmend relevanter, um die Ernten ertragreicher und widerstandsfähiger gegen sich ändernde Klimabedingungen zu machen. Ein Großteil der Deutschen lehnt grüne Gentechnik jedoch grundsätzlich ab. Umfragen zeigen aber, dass sie Gentechnik eher akzeptieren, wenn sie die Technologie mit für die Gesellschaft wünschenswerten Zielen in Verbindung bringen können, also zum Beispiel um Pflanzen mit wertvollen Nährstoffen zu züchten oder um die Welternährung zu sichern. 

Auch die Debatte der Flächenkonkurrenz, auch bekannt unter „Tank vs. Teller“-Konflikt, existiert bereits seit mehr als zehn Jahren und wird durch den Krieg in der Ukraine und daraus entstehende Erdgas- und Nahrungsmittelknappheit zusätzlich verschärft. Dürfen auf Flächen Pflanzen für Biokraftstoffe angebaut werden, auf denen auch Lebensmittel wachsen könnten?

Der Krieg in der Ukraine hat bereits bestehende Diskussionen verschärft und neue aufgeworfen. Eine Ernährungswende wird nun noch dringlicher gefordert als zuvor, um eine Ernährungssicherung national sowie weltweit zu gewährleisten. Ob und wie (schnell) das gelingen kann, wollen wir in den kommenden Wochen genauer betrachten.

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