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Fragiler Handel in einer globalisierten Welt

Gestörte Infrastruktur erschwert die weltweite Ernährungssicherung

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine zeigt, wie fragil die Infrastruktur unserer globalisierten Welt ist: leere Regale im Supermarkt und hohe Preise für Sonnenblumenöl und Weizen. Die Exporthäfen der Ukraine sind aufgrund des Kriegs nicht nutzbar und die Ernte wurde vielfach zerstört. Zudem: Russland schränkt seine Getreideexporte zunächst bis zum Sommer 2022 stark ein. 

Das ist problematisch, weil Russland und die Ukraine zu den größten Exporteuren lebenswichtiger Grundnahrungsmittel wie Getreide gehören. In den letzten Jahren exportierten beide Länder zusammen ein Viertel des weltweit verbrauchten Weizens – und lieferten zwei Drittel des Sonnenblumenöls.

Wenn diese Güter fehlen, fällt das nicht nur im Supermarkt auf, sondern es ist prekär für die Ernährungssicherung in Ländern, die auf diese Nahrungsmittel angewiesen sind. „Länder im Nahen Osten oder in Nordafrika sind aufgrund ihrer geografischen Nähe zu Russland und der Ukraine jetzt besonders stark betroffen“, erklärt der Agrarökonom Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Inhaber des Lehrstuhls für Agrarpolitik an der Universität Göttingen. Diese Länder importierten traditionell besonders große Mengen an Getreide aus der Schwarzmeerregion, weil die Handelswege kurz und die Transportkosten deshalb gering waren.

„Es gibt nicht genug Güterzüge und LKWs, sodass nur 10 bis 15 Prozent der auf dem Seeweg üblichen Warenmengen exportiert werden können.“

Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Inhaber des Lehrstuhls für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen

Doch der Krieg ändert alles: Der Zugang über das Schwarze Meer ist derzeit für die Ukraine blockiert, sodass das Land keine Waren auf dem Seeweg ausliefern kann. Die EU versucht aktuell alternative Transportwege für Schiffe zu erschließen: Insbesondere der rumänische Hafen Konstanza steht dabei laut EU-Verkehrskommissarin Adina Valean im Fokus. Die Außenminister*innen der G7-Staaten haben am 14. Mai 2022 beschlossen, die Ausfuhr über die baltischen Häfen sowie den Weg dorthin als alternative Exportroute zu prüfen. Dies soll in Zusammenarbeit mit der EU und den Vereinten Nationen geschehen.

Eine andere Möglichkeit ist der Export ukrainischen Getreides über den Landweg. Der ist jedoch deutlich schwerer umzusetzen. „Für diese Transportmöglichkeiten fehlen die Kapazitäten. Es gibt nicht genug Güterzüge und LKWs, sodass nur 10 bis 15 Prozent der auf dem Seeweg üblichen Warenmengen exportiert werden können“, sagt von Cramon-Taubadel. Außerdem sei der Landweg zeitintensiver und teurer als der Transport per Schiff und zudem riskant, da die Bahninfrastruktur in der Ukraine verstärkt unter russischen Beschuss geriete. 

Die Welternährungsorganisation FAO schätzte 2019, dass bereits unter gewöhnlichen Umständen durchschnittlich ca. 14 Prozent der global erzeugten Lebensmittel in der Vermarktungskette zwischen Hof und Einzelhandel verloren gehen, zum Beispiel bei der Lagerung oder beim Transport. Von Cramon-Taubadel befürchtet, dass sich diese Situation nun durch den versperrten Transportweg weiter verschärfen könnte: „Viele Millionen Tonnen Getreide der letzten Ernte lagern derzeit in der Ukraine und im Sommer wird die nächste Ernte eingefahren. Wenn diese Mengen nicht richtig gelagert werden, führt das zu Mengen- und Qualitätsverlusten.“

„Getreide ist schon seit Langem ein politisches Nahrungsmittel.“

Dr. Sören Köpke, Politikwissenschaftler am Lehrstuhl für Internationale Agrarpolitik und Umweltgovernance der Universität Kassel

Auch für die kommenden Monate ist fraglich, ob die Ukraine die nachgefragte Gütermenge überhaupt produzieren kann, ordnet Dr. Sören Köpke von der Universität Kassel die Situation ein: „Es ist nicht nur die kommende Ernte betroffen, sondern vor allem die nächste Aussaat im Herbst 2022.“ Kurzfristig sehen beide Experten jedoch keine Möglichkeit, solche Verluste zu verhindern.

Für viele wird erstmals sichtbar, dass Kriegsparteien Lebensmittel, hier in Form von Getreide, geostrategisch einsetzen. „Das ist jedoch kein neues Phänomen“, sagt Köpke. „Getreide ist schon seit Langem ein politisches Nahrungsmittel.“

In Bezug auf die Weltmarktpreise sei es nun jedoch wichtig, sich solidarisch zu verhalten. Angekündigte Exportverbote, beispielsweise aus Ungarn, um die Ernährung der eigenen Bevölkerung zu sichern, halten beide Experten für problematisch. „Während der letzten Agrarpreiskrise in 2007/2008 haben viele Länder so reagiert“, sagt von Cramon-Taubadel.

„Leidtragende sind schließlich die ärmsten Länder, die sich solche Reaktionen auf steigende Weltmarktpreise nicht leisten können.“

Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Inhaber des Lehrstuhls für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen

Aber es seien nicht nur Exportverbote, die die Lage verschärften. Auch viele importierenden Länder reagieren in einer Weise auf solche Krisen, die insbesondere ärmeren Ländern zum Verhängnis werden:  „Da werden beispielsweise viele Güter gekauft, um die eigenen Lager zu füllen oder Importzölle gesenkt, damit die Preise im eigenen Land niedriger bleiben“,  sagt der Agrarökonom. „Leidtragende sind schließlich die ärmsten Länder, die sich solche Reaktionen auf steigende Weltmarktpreise nicht leisten können.“ Lebensmittelknappheit bedeute, dass alle Länder den Gürtel enger schnallen müssten. Machten einige Länder das nicht, müssten es andere umso stärker. „Modellrechnungen zufolge waren 30 bis 40 Prozent der Weltmarktpreissteigerungen bei Getreide während der Agrarpreiskrise 2007/2008 auf solche Alleingänge einzelner Länder zurückzuführen.“ Auch Köpke hält diese Kettenreaktionen für problematisch: „Sie blockieren die üblichen Handelsflüsse und verschärfen damit die Lebensmittelknappheit in ärmeren Ländern.“

Wann sich die Handelswege und der Weltmarkt normalisieren, könne aktuell nicht abgeschätzt werden, meint von Cramon-Taubadel: „Wir wissen nicht, ob die Ukraine im kommenden Herbst in der Lage sein wird, normal auszusäen und auch nicht, ob im darauffolgenden Sommer genug Infrastruktur repariert ist, um Exporte wieder fließen zu lassen.“

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