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„Die Transformation muss bald passieren“

Ein Gespräch mit Dr. Dominic Lemken

In einem offenen Brief an die aktuelle Bundesregierung fordern Sie und andere Wissenschaftler*innen politische Maßnahmen für eine Transformation des Ernährungssystems. Was wären die wichtigsten Maßnahmen, um eine sichere Welternährung zu gewährleisten?

Wir haben drei Hauptziele festgelegt: weniger Ackerkulturen für Biokraftstoffe verwenden, Lebensmittelabfälle vermeiden und den Konsum tierischer Lebensmittel reduzieren. Diese sind im Vergleich zu pflanzlichen Produkten ressourcenintensiv. Übergeordnetes Ziel ist es, die Versorgungslage insgesamt zu verbessern.

Wie könnten diese Ziele konkret erreicht werden?

In Deutschland könnte man beispielsweise die Grundsicherungsbeträge für die Ernährung erhöhen, damit die Existenz sozial schwächerer Gruppen trotz steigender Lebensmittelpreise gesichert ist. Auch könnten Nachhaltigkeitsstandards in staatlichen Kantinen eingeführt werden, um mit gutem Vorbild voranzugehen. Darüber hinaus ist es wichtig die „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie der EU beizubehalten und mit der Agrarpolitik auf Bundesebene in Einklang zu bringen. Es wäre außerdem denkbar, eine Abgabe für CO2- oder Methan-Emissionen für die Landwirtschaft und kommerzielle Tierhaltung einzuführen.

Wir fordern diese Maßnahmen, weil der Status Quo nicht zufriedenstellend ist. Die Weltbevölkerung wächst stetig weiter. Daher denken wir schon seit Längerem darüber nach, wie wir neun Milliarden Menschen in 2050 ernähren können. Die Ukraine-Krise hat das Thema noch einmal nach oben auf die Agenda gebracht.

„Für Verbraucher*innen ist es recht schnell möglich, den Fleischkonsum zu reduzieren und Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Das hätte Signalwirkung.“

Wie lässt sich Ihr Vorschlag umsetzen?

Idealerweise setzen die EU-Länder die Maßnahmen, wie eine Steuer für CO2- oder Methan-Emissionen, gemeinsam um. Normalerweise ist es so, dass ein Land Maßnahmen zuerst etabliert und so den Druck auf die EU erhöht, weil gezeigt wird, dass die eingeführten Maßnahmen erfolgreich sind. Weiterhin wäre es gut, wenn die von uns im offenen Brief vorgeschlagenen Maßnahmen zügig umzusetzen. Für Verbraucher*innen ist es recht schnell möglich, den Fleischkonsum zu reduzieren und Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Das hätte Signalwirkung.

Gibt es Maßnahmen, die auch innerhalb der Wissenschaft kontrovers diskutiert werden oder herrscht da weitgehend Konsens?

Über folgende Punkte gibt es einen wissenschaftlichen Konsens: Wir sollten Energiepflanzen in die Lebensmittelproduktion einbinden und nicht in die Energieproduktion. Also zum Beispiel aus Raps Rapsöl herstellen statt Biokraftstoff. Und: Wir brauchen dringend weniger tierische Produkte.

Diskussionen gibt es darüber, wie sich einzelne Maßnahmen konkret umsetzen lassen oder dazu, was kurzfristig und was langfristig bedeutet. Auch die Gewichtung, wie viel man auf der Nachfrageseite, also bei den Verbraucher*innen, arbeiten sollte oder wie sehr man auf der Produktionsseite ansetzt.

„Mit zehn Quadratmetern Ackerfläche in Deutschland kann man entweder zehn Kilogramm Brot herstellen oder ein Kilogramm Schweinefleisch.“

Wie lange würde eine Transformation unseres Ernährungssystems dauern?

Wir sollten uns eher fragen: Wie lange darf sie dauern? Die Transformation des Ernährungssystems muss angesichts steigender Preise und des Klimawandels bald passieren. Einkommensschwache Gruppen leiden darunter, wenn diese Transformation zu lange dauert. Es ist wichtig, dass die Politik proaktiv handelt, um den nötigen Wandel voranzutreiben, und nicht nur reagiert. Das sehen wir gerade beim Thema Umweltlabel: Da überholt der Einzelhandel die Politik, der nun selbst solche Label testet, weil Verbraucher*innen diese nachfragen.

Wo erwarten Sie Schwierigkeiten in der Umsetzung?

Wir erwarten vor allem beim Fleischkonsum Schwierigkeiten, da dieses Thema polarisiert. Während die einen immer weniger Fleisch essen, essen andere immer mehr: Der Gesamtkonsum in Deutschland bleibt konstant, während sich die Gesellschaft auseinander entwickelt. Wir hätten jetzt die Chance, Fleisch aus der vergünstigten Mehrwertsteuer von sieben Prozent zu bekommen: Höhere Preise könnten die Kosten, die bei der Produktion entstehen, besser abbilden. Auf der anderen Seite wird dann aber Bio-Fleisch stärker verteuert als konventionelles Fleisch, was nicht den bei der Produktion entstehenden Umweltkosten entspricht.

Wie bewerten Sie die aktuelle öffentliche Debatte zum Thema Ernährungssicherung? Gibt es Aspekte, die Ihnen darin zu kurz kommen?

Den Menschen scheint bewusst zu sein, dass die Produktion und der Konsum von Fleisch ressourcenintensiv sind, aber die tatsächliche Dimension ist nicht immer deutlich. Es wäre wichtig zu zeigen, dass pflanzliche Produkte gegenüber tierischen ein Vielfaches an Ressourcen einsparen: Mit zehn Quadratmetern Ackerfläche in Deutschland kann man entweder zehn Kilogramm Brot herstellen oder ein Kilogramm Schweinefleisch. Weiterhin ist die Entwicklungszusammenarbeit wichtig. Wir wollen die Produktion im globalen Süden steigern, denn dort gibt es flächendeckend geringere Erträge. Man kann die Ernährungssicherung dort zum Beispiel mit Dünger, Technik, neuem Saatgut oder finanziellen Mitteln unterstützen. Die Hilfe dort hätte auch Einfluss auf heimische Preise.

 

Zur Person

Dr. Dominic Lemken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen und forscht zu Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte. Er ist Mitautor des offenen Briefs an die Bundesregierung zu Handlungsmöglichkeiten für die Transformation des Ernährungssystems.

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