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„Landwirt*innen werden vielfach enteignet und vertrieben – häufig sehr arme Menschen“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Kerstin Nolte

Landgrabbing wird immer wieder mitverantwortlich gemacht dafür, dass so viele Menschen auf der Welt Hunger leiden. Was meint der Begriff?

Der Begriff Landgrabbing bezeichnet – verkürzt gesagt – die unrechtmäßige Aneignung von Land, im Deutschen würde man von Landraub sprechen. Der Begriff erlebt seit der Nahrungsmittelkrise 2008 eine Renaissance. Seit dieser Zeit beobachtet man eine verstärkte Nachfrage nach Land durch weltweit agierende Konzerne. Vor allem in Ländern des globalen Südens. In der Wissenschaft ist der Begriff allerdings umstritten, weil er eine negative Konnotation hat. Ich selbst spreche daher von Landerwerb. Allerdings haben die Forschungsergebnisse der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre gezeigt, dass in sehr vielen Fällen berechtigterweise von Raub, also Landgrabbing, gesprochen wird. Land wird dann tatsächlich nicht rechtmäßig erworben. Lokale Landwirt*innen werden vielfach enteignet und vertrieben – das trifft häufig sehr arme Menschen.

Wer eignet sich Land an?

Oft ist nicht ganz klar, wer hinter einzelnen Investitionen steht, nach wie vor herrscht große Intransparenz rund um solche Projekte. Wenn wir schauen, wo ein Investor herkommt, dann ist der Ursprung häufig auf den Britischen Jungferninseln, in Honkong, Luxemburg oder in anderen Steueroasen. Das verschleiert die wahre Herkunft der Investoren. Aber es zeigt auch, dass große Player dahinterstecken, die mit dem Begriff Landgrabbing nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Was wir wissen, ist, dass es eine Vielzahl internationaler Investoren gibt und viele aus reichen Industriestaaten kommen.

„Am Beispiel Sambia sieht man sehr gut, dass für Investoren vor allem die Flächen interessant sind, die gut erschlossen sind. In Sambia sind das Flächen an der Bahnstrecke. Wir konnten zeigen, dass Investitionen fast ausschließlich nahe dieser Hauptinfrastrukturachsen stattfinden. Das sind natürlich genau die Flächen, die auch von lokalen Bäuer*innen bewirtschaftet werden.“

Können Sie Beispiele nennen?

In Afrika ist es häufig so, dass Investoren aus den früheren Kolonialstaaten kommen. In vormals französischen Kolonien findet man verstärkt französische Investoren, in vormals britischen Kolonien britische und so weiter. Andere Investoren stammen aus aufstrebenden Volkswirtschaften wie Brasilien, Russland, Indien, China oder Südafrika. Zum Dritten spielen lokale urbane Eliten eine Rolle – und zwar zu einem nicht zu vernachlässigenden Anteil. 

Sie haben viel zu Sambia geforscht. Wie konkret wirkt sich das Landgrabbing auf die lokale Bevölkerung aus?

Am Beispiel Sambia sieht man sehr gut, dass für Investoren vor allem die Flächen interessant sind, die gut erschlossen sind. In Sambia sind das Flächen an der Bahnstrecke. Wir konnten zeigen, dass Investitionen fast ausschließlich nahe dieser Hauptinfrastrukturachsen stattfinden. Das sind natürlich genau die Flächen, die auch von lokalen Bäuer*innen bewirtschaftet werden. Deshalb kommt es dort zu Verdrängung. Kleinbäuer*innen müssen dann in periphere Gebiete ausweichen, wo die Anbaubedingungen schlechter sind.

Gibt es in Sambia auch Investoren aus Deutschland?

In Sambia ist eine deutsche Firma – die Agrar- und Nahrungsmittelgruppe Amatheon Agri Holding – aktiv, die knapp 40.000 Hektar unter Vertrag genommen hat und davon etwa 3.000 Hektar bewirtschaftet. Weitere Investitionen deutscher Unternehmen gibt es etwa in Ghana, Äthiopien, Simbabwe und Uganda.

„Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, weil sie vertrieben werden. Viele dieser Projekte tragen auch maßgeblich zur Entwaldung bei.“

All dies sind Länder, in denen Menschen an Hunger oder Mangelernährung leiden. Lässt sich ein konkreter Zusammenhang herstellen zwischen Hungersnöten und Landgrabbing-Aktivitäten weltweit agierender Konzerne?

Das Phänomen wurde noch nicht hinreichend untersucht, um einen kausalen Zusammenhang herstellen zu können, aber die Fakten liegen auf der Hand: Wenn man sich anschaut, was auf den Flächen dieser Investoren produziert wird, dann zeigt sich, dass zum einen viel für den Tank produziert wird und zum anderen viel für den Export. Das meiste bleibt also gar nicht vor Ort. Angesichts der drohenden Hungerkatastrophe, wäre es jetzt an der Zeit, diese Flächen in Afrika für die Produktion von Nahrungsmitteln für die afrikanischen Märkte zu nutzen. Das passiert viel zu wenig.

Noch vor zehn, zwanzig Jahren wurde – vor allem seitens lokaler Regierungen – auch viel Hoffnung gesetzt in die Investitionen ausländischer Konzerne.

Ja, man hoffte beispielsweise auf den Ausbau der Infrastruktur, auf einen Technologieschub und Arbeitsplätze und lockte Investoren mit niedrigen Steuersätzen. Doch heute ist man ernüchtert. Der Entwicklungsschub ist ausgeblieben. Und viel schlimmer noch: Die Folgen sind eher negativ. Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage, weil sie vertrieben werden. Viele dieser Projekte tragen auch maßgeblich zur Entwaldung bei. 

Wie viele Kleinbäuer*innen haben ihr Land verloren im Zuge dieser Investitionen?

Ein*e Kleinbäuer*in bestellt in der Regel ein bis zwei Hektar. Wenn ein Investor eine Fläche von 20.000 Hektar pachtet, kann man hochrechnen, wie viele Menschen dieser Landerwerb betreffen kann. 

Warum hat sich nicht einmal die Hoffnung auf Arbeitsplätze erfüllt?

Auf den großen Farmen wird sehr mechanisiert gearbeitet, weshalb dort nur wenig Menschen Arbeit finden. Außerdem sind es oft schlecht bezahlte und saisonale Jobs, weshalb sich jetzt auch die Beschäftigten, die zurzeit so rasant steigenden Lebensmittelpreise nicht leisten können.

Wie sollten die großen Konzerne jetzt handeln, um die Lage zu entschärfen?

Zentral ist, dass man die lokale Bevölkerung frühzeitig mitnimmt, ihr Beteiligung ermöglicht – und natürlich auch für die lokalen Märkte produziert. Schätzungen zufolge werden rund 40 Prozent der Anbaufläche für Nahrungsmittel genutzt. Das ist vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen viel zu wenig.

 

Zur Person

Prof. Dr. Kerstin Nolte ist Professorin am Institut für Wirtschafts- und Kulturgeographie (IWKG) der Universität Hannover und Associate am GIGA Institut für Afrika-Studien, wo sie u.a. in Projekten zu großflächigem Landerwerb und nachhaltiger Entwicklung forscht.

Foto: Kerstin Nolte