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„Es drohen keine Knappheiten“

Über steigende Lebensmittelpreise und Auswirkungen für Verbraucher*innen und die Landwirtschaft

Ausverkauftes Sonnenblumenöl, teures Obst und Gemüse. Der Krieg in der Ukraine treibt nicht nur die Energiekosten, sondern auch die Lebensmittelpreise in die Höhe. Im April 2022 lagen sie 8,5 Prozent über jenen des Vorjahresmonats. Die Gründe sind vielfältig, ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht, sagen Expert*innen.

Die Welt ächzt noch unter den Folgen der Corona-Pandemie, nun kommen jene des Krieges hinzu: Derzeit kann bereits geerntetes Getreide die Ukraine nicht verlassen. Mittelfristig wird es dort in diesem Sommer durch die nun verminderte Aussaat Ernteausfälle geben. Wie lange der Krieg anhalten wird, weiß niemand. Doch Märkte reagieren empfindlich auf Unwägbarkeiten. „Ein großer Teil der gegenwärtigen Preisanstiege auf den Agrar- oder Energiemärkten resultiert aus der Unsicherheit, die mit dem Ukraine-Krieg einhergehen“, sagt PD Dr. Linde Götz vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in Halle. „Weizen ist seit Ausbruch des Krieges um 50 Prozent teurer geworden.“

„Wir haben die finanziellen Mittel um auf dem Weltmarkt einzukaufen, was wir brauchen.“

Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Inhaber des Lehrstuhls für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen

Doch niemand muss um unsere Ernährungssicherheit fürchten. „Es drohen uns keine Knappheiten“, beruhigt Agrarökonom Professor Dr. Stephan von Cramon-Taubadel vom Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen. Deutschland befindet sich anders als zum Beispiel viele afrikanische Länder in der komfortablen Lage, die gestiegenen Preise für Weizen, Mais und Sonnenblumenöl bezahlen zu können. „Wir haben die finanziellen Mittel um auf dem Weltmarkt einzukaufen, was wir brauchen.“ Zu welchem Preis, das steht auf einem anderen Blatt. Und auch, was das für andere Ländern bedeutet, die ökonomisch schlechter aufgestellt sind.

Für die Preisbildung vieler Produkte auf den Weltmärkten spielen Weizen und Mais eine bedeutende Rolle. „Weizen hat eine Eckpreisfunktion, weil er sowohl für die menschliche Ernährung als auch als Futtermittel verwendet wird“, erklärt der Experte. 20 Prozent des nach Deutschland importierten Futtermaises stammen aus der Ukraine. Deren Ausfall treibt die Futtermittelpreise und damit auch die Fleischpreise in die Höhe. Will heißen: Von steigenden Getreidepreisen sind Nahrungsmittel von Backwaren über Nudeln bis hin zu Milch und Steak betroffen.

„Energie hat bei einigen Nahrungsmitteln einen höheren Anteil an den Produktionskosten als die Agrarrohstoffe.

PD Dr. Linde Götz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Agrarmärkte am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien

Die größte Kröte müssen Landwirte und Unternehmer derzeit allerdings bei den Energiepreisen schlucken. „Energie hat bei einigen Nahrungsmitteln einen höheren Anteil an den Produktionskosten als die Agrarrohstoffe. Das bestes Beispiel ist Brot, bei dem die Kosten von Getreide – zumindest hierzulande – weniger als zehn Prozent der gesamten Brotproduktionskosten ausmachen“, sagt Linde Götz. Doch alle Stufen entlang der Produktion seien energieintensiv und ebenfalls teurer geworden. „Düngemittelherstellung, Sprit für den Trecker, Lager-, Transport- und Logistikkosten“, zählt Stephan von Cramon-Taubadel Bereiche auf, in denen die Ausgaben explodiert sind. Das betrifft insbesondere Gemüse, das in beheizten Treibhäusern gezogen und häufig über weite Strecken zum Endverbraucher transportiert wird. Kein Lebensmittel landet ohne Energieaufwand auf unseren Tellern. Rund 80 Prozent der in Deutschland erzeugten Lebensmittel werden sogar unter hohem Energieeinsatz produziert: Ganz oben steht auch wegen der konstanten Kühlung die Milch- und Fleischindustrie.

„Wenn die Kriegshandlungen weiter andauern, wird es für die Preisentwicklungen entscheidend sein, inwieweit es gelingt, den Export der Agrargüter aus der Ukraine bei der kommenden Ernte im Sommer zu ermöglichen.“

PD Dr. Linde Götz, stellvertretende Leiterin der Abteilung Agrarmärkte am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien

Linde Götz weist darauf hin, dass der Krieg den ukrainischen Getreideanbau keinesfalls gänzlich zum Erliegen gebracht habe. Doch was noch vorhanden ist, kann nicht exportiert werden. Auch das hat Auswirkungen auf die Weltmarktpreise. Laut dem stellvertretenden ukrainischen Landwirtschaftsminister Taras Vysotskiy lagerten Anfang April noch 13 Millionen Tonnen Mais und 3,8 Millionen Weizen in der Ukraine. In Friedenszeiten verließen 90 Prozent der Getreideexporte über die ukrainischen Seehäfen am Schwarzen Meer das Land. Derzeit sind diese durch Russland blockiert, zum Teil schwer beschädigt. Auf Zügen können nur etwa zehn Prozent der normalen Exportmengen das Land verlassen, die Bahninfrastruktur in der Ukraine steht inzwischen auch unter Beschuss „Wenn die Kriegshandlungen weiter andauern, wird es für die Preisentwicklungen entscheidend sein, inwieweit es gelingt, den Export der Agrargüter aus der Ukraine bei der kommenden Ernte im Sommer zu ermöglichen“, sagt Linde Götz, die seit vielen Jahren zu den osteuropäischen Agrarmärkten forscht.

Derweil werden die Marktmechanismen vielleicht für Entlastung sorgen. Stephan von Cramon-Taubadel hofft zumindest, dass höhere Preise Landwirte in anderen Ländern der Welt motivieren, die ukrainischen Produktions- und Exportausfälle zu kompensieren. „Die letzte Agrarpreiskrise 2007/2008 hat gezeigt, dass die Landwirtschaft doch recht schnell auf Anreize reagiert.“ Der nächste monatliche Marktbericht des US-Landwirtschaftsministeriums im Mai werde Hinweise darauf geben, ob in anderen Weltregionen neue Flächen in den Anbau gehen, oder die Erträge nennenswert steigen.  „Darauf bin ich sehr gespannt.“ Das würde dann wiederum auf dem Weltmarkt auch preislich für eine Entspannung sorgen.

Die ist für Konsument*innen derweil noch nicht in Sicht. Derzeit geben deutsche Haushalte zwar im EU-Vergleich mit 12 Prozent ihres Haushaltseinkommens mit den geringsten Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Doch für Menschen, die mit jedem Euro rechnen müssen, stellen die derzeitigen Preissteigerungen eine massive Belastung dar. Gurken kosteten im April laut Statistischem Bundesamt rund 30 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, Kopfsalat rund 17 Prozent, Tomaten 27 Prozent.

Ob jede derzeitige Teuerung gerechtfertigt ist, lässt sich schwer sagen. Das hängt von den konkreten Liefer- und Vertragsbedingungen der einzelnen Ketten ab, sagt von Cramon-Taubadel. Die Lieferverträge zwischen Produzenten und den großen Handelskonzernen sind nicht transparent. So ist durchaus möglich, dass nun teuer verkaufte Produkte noch mit vor einiger Zeit günstig eingekauften Rohstoffen produziert wurden. Manche Händler mögen die Gunst der Stunde nutzen, nachweisen lässt sich das kaum. Denn für den deutschen Lebensmittelmarkt gelten besondere Gesetze, die weit vom Lehrbuchfall entfernt seien, sagt von Cramon-Taubadel: „Dort treffen relativ wenige große verarbeitende Konzerne auf wenige große Einzelhandelsketten.“ Als Konsequenz entzieht sich die Preisbildung dem klassischen, anonymen Angebot-Nachfrage-Mechanismus. An dessen Stelle treten Strategien, Beziehungen und Verhandlungsgeschick zwischen beiden Seiten.

„Die Wirkung wäre enorm, wenn jede*r einmal in der Woche auf Fleisch verzichtet.“

Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel, Inhaber des Lehrstuhls für Agrarpolitik am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen

Der Experte plädiert dafür, nicht in die Preisbildung einzugreifen, sondern stattdessen Haushalte mit niedrigem Einkommen gezielt zu unterstützen. Denn mit hohen Preisen sei eine Botschaft verbunden, die man nicht ignorieren sollte: „Sie sind ein wichtiges Signal, dass weniger da ist und wir alle den Gürtel etwas enger schnallen müssen.“ Insbesondere der global steigende Fleischkonsum bindet derzeit viele Ressourcen. „Die Wirkung wäre enorm, wenn jede*r einmal in der Woche auf Fleisch verzichtet“, sagt der Experte. Weniger Tiere, weniger Futter, weniger Anbaufläche für Tierfutter – und damit zugleich mehr Ackerfläche für die Ernährung der Weltbevölkerung, weniger CO2-Emissionen und auch eine gesündere Ernährung.

Wann können Verbraucher*innen wieder mit sinkenden Lebensmittelpreisen rechnen? „Würde heute der Krieg gestoppt, wäre das schlagartig zu erwarten“, sagt Linde Götz. Vorausgesetzt, die Handelskonzerne geben ihre dann sinkenden Ausgaben umgehend an ihre Kundschaft weiter. Das, so von Cramon-Taubadel, sei in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen: „Die Untersuchungen zeigen, dass steigende Kosten häufig schneller an Konsument*innen weitergereicht werden als sinkende.“ Ohnehin gebe die politische Lage derzeit wenig Hoffnung auf Entspannung: „Es ist davon auszugehen, dass die Preise erst einmal hoch bleiben werden.“

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