Linde Götz weist darauf hin, dass der Krieg den ukrainischen Getreideanbau keinesfalls gänzlich zum Erliegen gebracht habe. Doch was noch vorhanden ist, kann nicht exportiert werden. Auch das hat Auswirkungen auf die Weltmarktpreise. Laut dem stellvertretenden ukrainischen Landwirtschaftsminister Taras Vysotskiy lagerten Anfang April noch 13 Millionen Tonnen Mais und 3,8 Millionen Weizen in der Ukraine. In Friedenszeiten verließen 90 Prozent der Getreideexporte über die ukrainischen Seehäfen am Schwarzen Meer das Land. Derzeit sind diese durch Russland blockiert, zum Teil schwer beschädigt. Auf Zügen können nur etwa zehn Prozent der normalen Exportmengen das Land verlassen, die Bahninfrastruktur in der Ukraine steht inzwischen auch unter Beschuss „Wenn die Kriegshandlungen weiter andauern, wird es für die Preisentwicklungen entscheidend sein, inwieweit es gelingt, den Export der Agrargüter aus der Ukraine bei der kommenden Ernte im Sommer zu ermöglichen“, sagt Linde Götz, die seit vielen Jahren zu den osteuropäischen Agrarmärkten forscht.
Derweil werden die Marktmechanismen vielleicht für Entlastung sorgen. Stephan von Cramon-Taubadel hofft zumindest, dass höhere Preise Landwirte in anderen Ländern der Welt motivieren, die ukrainischen Produktions- und Exportausfälle zu kompensieren. „Die letzte Agrarpreiskrise 2007/2008 hat gezeigt, dass die Landwirtschaft doch recht schnell auf Anreize reagiert.“ Der nächste monatliche Marktbericht des US-Landwirtschaftsministeriums im Mai werde Hinweise darauf geben, ob in anderen Weltregionen neue Flächen in den Anbau gehen, oder die Erträge nennenswert steigen. „Darauf bin ich sehr gespannt.“ Das würde dann wiederum auf dem Weltmarkt auch preislich für eine Entspannung sorgen.
Die ist für Konsument*innen derweil noch nicht in Sicht. Derzeit geben deutsche Haushalte zwar im EU-Vergleich mit 12 Prozent ihres Haushaltseinkommens mit den geringsten Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Doch für Menschen, die mit jedem Euro rechnen müssen, stellen die derzeitigen Preissteigerungen eine massive Belastung dar. Gurken kosteten im April laut Statistischem Bundesamt rund 30 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, Kopfsalat rund 17 Prozent, Tomaten 27 Prozent.
Ob jede derzeitige Teuerung gerechtfertigt ist, lässt sich schwer sagen. Das hängt von den konkreten Liefer- und Vertragsbedingungen der einzelnen Ketten ab, sagt von Cramon-Taubadel. Die Lieferverträge zwischen Produzenten und den großen Handelskonzernen sind nicht transparent. So ist durchaus möglich, dass nun teuer verkaufte Produkte noch mit vor einiger Zeit günstig eingekauften Rohstoffen produziert wurden. Manche Händler mögen die Gunst der Stunde nutzen, nachweisen lässt sich das kaum. Denn für den deutschen Lebensmittelmarkt gelten besondere Gesetze, die weit vom Lehrbuchfall entfernt seien, sagt von Cramon-Taubadel: „Dort treffen relativ wenige große verarbeitende Konzerne auf wenige große Einzelhandelsketten.“ Als Konsequenz entzieht sich die Preisbildung dem klassischen, anonymen Angebot-Nachfrage-Mechanismus. An dessen Stelle treten Strategien, Beziehungen und Verhandlungsgeschick zwischen beiden Seiten.