Ein Blick in eine temporäre Notunterkunft. (Foto: Missionsärztliches Institut Würzburg / Matthias Reiners)

Bringen Flüchtlinge (gefährliche) Krankheiten mit?

Psychische und physische Krankheiten bei Flüchtlingen und ihre Bedeutung für das Zusammenleben

Nicht erst seit den terroristischen Ereignissen in Würzburg und Ansbach im Sommer 2016 gibt es viele offene Fragen zur psychischen Gesundheit und zur psychologischen Betreuung von Flüchtlingen: Wie stark leiden Flüchtlinge unter traumatischen Belastungen? Wie prägt sich das auf ihr Leben in Deutschland und schließlich auf ein gemeinsames Zusammenleben aus? Kann man überhaupt allgemeine Aussagen über den gesundheitlichen Zustand von Flüchtlingen in Deutschland treffen?

„Es gibt keine systematischen Erhebungen des psychischen Gesundheitszustands.“

(Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz)

Nach den genannten Vorfällen schrieben viele Medien von hohen Traumatisierungsraten unter Flüchtlingen. Aus wissenschaftlicher Perspektive können diese pauschalen Aussagen über die psychische Gesundheit von Flüchtlingen nicht getroffen werden. „Richtig verlässliche Zahlen gibt es nicht – es gibt keine systematischen Erhebungen“, sagt Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin. Denn die existierenden Zahlen zu der psychischen Gesundheit der Flüchtlinge beruhen vielfach auf Stichproben und Hochrechnungen.

Das gilt im Übrigen auch für den allgemeinen Gesundheitszustand der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge. „Der Wissensstand bezieht sich vielmehr aus Erhebungen, die sich aber nur auf die wenigen meldepflichtigen Infektionskrankheiten beziehen“, sagt auch Prof. Dr. August Stich, der sich in Würzburg um die medizinische Versorgung von Flüchtlingen kümmert.

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Unbestritten ist jedoch, dass die Flüchtlinge aufgrund der Krisensituation in ihren Heimatländern und der Strapazen der Flucht großen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt waren. Aber jeder Mensch verarbeitet die Situation unterschiedlich und geht mit den Erfahrungen anders um. Andreas Heinz warnt daher vor Pauschalisierungen: „Man muss aufpassen, dass man nicht alle Leute, die aus Krisengebieten kommen und Schreckliches erlebt haben, für traumatisiert und behandlungsbedürftig erklärt.“ Auch die Psychotraumatologin Dr. Maggie Schauer von der Universität Konstanz betont, dass „man nicht pauschal sagen kann, dass Geflüchtete psychische Störungen haben. Man muss in jedem Einzelfall untersuchen, wie groß das subjektive Leiden ist. Die Wahrscheinlichkeit für psychische Probleme steigt an, je häufiger Personen massiven Bedrohungen und Überlebenskampf ausgesetzt werden, das wissen wir aus systematischen Studien von Geflüchteten ganz unterschiedlicher Herkunft. Ab einem bestimmten Maß an Belastung ist spontane Erholung dann so gut wie ausgeschlossen, das zeigen Studien. Für diese Menschen müsste „Erste Hilfe“ idealerweise frühzeitig bereitstehen.“

„Belasteten Menschen muss möglichst früh Unterstützung angeboten werden, damit sich psychische Erkrankungen nicht chronifizieren.“

(Dr. Maggie Schauer)

Entsprechende Maßnahmen, auch Sprechstunden und Selbsthilfegruppen für Flüchtlinge sind also sehr wichtig. Fehlt die psychologische Unterstützung, können psychische Belastungen und traumatische Erfahrungen zu dauerhaften psychischen Problemen führen. Den Betroffenen ist der gesunde Schlaf geraubt, sie sind im Dauerstress, achten nicht mehr auf ihre Ernährung oder versuchen mit Drogen oder Medikamenten ihre Erinnerungen zu dämpfen. Das begünstigt dann auch körperliche Krankheiten wie Autoimmunerkrankungen, insbesondere Rheuma und Diabetes, aber auch unter anderem Herzkreislaufprobleme. Die psychische Gesundheit ist aber auch von der sozialen Anerkennung des Erlittenen und der Aufnahme in eine neue Gesellschaft abhängig. „Unsere Untersuchungen an der Universität Konstanz haben gezeigt, dass über die Hälfte der gegenwärtig ankommenden Flüchtlinge Leidensdruck und psychische Belastungen angeben, Probleme, die sich wohl bei einem Viertel ohne professionelle Hilfe auch langfristig nicht legen werden“, sagt Maggie Schauer.

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„Flüchtlinge sind nicht gefährlich, sondern gefährdet.“

(Prof. Dr. August Stich)

Auch die physische Gesundheit der Flüchtlinge verbessert sich nicht zwingend mit der Ankunft in Deutschland. Tatsächlich ist beispielsweise die Zahl der Infektionskrankheiten in den Unterkünften höher als in der übrigen deutschen Gesellschaft. Die Ansteckungsgefahr für die Allgemeinbevölkerung ist dadurch aber keinesfalls größer. Denn Krankheiten wie Windpocken, Masern oder auch Darminfektionen können sich ideal wegen des engen Zusammenlebens in den Unterkünften ausbreiten. August Stich macht deswegen auch deutlich, dass „Flüchtlinge nicht gefährlich sind, sondern gefährdet durch die schlechten Lebensbedingungen in den Unterkünften“. Betrachtet man aus medizinischer Sicht die momentane Situation der Flüchtlinge in Deutschland, gäbe es also einige Punkte, um die Lage deutlich zu verbessern: Kleinere Unterkünfte mit besseren Hygienemaßnahmen, flächendeckende Impfungen und ein allgemein leichterer Zugang zur Gesundheitsversorgung wären besonders wichtig. Angst vor längeren Wartezeiten in Praxen bräuchte man dabei übrigens nicht haben, denn sehr viele Ärzte und Pflegekräfte machen ihre Arbeit in den Flüchtlingsunterkünften momentan ehrenamtlich. August Stich merkt auch an, dass es nicht an der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung mangelt, allerdings „wissen die Ärzte oftmals nicht, was für Behandlungen vorgenommen werden dürfen und wer dafür finanziell aufkommt.“
Hier ist also die Politik gefragt!

Auch bei der psychologischen Betreuung könnten viele Probleme deutlich effektiver angegangen werden. So bräuchte es entsprechende Mittel, um mit geschulten und festangestellten Dolmetschern zu arbeiten.

Andreas Heinz führt aber auch an, dass „sich auch unglaublich viele Menschen stabilisieren, wenn sie einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen und einen geregelten Alltag erleben.“ Daher ist die „die soziale Einbindung besonders wichtig“ mahnt auch Maggie Schauer. „Gleichzeitig wird Integration aber durch psychische Krankheit massiv behindert. Nur zukunftsoffene, gesunde Menschen mit positiver Ausstrahlung, Konzentrationsvermögen und innerem Antrieb können soziale und berufliche Leistung bringen.“ Der Appell von Ärzten und Psychologen an Politik und Gesellschaft ist damit klar: Neben der Verbesserung der medizinischen Versorgung ist vor allem wichtig, dass „Geflüchtete möglichst schnell einen Status in der Gesellschaft finden“ (Maggie Schauer). Und da kann auch die Gesellschaft noch mehr tun!

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