Foto: Privat

Warum niemand für die Integration seine kulturellen Wurzeln aufgeben sollte

Ein Gespräch mit Ruth Katharina Ditlmann

Wie kann man Integration wissenschaftlich darstellen?

Wir untersuchen aus der Sicht des Individuums die Prozesse, wenn verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Dabei wird geschaut, wie stark das Individuum sich mit der aufnehmenden Gesellschaft identifiziert und wie stark weiterhin die Identifizierung mit seiner Ursprungskultur ist. Integration ist dort, wo man auf beiden Dimensionen hohe Werte hat. Bei der Assimilation in diesem Modell hätte das Individuum demgegenüber einen hohen Wert auf der Identität der aufnehmenden Gesellschaft und ein niedrigen Wert auf der Ursprungsidentität.  Wenn man danach schaut, welches der vier möglichen Felder (Integration, Assimilation, Segregation, Marginalisierung) das größte Maß an Wohlbefinden für einen Immigranten mit sich bringt, stellt man fest, dass – gemessen an der psychischen und physischen Gesundheit – die Integration zu dem besten Ergebnis für das Individuum führt.

„Gerade für Individuen, die einer Minderheit angehören, braucht es eine Zugehörigkeit innerhalb einer Gruppe, wo sie einen geschützten Rahmen finden.“

Welche Folgen hat dies für die gesellschaftliche Betrachtung in Deutschland?

Was in Deutschland häufig etwas zu kurz kommt ist: Für das Wohlbefinden von Individuen sind die Ursprungsidentitäten oft sehr wichtig. Gerade für Individuen, die einer Minderheit angehören, braucht es eine Zugehörigkeit innerhalb einer Gruppe, wo sie einen geschützten Rahmen finden. Das Problem aber ist, dass die Wahrung von ethnischen Identitäten in der Gesellschaft dann als „nicht-integrationsfreudig“ wahrgenommen wird, obwohl eine starke Ursprungsidentität eine Identifikation mit der neuen Gesellschaft nicht unbedingt ausschließt.

Wie lassen sich diese Vorbehalte erklären?

Es gibt in Deutschland, wie in vielen Ländern, auch immer die Angst in der Gesellschaft vor etwas Anderem oder Fremden. Für Menschen ist es bedrohlich, wenn sich eine kollektive Identität verändert, weil es verunsichernd ist. Denn Identitäten sind auch etwas, was uns ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit gibt. Wenn das, was das „Deutschsein“ definiert, sich nun verändert, ist das ein Prozess, der lange dauern kann.

„Wichtig ist, dass der Prozess der Integration aktiv gemanagt wird.“

Wie muss man daher die aktuelle Debatte bewerten?

Aus psychologischer Sicht ist es für Länder wie Deutschland eine Herausforderung, dass das „Deutschsein“ lange Zeit relativ eng formuliert war. So zählten lange auch rein äußerliche Merkmale – wie beispielsweise blonde Haare – zu den relevanten Merkmalen der Identität. Bereits jetzt kann man aber schon inklusivere Elemente im Selbstverständnis vieler Deutscher erkennen. Wir fanden zum Beispiel in einer Studie, dass der Glaube an Demokratie und der Stolz auf die soziale Marktwirtschaft auch stark zum „Deutschsein“ gehören. Im Idealfall würde die Identität mit der Zeit zunehmend inklusiver werden und neue Aspekte würden in die nationale Identität mit aufgenommen werden. Das wird aber nicht automatisch passieren. Wichtig ist, dass der Prozess der Integration daher aktiv gemanagt wird, damit es tatsächlich für alle, die sich einbringen auch eine Positiverfahrung wird.

Mehr zum Thema: Integration – Das Zauberwort aus Politik und Gesellschaft?

Zur Person

Ruth Katharina Ditlmann, Ph.D. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Migration, Integration und Transnationalisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Als Sozialpsychologin forscht sie zu den Themen nationale Identitäten, interkulturelle Konflikte und zu Intergruppen-Beziehungen.

Foto: Privat

Mehr zu dem Thema