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„Es bringt uns nicht weiter, Integration nur auf Migranten zu denken.“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Naika Foroutan

Wie bewerten Sie den aktuellen Diskurs um die Integration von Flüchtlingen?

Egal, wen man in der Gesellschaft und im eigenen Umfeld nach dem Begriff Integration fragt, wird derjenige als Anhängsel und zweites Wort, als Ergänzung und Komplementierung des Begriffes, immer Migration nennen. Das finde ich sehr hinderlich, weil Integration ein Begriff ist, den wir lernen müssen als Gesellschaft so zu begreifen, dass er losgelöst von Migration funktioniert.

„Es bleibt uns nichts anderes übrig als den Begriff auszuweiten und postmigrantisch zu denken – also nicht mehr nur gekoppelt an Migranten, sondern auf die gesamte Gesellschaft“

Wie beschäftigt sich Wissenschaft mit Integration?

Es bringt uns nicht weiter, Integration – was ein politisches Tool ist – nur auf Migranten zu denken. Es behindert uns, die stark desintegrativen Prozesse in unserer Gesellschaft adressieren zu können. Und die sehen so aus, dass wir eine zunehmende Ungleichheit und zunehmend desintegrierte Regionen, zunehmend Menschen in unserer Gesellschaft haben, die das Gefühl haben, nicht gehört zu werden, nicht Teil zu sein. Insofern bleibt uns nichts anderes übrig als den Begriff auszuweiten und postmigrantisch zu denken – also nicht mehr nur gekoppelt an Migranten, sondern auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet.

Woher kommt die enge Sichtweise?

Die enge Kopplung von Integrationsforschung und Migrationsforschung ist etwas sehr deutschlandspezifisches. Das liegt auch daran, dass Deutschland so lange geleugnet hat ein Einwanderungsland zu sein und sich dementsprechend auch in seiner Forschungsperspektive nicht so aufgestellt hat. Andere Länder sind in der Hinsicht, dass Migration eine globale Normalität darstellt, schon sehr viel weiter und konnten dementsprechend die Gesellschaft nicht mehr in Migranten und Nicht-Migranten unterteilen, wenn schon 30 Prozent der Gesellschaft irgendwann mal migriert war. Der hier angesprochene Paradigmenwandel ist aber nicht heute das Momentum, sondern etwas, wovon die Wissenschaftler Bade und Bommes schon vor zehn Jahren gesprochen haben – es ist nur nicht in die Gesellschaft eingesickert.

„Bei politischen Integrationsansätzen darum gehen, die Zugangschancen zu begrenzten immateriellen und materiellen Ressourcen für alle Bürger soweit zu ermöglichen, dass es keine systematischen Ungleichheiten gibt.“

Wie kann ein postmigrantisches Verständnis von Integration aussehen?

Wenn uns es gelingt, diesen Paradigmenwandel herbeizuführen und Integration wieder im eigentlichen Wortsinne zu nutzen, dann würde sich auch die Perspektive auf Integration verändern und wir könnten den Begriff produktiver nutzen. Integrationsleistung muss ganz konkret für Neueinwanderer angeboten werden. Aber darüber hinaus sollte es bei politischen Integrationsansätzen darum gehen, die Zugangschancen zu begrenzten immateriellen und materiellen Ressourcen für alle Bürger soweit zu ermöglichen, dass es keine systematischen Ungleichheiten gibt. Der Begriff der postmigrantischen Integration ist aber immer noch in einem explorativen Stadium und ist noch nicht zu Ende gedacht.

Zur Person

Prof. Dr. Naika Foroutan ist stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin und Professorin für „Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik“.

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