Ein Polizeiauto im Einsatz. (Foto: Franz Ferdinand Photography, flickr.com/121184747@N06, CC BY-NC 2.0)

Opfer oder Täter?

Was Flüchtlinge mit Kriminalität und Terror in Deutschland zu tun haben

Diebstähle, sexuelle Übergriffe, gewalttätige Auseinandersetzungen – die Liste der Vorurteile ist lang, wenn es um die vermeintliche Kriminalität von Flüchtlingen geht. Tatsächliche Taten einzelner Personen oder einzelner Gruppen führen schnell zu einem Generalverdacht gegenüber allen Flüchtlingen.

„Es ist wahrscheinlicher an einer Pilzvergiftung oder durch einen Hitzschlag zu sterben, als bei einem Terroranschlag in Deutschland oder Europa ums Leben zu kommen!“

(Prof. Dr. Ortwin Renn)

Viele Menschen fürchten auch, dass Flüchtlinge den Terror nach Deutschland (mit)bringen. Wie berechtigt sind diese Sorgen und was bedeuten eine Million Flüchtlinge für die Sicherheit in Deutschland?

Keine Frage: Wir HABEN Angst vor Terroranschlägen! Laut der Umfrage „Die Ängste der Deutschen 2016“ der R+V Versicherungen fürchten sich 73 Prozent der Deutschen vor einem Terroranschlag. Damit  rangiert die Angst vor Terror noch vor den Sorgen um Geld, Gesundheit oder Umwelt – Themen, die lange Zeit die Angstskala angeführt haben. Jeder Zweite fürchtet sich zudem davor, dass mit dem Zuzug von Flüchtlingen auch die Terrorgefahr in Deutschland steigt. Zu dem Ergebnis kommt die ZuGleich-Studie der Universität Bielefeld.

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Die Sorge, wie Prof. Dr. Rafael Behr von der Polizeiakademie Hamburg sagt, ist aber gar nicht durch objektive Daten gestützt: „Die Angst, dass es unter den Flüchtlingen auch Schläfer und IS-Terroristen gibt, wird vor allem politisch geschürt. Nach allem was wir wissen, ist die Zahl der tatsächlich gefährlichen Menschen viel kleiner als die Bevölkerung glaubt.“ Ohnehin ist die Wahrscheinlichkeit Opfer eines Anschlags in Deutschland zu werden äußerst gering, wie der Risikoforscher Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn feststellt: „In den vergangenen knapp zwanzig Jahren war es im Schnitt weniger als eine Person jährlich, die in Deutschland durch einen Terrorakt starb. Es ist tatsächlich wahrscheinlicher an einer Pilzvergiftung oder durch einen Hitzschlag zu sterben, als bei einem Terroranschlag in Deutschland oder Europa ums Leben zu kommen.“ Objektiv gesehen BRAUCHEN wir also keine Angst zu haben – zumindest nicht mehr als vor anderen Unglücken. Dass wir diese aber nicht als ein höheres persönliches Risiko einschätzen, liegt auch im Wesen des Terrorismus, der „willkürlich und unberechenbar zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort auftreten kann“, so Ortwin Renn, und sich also unserer (gefühlten) Kontrolle über eine Situation entzieht.

 

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Dass wir Flüchtlinge in Verbindung mit Terrorgefahr und erhöhter Kriminalität bringen, liegt also nicht an einer realen Bedrohung durch Flüchtlinge, sondern ist ein Problem der Zuschreibung, so Rafael Behr. Unsere Berührungsängste mit Flüchtlingen sind auch wissenschaftlich gut erklärbar.

Denn Xenophobie – also die Angst vor Fremden – ist anthropologisch gesehen ein plausibles Phänomen. Der Soziologe und Kriminologe Dr. habil. Nils Zurawski beschreibt diese als „primäre Schutzmaßnahme für die eigene Gruppe in Abgrenzung zu anderen Gruppen.“ Das Unterscheiden in Innen- und Außengruppen ist dabei erstmal nicht unbedingt etwas Schlechtes, sondern Teil unseres menschlichen Seins. Gefährlich wird es aber, wenn die Skepsis in einen generellen Hass auf Fremdheit umschlägt und sich das auch in Taten ausdrückt. Auffällig ist in dem Zusammenhang tatsächlich, dass die Gewalt gegen Flüchtlinge drastisch zugenommen hat. Gab es im Jahr 2014 insgesamt 199 Straftaten gegen Asylunterkünfte, wurden, laut BKA, im ersten Halbjahr 2016 bereits 665 Straftaten erfasst.

„Kriminalität ist keine Frage des Passes oder der ethnischen Zugehörigkeit, sondern der Lebenslage.“

(Prof. Dr. Thomas Feltes)

Allerdings ist es auch absurd anzunehmen, dass wenn eine Million Menschen mehr in Deutschland leben, unter diesen keine Personen sind, die Straftaten begehen. Bei der Erfassung von Straftaten in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik wird jedoch nicht zwischen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen unterschieden. Und selbst wenn, dann hätte diese Differenzierung keine Aussagekraft: „Kriminalität ist keine Frage des Passes oder der ethnischen Zugehörigkeit, sondern der Lebenslage”, sagt der Polizeiwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Feltes. Um zu verstehen, warum Menschen straffällig werden, untersuchen die Kriminologen also vor allem den sozialen Hintergrund der Person und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. „Man sei schon lange davon entfernt, kriminelles Verhalten Personen als unveränderbare Eigenschaft zuzuschreiben ”, so Rafael Behr. Er betrachtet Kriminalität eher als eine Art Reaktion bzw. Anpassung auf nicht funktionierende gesellschaftliche oder soziale Strukturen.

Daher – und da ist man sich in der Kriminologie einig – ist Integration (im gesamtgesellschaftlichen Verständnis) auch für die Prävention von Kriminalität eine wichtige Aufgabe. Denn Integration, so Thomas Feltes, „ist der beste Schutz vor Straffälligkeit“.

Update 6. Mai 2017

Im April 2017 wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik 2016 veröffentlicht.

Position: Prof. Dr. Rafael Behr

Man geht in der Kriminologie nicht mehr davon aus, dass kriminelles Verhalten ein unveränderbares Merkmal von Personen ist. Kriminalität ist also kein Problem der Flüchtlinge, aber es können die Fluchtumstände zu Verhalten führen, das wir „kriminell“ nennen.

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Foto: Privat

Position: Prof. Dr. Thomas Feltes

Kriminologisch gesehen haben wir keinen Kriminalitätsanstieg der auf das Merkmal „Flüchtling“ zurückgeführt werden kann. Es wird vom rechten Rand unserer Gesellschaft aber permanent die Angst vor dem und den „Fremden“ geschürt.

Zum Interview

Foto: Privat

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