Den Medien gehen die Meldungen nie aus.

Von der Willkommenskultur zum Kontrollverlust

Welche Rolle Medien und Sprache in der Flüchtlingsdebatte spielen

Hast du schon gehört? Selten beziehen wir uns mit dieser Einleitung auf wissenschaftliche Quellen, sondern meistens auf Nachrichten, Zeitungsartikel oder Beiträge in den sozialen Medien.

„Der überwiegende Teil der Informationen, den die Menschen als politische Information aufnehmen, kommt über die Medien“, sagt Journalismusforscher Prof. Dr. Michael Haller von der Hamburg Media School. Für unser Alltagswissen, aber auch die politische Meinungsbildung, spielen Medien also eine ganz zentrale Rolle. Wie sah und sieht diese bei der Berichterstattung über Flüchtlinge aus, welche Bedeutung haben dabei die sozialen Medien? Und wie stark wirkt auch die Wahl der Worte in solchen Diskursen?

Zu diesen Fragen forscht derzeit Michael Haller und führt dazu eine umfangreiche Medienanalyse durch: Die Studie im Auftrag der Otto Brenner Stiftung der IG Metall will wissenschaftlich erklären, welche Muster in den Medienberichten über Flüchtlinge in Deutschland  – und damit auch: welches mediale Rollenverständnis – zu erkennen sind. So wurden in der Studie insgesamt über 33.000 Berichte zwischen 2009 und 2015 gesichtet und mehrere tausend ausgewertet. Über Inhaltsanalysen konnte sehr konkret nachgezeichnet werden, welche Themen in der Berichterstattung zu verschiedenen Zeitpunkten aus welcher Perspektive („Framing“) aufgegriffen wurden. Neben dem zentralen Begriff der „Willkommenskultur“ soll dies anhand der Entwicklung von sechs Schlüsselereignissen im Jahr 2015  im Diskurs der Medien nachgezeichnet werden.

„Die Medien haben die Politik gespiegelt, statt sich als eine neutrale vermittelnde und hinterfragende Instanz zu sehen.“

(Prof. Dr. Michael Haller)

Die Veröffentlichung der Ergebnisse ist auf Ende Oktober 2016 geplant – dennoch gibt es bereits erste spannende Einblicke: Zunächst, wie Michael Haller sagt, „ist festzustellen, dass es bis zum Sommer 2015 ein sehr positives Meinungsklima in Bezug auf das Willkommen von Flüchtlingen gab. Diese mediale Grundstimmung blieb aber abstrakt und nur ausnahmsweise wurde in den Medien die Frage thematisiert, welche Aufgaben und Leistungen damit konkret verbunden sind.“ Die Auswertung der Analysen lasse vermuten, so Haller, dass „die Medien im Grunde die Politik gespiegelt haben, statt sich als eine neutral vermittelnde und kritisch hinterfragende Instanz zu sehen, was ja unter demokratietheoretischem Blick die Rolle des Journalismus sein sollte.“

Ähnliches beobachtete auch der Medienexperte Prof. Dr. Gerhard Vowe von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Man unterteilt die Rolle der Medien gerne auf vier verschiedenen Wirkungen: 1. Agenda-Setting, 2. Vermitteln von Deutungsmustern („Framing”), 3. Vermitteln, wer die Kompetenz hat ein Problem zu lösen („Priming“), und 4. Den Leser oder Zuschauer zu etwas hinführen („Nudging“): Auffällig für Gerhard Vowe ist nicht nur das „Framing“ („Bis Oktober 2015 wurde die Flüchtlingsmigration als humanitäre Aufgabe und als Chance vermittelt. Mit der Zeit wurde dann das mediale Deutungsmuster zunehmend skeptisch.“) und das „Nudging” („Das war zu Beginn recht ausgeprägt, wenn man sich mal die Listen von Initiativen zur Flüchtlingshilfe und Spendenkonten vor Augen ruft“), sondern ganz besonders auch der Effekt des negative primings. Also zu vermitteln, dass keine etablierte Partei die Kompetenz hat, das Problem zu lösen, sondern medial – und nicht erst seit der Silvesternacht – die Medien „Kontrollverlust und Staatsversagen signalisierten“(Gerhard Vowe).

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„Geflüchtete ist das bessere Wort, aber die Sprachgemeinschaft ist der Souverän.“

(Prof. Dr. Heidrun Kämper)

Wie ausschlaggebend in solchen Debatten dabei auch die Wahl der Worte ist, das untersucht die Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Heidrun Kämper vom Institut für Deutsche Sprache. Sprache, so Heidrun Kämper, ist deswegen auch von zentraler Bedeutung, „weil sie grundlegend ist, wenn wir uns über die Wirklichkeit unterhalten, und weil mit Sprache selbst Wirklichkeit geschaffen wird.“ Besonders kritisch sieht Heidrun Kämper deshalb die Verwendung von Ausdrücken wie Flüchtlingsflut oder Flüchtlingswelle, die große Dimensionen suggerieren. „Wenn wir das Wort Flut hören, dann denken wir an eine große Gefahr, die auf uns zurollt. Das erzeugt Angst, wenn auch vielleicht nur im Unterbewusstsein, und ist damit ein Beispiel für einen Ausdruck, der die Wirklichkeit prägt.“

Sie plädiert daher auch dafür, die Verwendung des Wortes „Flüchtling“ zu hinterfragen. Denn, so Kämper, „Wörter mit der Endung -ling, wie Schädling, Sträfling, Feigling rufen vor allem negative Assoziationen hervor.” Alternativen wie „Geflüchtete“ sind aber kaum noch durchzusetzen, weil das Wort Flüchtling bereits längst etabliert ist. „Da kann man noch so viel argumentieren, warum „Geflüchtete“ das bessere Wort ist, denn die Sprachgemeinschaft ist sozusagen der Souverän.“ (Heidrun Kämper). Übrigens: „Flüchtlinge“ wurde 2015 von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres gewählt – und steht damit in einer Reihe mit Wörtern wie „Hartz IV” oder „Fanmeile”.

„Durch die sozialen Medien werden wir bei einem politischen Problem zum ersten Mal richtig mit dem Stammtisch konfrontiert.“

(Prof. Dr. Gerhard Vowe)

Besonders wichtig ist eine kritische Auseinandersetzung mit Sprache auch deswegen, weil durch die sozialen Medien inzwischen ein Raum existiert, in dem Ausdrücke Verwendung finden, die im öffentlichen Sprachgebrauch weitestgehend tabuisiert sind. Und gerade durch die wenig ausgewogene Berichterstattung der etablierten Medien in der Darstellung der Flüchtlingsmigration, „fand ein nennenswerter Teil der Bevölkerung seine Meinung in den etablierten Medien nicht mehr abgebildet“, wie Gerhard Vowe sagt. Teile der Bevölkerung hätten daher das Vertrauen in die Medien verloren und gleichzeitig konnten sie in den sozialen Medien die empfundene Schweigespirale durchbrechen. Mit einem entscheidendem Effekt: „Durch die sozialen Medien werden wir bei einem politischen Problem zum ersten Mal richtig mit dem Stammtisch konfrontiert.“

Bei medienwirksamen Ereignissen – wie beispielsweise der Amoklauf in München – hat man auch noch einen zweiten Effekt beobachten können: Sofort, wenn irgendetwas passiert, lassen sich die dazugehörigen Bilder in den sozialen Medien finden. Mit der Konsequenz, wie Gerhard Vowe sagt, dass „die sozialen Medien inzwischen das Tempo der Berichterstattung vorgeben. Es wird alles noch schneller, zugespitzter und vorläufiger“. Das macht sich auch bei den etablierten Medien bemerkbar, denn spätestens durch die Studie von Michael Haller wird sichtbar, „welche komplexen und hochdynamischen Geschehnisse in diesem Diskurs auf die Medien wirkten.“ Das Suchen nach dem Platz in der Medienlandschaft hat also gerade wieder erst begonnen.

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Position: Prof. Dr. Michael Haller

Ich finde es auffallend, wie lange die Journalisten gebraucht haben, ehe sie die Thematik auf der Sachebene und nicht immer weiter auf der emotionalen Ebene bearbeitet haben.

 

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