„Jedes Bild ist irgendwie eine Inszenierung“

Ein Gespräch mit Prof Dr. Christian Schicha

Wie bewerten Sie die mediale Berichterstattung über Krieg derzeit?

Über Krieg, Krisen und Terror wurde immer schon berichtet. Seit dem Ersten Weltkrieg gibt es eine relativ regelmäßige Berichterstattung, die sich aber natürlich technisch weiterentwickelt hat. Der Gegenstand des Krieges ist erstmal ein dramatisches Ereignis, ein Zivilisationsbruch und die Berichterstattung ist mit besonderen Einschränkungen, Zwängen und Problemen behaftet. Es geht tatsächlich um das Thema Leben und Tod und die Berichterstatter sind in einer besonderen Situation. Häufig berichten sie aus dramatischen Momenten und erstellen dort ihre Berichte und Bilder. Dazu gehört auch, dass sie darauf angewiesen sind, nicht selbst ihr Leben zu riskieren. Das bringt wiederum eigene Probleme mit sich, beispielsweise das Phänomen der eingebetteten Journalisten, die die Truppen begleiten und natürlich in ihrer Berichterstattung nicht komplett unabhängig sind, weil sie ja von jemandem beschützt werden. Da riskiert man immer auch den Verlust von Distanz.

Was machen denn Kriegsbilder mit den Menschen, wie beeinflussen sie uns?

Die Medienwirkungsforschung ist sich einig, dass sie sich nicht einig ist. Es gibt immer unterschiedliche Lesarten von Berichterstattung, je nachdem, wer die Bilder sieht oder einen Bericht verfolgt. Das hängt stark davon ab, wer wir sind. Wirkung ist deshalb nie eindimensional. Es gibt aber natürlich angebotene Muster, die beim Menschen bestimmte Emotionen – wie Empathie, Mitleid oder Wut – auslösen können. Natürlich wird versucht, Aufmerksamkeit zu bekommen über Bilder und Berichte. Das können beispielsweise Schockbilder sein oder standardisierte Bilder, die eine bestimmte Wirkung entfalten, weil wir sie schon aus dem Kriegszusammenhang kennen und damit bestimmte Assoziationen haben.

„Bilder haben einen sensibilisieren und aufklärerischen Charakter und machen selbst Politik.“

Welche Rolle spielt die Inszenierung in der Kriegsberichterstattung?

Jedes Bild ist irgendwie eine Inszenierung. Jeder, der ein Bild auswählt, macht sich Gedanken darüber, was er abbilden möchte und auch über die ethischen Komponenten, die gelten. Hier gilt es vor allem die Anonymität und Würde der Opfer und ihrer Angehörigen zu bewahren. Trotzdem besteht natürlich die Pflicht, Grauen und Schrecken zu dokumentieren. Die Berichterstatter sollen hier ja sehr bewusst den Finger in die Wunde legen. Hier gibt es bestimmte Bilder, die Geschichte geschrieben haben und unsere Wahrnehmung stark beeinflussen.

Wenn man beispielsweise an das Bild von Phan Thi Kim Phuk aus dem Vietnamkrieg denkt: Hier wird immer wieder beschrieben, dass dieses Bild des nackten Kindes nach dem Napalm-Angriff dazu beigetragen hat, eine politische und gesellschaftliche Debatte loszutreten und diese hat dann irgendwann dazu geführt, den Krieg zu beenden. Ein weiteres solches Bild stammt aus der aktuellen Flüchtlingskrise, auf dem der tote Körpers des Flüchtlingsjungen Alan Kurdi am Strand zusehen war und die Debatte rund um die Behandlung von Flüchtlingen befeuert hat. Das sind Beispiele dafür, dass Bilder einen sensibilisierenden und aufklärerischen Charakter haben und selbst Politik machen. Mir ist dabei aber wichtig, dass dabei keine Schockbilder und vor allem eben keine Bilder von Gesichtern gezeigt werden. Da gilt es ethische Dinge zu beachten.

Welchen Einfluss hat der technische Fortschritt und die Digitalisierung auf die Berichterstattung?

Dadurch hat sich vor allem verändert, wer die Nachrichten produziert. Die klassischen Medien haben ihr Monopol verloren, da jeder, der ein Smartphone dabei hat und sich in einer Krisenregion befindet, darüber berichten kann. Dadurch gibt es ein sehr großes Angebot an Bildern und es wird schwieriger, die Herkunft zu überprüfen. Es gibt also eine Beschleunigung kombiniert mit einem Verlust an Überprüfbarkeit. Dadurch kann ein Seriösitätsproblem entstehen. Das sind keine besonders positiven Entwicklungen.

Gibt es eigentlich auch Friedensjournalismus?

Ja, diese Bewegung gibt es. Dort geht es darum, nicht nur dramatisierend über Kriege und Krisenregionen zu berichten, sondern einen stärkeren Fokus auf konstruktive und kontinuierliche Berichterstattung zu legen. Das halte ich für einen sinnvollen Ansatz. Da geht es um die Frage, wie Länder auf das Ende der unmittelbaren Krise reagieren und wie sie wieder aufgebaut werden. Diese Aspekte gehen in der aktuellen Sensationsberichterstattung leider unter, wären aber wichtig, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, überall herrsche Krieg.

„Bilder emotionalisieren stark und haben damit eine ganz andere Wirkung als Berichte oder Texte.“

Stumpfen wir durch die Vielzahl an Bildern ab?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt stark mit individuellen Sensibilitäten ab. Kriegsberichterstatter selbst werden ja beispielsweise geschult, um nicht daran zu zerbrechen, diese Bilder ständig sehen zu müssen. Bei den Rezipienten gibt es natürlich Gewöhnungseffekte, aber die Wirkung ist sehr unterschiedlich. Es kann hier sowohl zur Abwendung und Verdrängung führen, aber eben auch zu mehr Mitgefühl oder mehr Engagement in einem bestimmten Bereich. Die Reaktion ist sehr individuell.

Führt die Masse an Bildern und Berichten dazu, dass wir das Gefühl haben, es gibt mehr Krieg auf der Welt?

Ja das ist so. Die reine Masse an Kriegsbildern spielt dabei eine große Rolle. Hier sehe ich eine Analogie zum Bereich Terrorismus. Die Menschen haben sehr große Angst vor Terrorismus und Anschlägen, dabei gibt es rein faktisch relativ wenige Anschläge. Die Anschläge, die es aber gibt, werden in epischer Breite mit vielen Bildern begleitet – das hat natürlich auch damit zu tun, dass jeder von einem Ereignis Bilder produzieren kann. Das erweckt den Eindruck, dass die Welt permanent im Terror- oder Kriegszustand ist, was eigentlich den empirischen Zahlen widerspricht. Speziell in Europa ist es faktisch so, dass wir noch niemals so sicher gelebt haben, wie in der heutigen Zeit. Das liegt vor allem auch daran, dass Bilder stark emotionalisieren und damit eine andere Wirkung haben, als Berichte oder Texte. Die Augenzeugen-lllusion suggeriert eine Nähe, die in der aktuellen Häufigkeit die Wirkung einer permanenten Horrorsituation kreiert.

„Es ist leichter geworden Bilder zu manipulieren und deshalb wird es umso wichtiger dem entgegenzuwirken.“

Was kann man dagegen tun?

Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig zu überprüfen, ob die Bilder wirklich wahrhaftig sind. Neben der Hintergrundberichterstattung ist ein Faktencheck entscheidend. Das, und die kontinuierliche Berichterstattung, wären wichtige Schritte, um die Realität besser abzudecken. Dabei ist mir aber natürlich klar, dass Journalismus zumeist auch ein Geschäft ist und deshalb allein aus wirtschaftlichen Gründen häufig der Hintergrundbericht und die Nachberichterstattung nicht ins Programm kommen. Das Ereignis selbst gibt eben die besseren Quoten bzw. Klickzahlen.

Außerdem ist es natürlich schwierig beziehungsweise unmöglich eben dies in der aktuellen Geschwindigkeit des Nachrichtenstroms zu tun. Deshalb begrüße ich Entwicklungen wie die Faktenfinder der öffentlich-rechtlichen Medien, Initiativen wie Correctiv oder das Netzwerk Recherche sowie die Nutzung von bestimmten Kontrollinstanzen technischer Natur, wie der Bildrecherche von Google. Es ist leichter geworden, Bilder zu manipulieren und deshalb wird es umso wichtiger dem entgegenzuwirken. Vor allem wäre es auch gut, wenn die Medien selbst darüber sprechen, was in den Medien falsch läuft – die Kontrollinstanzen müssten aus meiner Sicht transparenter werden, um den Fehlentwicklungen entgegen zu wirken. Hier braucht es eine breitere Debatte.

Gibt es denn auch positive Effekte?

Natürlich. Das Aufklärungspotenzial ist groß. Es gibt ja eine ganze Reihe an Ländern, die versuchen die Berichterstattung zu unterdrücken. Vor diesem Hintergrund sind die neuen technischen Möglichkeiten natürlich Chancen eine Berichterstattung über die Grenzen hinweg zu erhalten und die Missstände aufzuzeigen. Ein Beispiel hierfür ist die Gruppe Cesar, die vor einigen Wochen den Menschenrechtspreis bekommen hat. Das ist eine Initiative, die die Aufgabe hatte, die Toten in Gefängnissen in Syrien abzulichten. Die Bilder davon, die grausame Menschenrechtsverletzungen zeigen, sind öffentlich geworden und haben zu Gerichtsprozessen geführt und dazu, dass es ein öffentliches Interesse gibt. Hier haben die Schockbilder letztendlich etwas Positives bewirkt und führen zu einer Aufbereitung und mehr Transparenz.

Zur Person

Prof. Dr. Christian Schicha ist Medeinwissenschaftler und Professor für Medienethik an der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen und Mitherausgeber der Schriftenreihe „Medien- und Kommunikationsethik“. 

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