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Ist Frieden messbar?

Über quantitative und qualitative Methoden der Friedens- und Konfliktforschung

Der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien, die Eskalation des Krieges im Jemen, die Gewalt und Vertreibung der Rohingya in Myanmar – nur drei Beispiele, die die Welt in der Berichterstattung 2017 als besonders grausam und kriegerisch erscheinen lassen. Und überhaupt erscheint uns 2017 nicht als ein besonders friedliches Jahr. Aber ist die Welt wirklich kriegerischer geworden? Und wie kann man Frieden überhaupt messen?

226 gewaltsam ausgetragene Konflikte weltweit im Jahr 2016 listet das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung in seinem jährlich erscheinendem Konfliktbarometer. Davon wertet es 18 als Kriege, 20 weitere als begrenzte Kriege. Doch lässt sich nicht nur Krieg erfassen, sondern auch Frieden zahlenmäßig bestimmen?

 

 

Dr. Corinna Hauswedell hat sich als Mitherausgeberin des jährlichen Friedensgutachtens intensiv mit der Erforschung von Frieden beschäftigt. „Der Impuls, die Messbarkeit stärker in den Fokus zu nehmen, resultiert aus einer Professionalisierung des Peacebuildings im Rahmen der Vereinten Nationen seit den späten 1990er Jahren, als es darum ging das Wiederaufflammen von Konflikten zu erklären und durch Beobachtungen von Friedensprozessen etwas zur Stabilisierung in den Regionen beizutragen.“

Am australischen Institute for Economics and Peace (IEP) beschäftigt man sich intensiv mit der Messung der Friedfertigkeit von Staaten und erstellt seit 2007 den Global Peace Index (GPI). Das Ranking bewertet dabei 162 Staaten auf Basis von 23 separat ausgewerteten Indikatoren, wie beispielsweise die Anzahl der geführten Kriege, die Anzahl an Morden oder die staatlichen Ausgaben für das Militär. Das Ergebnis: Island gilt als das friedfertigste Land weltweit, gefolgt von Neuseeland und Portugal. Am anderen Ende des Rankings finden sich hingegen Syrien, Afghanistan und der Irak. „Der GPI ist ein mehrdimensionales Konzept. Um in dem Ranking gut abzuschneiden, benötigt es mehr als eine geringe Tötungsrate oder friedliche Beziehungen zu anderen Staaten. Alle der Indikatoren sind wichtig“, sagt Daniel Hyslop, Forschungsleiter am IEP.

 

Der GPI 2017 (Quelle: IEP)

 

Wichtig könnte die Messung von Frieden auch sein, um zu etwas mehr Frieden in der Welt zu verhelfen. „Die Messung von Frieden ist kein reines Forschungsinteresse, sondern hat einen praktischen politischen Bezug und den Anspruch, Gewalt zu reduzieren oder Kriege zu verhindern. Deswegen ist es durchaus ein Ziel der Friedens- und Konfliktforschung, herauszufinden, was dem Frieden dient und was ihm schadet“, so Hauswedell.

Vergleicht man die Daten des GPI aus den jeweiligen Jahren, lassen sich auch Schlüsse über den Weltfrieden im Gesamten ziehen. „Wenn wir die letzten zehn Jahre betrachten, hat es eine ziemlich deutliche Veränderung gegeben. Die Welt ist weniger friedlich geworden. Diese Entwicklung ist gegenläufig zu dem Trend, den wir seit Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatten: Weniger Konflikte, weniger Kriege zwischen Staaten und ein geringerer Grad an zwischenmenschlicher Gewalt“, sagt Hyslop. Eine Bewertung, die sich auch mit dem Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung deckt.

„Einzelne Staaten haben zwar negativen Frieden, aber keinen positiven Frieden.

Daniel Hyslop

Ohnehin klassifiziert der GPI die Staaten nur nach dem „negativen Frieden“. Deutlich komplizierter ist die Feststellbarkeit von „positivem Frieden“, vom IEP definiert als „Einstellungen, Institutionen und Strukturen, die friedfertige Gesellschaften schaffen und aufrechterhalten“.

„Wir haben beobachtet, dass gewisse Faktoren statistisch für ein hohes Level an Frieden sprechen. Erst wenn alle diese acht Faktoren erfüllt sind, kann eine Gesellschaft wahrhaftig friedfertig sein“, erklärt Hyslop und nennt als die acht Säulen definierte Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, hohes Humankapital, gute Beziehungen zu den Nachbarn, Minderheitenrechte, geringe Korruption, Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen, die gerechte Verteilung der Ressourcen und Chancengleichheit und eine funktionierende Regierung. Anhand dieser Kriterien versucht das IEP auch zu ermitteln, wie nachhaltig ein Frieden sein kann. „Einzelne Staaten haben zwar negativen Frieden, aber keinen positiven Frieden. Dadurch können wir mögliche Risiken neuer Konflikte durch innergesellschaftliche Missstände erkennen“, sagt Daniel Hyslop über das Ergebnis.

Überhaupt ist die Prognostizierbarkeit von Konflikten und Kriegen mit den vorhandenen Daten ein erstrebenswertes Ziel, denn „alles was über Konflikte bekannt ist, kann auch als präventive Maßnahme eingesetzt werden”, so Hauswedell. Auch am IEP versucht man Prognosen abzuleiten. „Wir entwickeln Berichte über mögliche Risiken, die den Link zwischen positivem und negativem Frieden nutzen, um einen Ausblick in die Zukunft zu wagen. Vorhersagen über gewisse Entwicklungen sind aber extrem schwer“, sagt Hyslop.

„Der Umgang mit der Vergangenheit, die Bereitschaft zum Lernen aus der Konfliktgeschichte ist in der Frage der Indikatoren mindestens so wichtig, wie das Sammeln von nackten Zahlen und Daten.“

Dr. Corinna Hauswedell

Bei der Bemessung von Frieden sind die entsprechenden theoretischen Ansätze dafür entscheidend. Innerhalb der Friedens- und Konfliktforschung gibt es durchaus unterschiedliche Ansätze über die zu verwendende Methodik. „Frieden ist so komplex und enthält so viele Elemente, dass es die Frage der rein quantitativen Messung fragwürdig macht“, sagt Hauswedell. Auch qualitative Messungen von Einstellungsveränderungen beispielsweise haben ihrer Meinung nach durchaus hohe Relevanz. Ein seit 2012 erscheinender Peace Monitoring Report in Nordirland beispielsweise versucht, beides miteinander zu verbinden. Dort wird deutlich: „Der Umgang mit der Vergangenheit, die Bereitschaft zum Lernen aus der Konfliktgeschichte ist in der Frage der Indikatoren mindestens so wichtig, wie das Sammeln von nackten Zahlen und Daten.“

„Das erweckt den Eindruck, dass die Welt permanent im Kriegszustand ist, was eigentlich den empirischen Zahlen widerspricht“

Prof. Dr. Christian Schicha

Ob aus wissenschaftlicher Perspektive oder unsere Wahrnehmung in der Gesellschaft: Bei der Bewertung, ob die Welt nun friedlicher geworden ist oder nicht, sich allein auf die Medien zu verlassen, ist kein guter Rat. Denn „vieles von dem, was wir erforschen, bekommt die Aufmerksamkeit der Medien.Doch leider sind das vor allem die Thematiken rund um Gewalt und Konflikte, nicht die Aspekte, die besonders erfreulich in Bezug auf Frieden sind“, so Hyslop. Der Medienethiker Prof. Dr. Christian Schicha von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg misst den Bildern von Konflikten dabei auch eine Verantwortung zu: „Die reine Masse an Kriegsbildern spielt eine große Rolle. Das erweckt den Eindruck, dass die Welt permanent im Kriegszustand ist, was eigentlich den empirischen Zahlen widerspricht“. Doch unabhängig von der medialen Berichterstattung war 2017 ein zu gewaltvolles Jahr. Denn jeder Krieg, jeder mit Waffengewalt ausgetragene Konflikt, jedes Opfer ist zu viel.

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