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„Jetzt ist genau die Zeit für eine ernsthafte Debatte“

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Peter Dabrock

Was ist das besondere an CRISPR/Cas und weshalb entstehen ethische Probleme?

Die Genschere ist sicherlich allein aufgrund der Geschwindigkeit, in der sie sich derzeit etabliert, eine enorme gesellschaftliche Herausforderung, die eben auch besondere ethische Fragestellungen aufwirft. Die neue Technologie eröffnen ganz neue und bisher ungeahnte Möglichkeiten für die Wissenschaft: Denken Sie an ganz neue Methoden für die Grundlagenforschung, das Werden des Lebens zu begreifen, denken Sie an somatische Gentherapien bspw. gegen Krebs. Experimentiert wird auch an Keimbahneingriffen, um Erbkrankheiten zu verhindern oder eine Art genetische Impfung bspw. gegen den HI-Virus ins Erbgut zu schleusen. Und in der öffentlichen Gesundheitsforschung wird nach Strategien zur Manipulation oder Ausrottung der Mückenpopulationen, die Malaria, Dengue-Fiber oder Zika übertragen, geforscht. Schließlich wird daran geforscht, Pflanzen mit Hilfe von CRISPR/Cas resistenter gegen Schädlinge zu machen, ohne dafür auf transgene Manipulationen oder Pesti- oder Herbizide in den bisherigen Mengen zurückgreifen zu müssen. All diese Chancen führen aber immer auch Schadens- und Missbrauchspotential mit sich. Deshalb entsteht von Seiten von Befürwortern wie Gegner auch ein Hype um sie und deshalb werden sie quasi als Revolution gefeiert.

Aus ethischer Sicht stellen sich naturgemäß Fragen und diese müssen in der Gesellschaft beantwortet werden. Diese Antworten kann man der Wissenschaft nicht alleine überlassen. Das gilt sowohl für die Anwendung in der Medizin als auch für die in der Landwirtschaft. In beiden Bereichen gibt es noch große Unsicherheiten, was mögliche Konsequenzen sind und genau deshalb brauchen wir einen Dialog, in dem die Öffentlichkeit nicht einfach nur informiert wird, sondern wo auf der Grundlage von Transparenz auch partizipative Entscheidungspfade ernst genommen werden. Wir brauchen eben deshalb eine offene Debatte über den Nutzen und die Risiken dieser Technologien, damit sie dann auch wirklich zum Nutzen der Gesellschaft eingesetzt werden.

„Wir sollten aber auf jeden Fall daran arbeiten, den Dialog schon jetzt in Gang zu setzen, damit es hinterher nicht um die Bewertung von Horrorszenarien geht.“

Wird dieses Debatte bereits ausreichend geführt?

Nein, bisher nicht. Zumindest ist dies die Beobachtung des Ethikrates. Obwohl das Thema sehr relevant ist, ist es noch nicht in der Bevölkerung angekommen, was durchaus besorgniserregend ist, da die Technologie weitreichende Folgen haben könnte. Ich glaube der Grund ist, dass die Thematik naturwissenschaftlich, aber auch in der Einschätzung der technischen wie sozialen Risiken sehr komplex ist. Man muss die Hintergründe erst verstehen, wenn man sich ein Urteil bilden will. Die Komplexität erschwert es, den unmittelbaren Nutzen, aber auch die unmittelbaren Risiken abzuschätzen beziehungsweise zu erkennen. Die Bewertung fällt uns dadurch logischerweise schwerer. Entsprechend ist das Thema aktuell nicht so präsent, obwohl es in den Medien, sogar in den Leitmedien (sofern man den Begriff noch benutzen will), immer wieder einmal aufgegriffen wird, aber noch ist es in der Mitte der Gesellschaft nicht richtig angekommen. Vielleicht ändert es sich, wenn es erste richtige Erfolgsnachrichten gibt oder eben auch die ersten echten negativen Schlagzeilen. Wir sollten aber auf jeden Fall daran arbeiten, den Dialog schon jetzt in Gang zu setzen, damit es hinterher nicht um die Bewertung von Horrorszenarien geht. Jetzt ist genau die Zeit für eine ernsthafte Debatte, bevor die Wissenschaft Fakten gesetzt oder unrealistische Schreckensszenarien sich ins kulturelle Gedächtnis eingenistet haben.

Braucht die Wissenschaft Regularien für die Technologie?

Ja unbedingt. Es geht dabei aber darum, Regeln zu schaffen, die einerseits die Forschung nicht so sehr einschränken, dass die positiven Effekte der Technologie nicht mehr genutzt werden können, andererseits müssen aber unverantwortbare Schadensfälle möglichst verhindert werden und drittens muss die demokratische Einbettung solcher Regelsetzung bedacht werden – im Sprech der Europäischen Union heißt das Ganze dann „responsible research and innovation“. Ohne hier jetzt schon einen Generalschlüssel zu haben, konnte ich am Ende der Tagung des Deutschen Ethikrates zu Gene Drive, der neuen Methode der Turbovererbung, doch ein Bündel an Maßnahmen festhalten: Es sollte ein multidimensionaler Ansatz, unterschieden nach Eingriffstiefe einer Technologie in Umwelt und soziales Miteinander, möglichst in Kombination aus Selbstverpflichtung der Forschenden und Regelung auf möglichst hoher internationaler Ebene geschaffen werden. Transparenz und damit auch nötige Dokumentation sind wichtig.

Inhaltlich sind alle solche Verfahren zu bevorzugen, die Korrektur- und Rückholmöglichkeiten implizieren. Die Beteiligung der Öffentlichkeit als Aushandlungs- und gegebenenfalls auch Mitentscheidungsraum ist zu bedenken. Im Übrigen kann man diese wahnsinnig spannenden Debatten zum Gene-Drive auf unserer Homepage www.ethikrat.org nachhören wie auch die Präsentationen der Referenten einsehen.

Wenn wir in die Richtung der skizzierten Maßnahmen gehen, dann kann ein Vertrauensaufbau möglich werden. Der ist nötig, weil wegen der Komplexität des Themas viele Menschen gar nicht mehr darauf schauen, ob sie eine Technik oder lebenswissenschaftliche Methode mit allen möglichen Konsequenzen, die ihre Etablierung mit sich bringt, begreifen. Vielmehr schauen sehr viele Menschen, ob die Institutionen, also Universitäten, Genehmigungsbehörden oder Unternehmen, überhaupt vertrauenswürdig erscheinen. Solches Institutionenvertrauen ist neben der Risikobeurteilung ein entscheidender Schritt, wenn nicht sogar der entscheidende Schritt, ob die Möglichkeiten der Genschere genutzt werden oder nicht.

„Schließlich dürfte eine entscheidende Rolle die Empörung gegen das Geschäftsgebaren einiger auf dem Feld der Bioökonomie global agierender Konzerne sein.“

Inwiefern unterscheidet sich die Debatte, wenn es um den Einsatz im medizinischen Bereich geht, von der in der Pflanzenforschung?

Tendenziell zeigen nahezu alle Studien übereinstimmend, dass die rote Gentechnik breit akzeptiert ist. Das ist sicher wegen der Anwendung in geschlossenen Systemen und dem medizinischen Nutzen so. Bei der grünen Gentechnik ist es ganz anders. Hier muss man geradezu von einem Akzeptanzdesaster sprechen, das ja sogar einen Niederschlag in der sogenannten opt-out-Richtlinie gefunden hat, wonach der Anbau an sich in der EU zugelassener gentechnisch veränderter Organismen in einem Mitgliedsstaat verhindert werden kann, wenn u.a. politische, kulturelle oder soziale Gründe dagegen sprechen. Hintergrund für diese vermutlich kaum mehr rückgängig zu machende Ablehnung der grünen Gentechnik dürfte ein Konglomerat an Ursachen sein: Zum einen eine viel stärkere Besorgnis über unklarere Risiken bei möglicher Freisetzung – wobei man sich schon fragen muss, was wir sonst an umwelt-, ja sogar gesundheitsbeeinträchtigenden Expositionen mehr oder minder schweigend in Kauf nehmen –; zum anderen ein insbesondere in der deutschen Kultur prägendes, romantisches Lebensgefühl und damit verbundenes Unbehagen gegen Eingriffe in das sogenannte Natürliche – was immer das auch ist, denn DIE Natur gibt es ja gar nicht mehr – oder die vermeintliche Integrität der Umwelt; Differenzierungen im Umgang mit einmal in Misskredit geratenen Techniken kann gegen dieses kulturelle Unbehagen dann – im Unterschied zu vielen anderen Bereichen – kaum noch greifen. Schließlich dürfte aber eine entscheidende Rolle die Empörung gegen das Geschäftsgebaren einiger auf dem Feld der Bioökonomie global agierender Konzerne sein, die mit Biopatenten, Ausbeutung indigenen Wissens, Monokulturen und In-Abhängigkeit-Bringen zahlloser Kleinbauern sämtliche Reputation verspielt haben. Um gegen sie zu protestieren und zu kämpfen konzentriert man sich nicht selten auf die von ihnen benutzten Techniken, weil man den Eindruck hat, dass man ihre Macht sonst nicht einschränken kann.

Dass auf diesem Wege auch wissenschaftlicher Fortschritt und auch sinnvolle Anwendungen massiv gestört werden, nimmt man offensichtlich als Flurschaden dieses Kampfes in Kauf. Hier Vertrauen zurück zu gewinnen, erscheint nahezu aussichtslos. Ob die Chancen, die die Genschere – im Zusammenhang mit vielen anderen Maßnahmen – beispielsweise bei der Schädlingsbekämpfung haben könnte, auch nur ansatzweise irgendwann genutzt werden können, wird wesentlich davon abhängen, ob in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigt wird, dass es nur ein weiteres Werkzeug zur Verfestigung der scharf kritisierten Großkonzerne ist oder ob ein anderes Narrativ gefunden wird: eben dass die Menschheit damit Instrumentarien gewinnt, das nicht im Gegensatz, sondern in Verbindung mit anderen Maßnahmen der Ökolandwirtschaft einer verantwortlichen Balance zwischen Ernährungssicherheit, Schädlingsbekämpfung und Wahrung von Biodiversität zuarbeit.

Prof. Dr. Peter Dabrock

Der Theologe Prof. Dr. Peter Dabrock ist Vorsitzender des Deutschen Ethikrats und Professor für Systematische Theologie (Ethik) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Darüber hinaus war er von 2011-2016 Mitglied der Europäischen Ethikgruppe.

Foto: Dt. Ethikrat/R. Zensen

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