Foto: Hush Naidoo

CRISPR/Cas9 in der Medizin – Zwischen Heilsbringer und Horrorvision

Wie kann CRISPR/Cas9 in der Medizin eingesetzt werden?

Die Ursache vieler Krankheiten liegt in unseren Genen. Defekte – sogenannte Mutationen – in unserer DNA verursachen Krankheiten wie Krebs, die Bluterkrankheit oder Mukoviszidose. Und damit liegt dort auch der Schlüssel, um diese und viele andere Erkrankungen heilen beziehungsweise ihr Auftreten verhindern zu können. Wissenschaftler versuchen daher bereits seit Jahren das Erbgut gezielt zu manipulieren. Seit der Entdeckung des CRISPR/Cas9-Systems im Jahr 2012 steigen nun die Hoffnungen auf Erfolg.

„Die Technologie ist eine Revolution. Sie erlaubt es uns Fragen zu stellen, die wir vorher nicht stellen konnten und diese schneller zu beantworten. Deshalb hat sie sich auch so rasend schnell weltweit in den Laboren verbreitet, die sich mit Genetik beschäftigen. Dank ihrer Präzision und einfachen Anwendung eröffnet uns die Methode ungeahnte Möglichkeiten“, sagt Prof. Dr. Robin Lovell-Badge vom Londoner Francis Crick Institut.

Tatsächlich überschlagen sich derzeit die Ereignisse im Bereich der medizinischen Forschung mit CRISPR/Cas. Von HIV über Krebs bis hin zu monogenetischen Krankheiten wie der Bluterkrankheit: fast in jedem medizinischen Bereich arbeiten Forscher mit der Technik. „Dabei geht es zum einen darum, mehr über Krankheiten herauszufinden und zum anderen um die Entwicklung neuer Therapieansätze“, sagt Lovell-Badge.

Über 80 Prozent der rund 500.000 bekannten Krebsmutationen lassen sich unseren Ergebnissen zufolge mit CRISPR/Cas angreifen, gezielt schneiden und inaktivieren.

(Prof. Dr. Frank Buchholz)

Erste Erfolgsmeldungen und kleinere Hürden

Erste Erfolgsmeldung gibt es beispielsweise bei der Behandlung der Muskeldystrophie Duchenne, dem Muskelschwund. Dieser beruht auf der Mutation eines Gens, dass das Protein Dystrophin produziert – ein wichtiger Bestandteil der Muskelfasern. Mithilfe von CRISPR/Cas ist es Wissenschaftlern von unterschiedlichen Universitäten im Mausmodell gelungen die Mutation auszuschalten – und zwar sowohl bei Erwachsenen Mäusen als auch bei ungeborenen Mäusen. Das ist ein sensationeller Fortschritt, schließlich ist die Erkrankung beim Menschen bis heute unheilbar und verläuft immer tödlich.

Prof. Dr. Frank Buchholz von der TU Dresden wendet die Technologie in der Krebsforschung an. Bereits seit einiger Zeit ist es dank modernster Sequenzierungsverfahren möglich, die Mutationen innerhalb einer Krebszelle zu identifizieren. „Bisher konnten wir jedoch nie genau sagen, welche Mutationen für das Wachstum und damit auch für die Ausbreitung eines Tumors entscheidend sind. Genau das erhoffen wir uns jetzt mit CRISPR/Cas herausfinden zu können“, sagt Buchholz. Mit Erfolg, wie erste Studienergebnisse von Experimenten aus seiner Arbeitsgruppe zeigen: „Über 80 Prozent der rund 500.000 bekannten Krebsmutationen lassen sich unseren Ergebnissen zufolge mit CRISPR/Cas angreifen, gezielt schneiden und inaktivieren. Das könnte langfristig dabei helfen, bessere und vor allem stärker individualisierte Therapien zu entwickeln.“

Auch in der HIV-Forschung gab es in den vergangenen beiden Jahren erste Erfolgsmeldungen. Wissenschaftlern gelang es mit Hilfe der Genschere virales Erbgut aus dem Genom von Mäusen zu entfernen. Tatsächlich dämmte dies den Virus zunächst ein. Das Problem: Nach den anfänglichen Erfolgen, bildeten sich schnell Resistenzen aus. „Das ist eine Nebenwirkung, die wir natürlich vermeiden wollen, die aber fast logisch ist, weil CRISPR/Cas das Gen zwar rausschneidet, die Reparatur aber der Zelle selbst überlässt“, sagt Buchholz.

Er und seine Kollegen nutzen daher sequenzspezifische Rekombinanten, die ähnlich wie CRISPR/Cas funktionieren, darüber hinaus aber auch die Schnittstellen gezielt wieder zusammenkleben. Ein deutlich aufwändigeres und kostspieligeres Unterfangen, aber eben eines mit weniger Nebenwirkungen.

„Überhaupt dürfen wir trotz allem Hype um die neue Technologie nicht vergessen, dass es auch Dinge gibt, die wir noch nicht abschätzen können und es zu ungewollten Nebenwirkungen kommen kann“, sagt Buchholz. „Wir sollten deshalb geduldig sein und Schritt für Schritt vorangehen.“

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Die Ausrede, die wir früher benutzt haben, nämlich dass es so schwierig ist, dass es niemand versuchen wird, gilt heute nicht mehr.

(Prof. Dr. David Baltimore)

Es gibt aber durchaus auch kritische Stimmen gegenüber der Technologie. Diese beziehen sich vor allem auf die Anwendung in Embryonen. Sogar führende Wissenschaftler riefen zu einem Moratorium für die Forschung in diesem Bereich auf – einen Einsatz in der Grundlagenforschung befürworten sie jedoch. Ihre Sorge, so steht es in dem im Fachjournal Science veröffentlichten Artikel: Mit neuen Möglichkeiten, gibt es auch immer neue Risiken für die Gesundheit und das Wohl der Menschen. Lapidar formuliert: Die Wissenschaftler – zu denen auch CRISPR/Cas-Erfinderin Jennifer Doudna gehört – wollen die Menschen davon abhalten, etwas Verrücktes zu tun. „Wir versuchen, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass so etwas jetzt einfach ist“, sagte Prof. Dr. David Baltimore, Nobelpreisträger und einer der Autoren des Artikels damals auf einer Konferenz, bei der es um das Moratorium ging. „Die Ausrede, die wir früher benutzt haben, nämlich dass es so schwierig ist, dass es niemand versuchen wird, gilt heute nicht mehr.“

Auch der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft Prof. Dr. Otmar D. Wiestler spricht sich für ein solches Moratorium aus: Nach meiner Meinung sollte sich die internationale Gemeinschaft darauf verständigen, solche Eingriffe in die menschliche Keimbahn zu unterbinden. Die Risiken sind aus heutiger Sicht einfach zu groß.”

Robin Lovell-Badge hingegen hält das nicht für den richtigen Weg: „Ich bin gegen ein solches Moratorium und glaube wir sollten die Forschung vorantreiben, allerdings mit klaren Regeln“. Die bisherigen Studien mit humanen Embryonen sieht er dabei jedoch durchaus kritisch, allerdings nicht zuallererst aus ethischen Gründen: „Bisherige Studien bei Embryonen weisen zwar keine allzu großen Off-Target-Effekte, also Schnitte an Stellen, an denen nicht geschnitten werden sollte, auf. Allerdings ist in vielen Fällen noch unklar, ob die Schnitte auch wirklich an den richtigen Stellen wirken und ausreichend effizient sind. Das ist problematisch und muss adressiert werden“.

Wenn wir Methoden haben, die das Leid von Menschen verringern oder Krankheiten verhindern können, haben wir die Pflicht diese weiterzuentwickeln und einzusetzen.

Klare Regeln für den Fortschritt

Deshalb spricht sich auch Robin Lovell-Badge dafür aus, robustere und klarere Regeln zu etablieren. Insbesondere um Forschung zu ermöglichen, die ethischen Hintergründe zu klären und vor allem die Analyse von Langzeiteffekten voranzutreiben. Stoppen sollten diese Regularien die Forschung allerdings aus seiner Sicht nicht: „Wenn wir Methoden haben, die das Leid von Menschen verringern oder Krankheiten verhindern können, haben wir die Pflicht diese weiterzuentwickeln und einzusetzen.“

Eine ähnliche Meinung vertritt auch Frank Buchholz: „Es ist gut, wenn es bestimmte Regeln gibt. Allerdings dürfen die Regularien dem Fortschritt nicht im Weg stehen. Schließlich könnten diese Methoden zum Wohl der Menschheit beitragen – egal ob im medizinischen Bereich oder wenn es darum geht, den Hunger in der Welt zu lindern.“

Im November 2018 wurde bekannt, dass in China zum ersten Mal mittels CRISPR/Cas9 geneditierte Babys geboren wurden. Einschätzungen von Wissenschaftlern und Hintergrundinformationen dazu hat unter anderem das Science Media Center zusammengetragen.

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