Prof. Dr. Gretchen Chapman
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Was fördert die Impfbereitschaft?

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Gretchen Chapman

Welche Bevölkerungsgruppen sollten zuerst gegen Covid-19 geimpft werden?

Generell ist eines unserer Hauptziele bei der Impfung, dass wir die Zahl der Infektionen und Todesfälle durch Covid-19 minimieren wollen. Nun könnte man meinen, dass die Menschen, die am ehesten an der Krankheit sterben werden, die höchste Priorität für eine Impfung haben. Das stimmt teilweise, aber nicht ganz. Man muss zum Beispiel darüber nachdenken, wer das Virus wahrscheinlich auf andere Menschen übertragen wird. Junge Menschen neigen dazu, die Überträger*innen zu sein und das Virus zu verbreiten. Ältere Menschen hingegen neigen dazu, die Opfer zu sein, also sie sterben am ehesten an dem Virus. Denken Sie beispielsweise an Taxifahrer*innen, Barkeeper*innen oder Menschen, die an Flughäfen arbeiten. Das sind alles Personen, die durch ihren Beruf mit vielen anderen Menschen in Kontakt kommen, die zwar jung und gesund, aber gleichzeitig infiziert und asymptomatisch sein können. Die meisten Berichte, die ich gesehen habe, räumen Ersthelfer*innen und Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens Priorität ein. Ich denke, dass das für viele von uns auf jeden Fall Sinn macht, weil diese Personen am ehesten mit gefährdeten Menschen in Kontakt kommen. Einerseits können sie die Verbreiter*innen sein, andererseits sind sie selbst gefährdet, sich mit der Krankheit anzustecken. Deshalb sollte man sie schützen. Personen in gesellschaftlich relevanten Berufen sowie im Gesundheitswesen könnten also ursächlich für die Verbreitung der Krankheit in der Bevölkerung sein. Im Idealfall muss man herausfinden, wer diese Menschen sind und sie impfen. Aber um schneller handeln zu können, mag ein einfacherer Plan sinnvoller sein. Dieser könnte wie folgt aussehen: Eine priorisierte Impfung von Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens und von Personen, die gesellschaftlich relevante Berufe ausüben. Anschließend eine Impfung von Bewohner*innen von Pflegeheimen und älteren Menschen und erst danach von allen anderen. 

„Natürlich wird es eine Herausforderung sein, alle mit ins Boot zu holen, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass die Öffentlichkeit das Vertrauen in das Gesundheitssystem verloren hat.“

Schon vor der Freigabe eines Corona-Impfstoffs machte ein nicht unerheblicher Teil der Menschen die Angabe, sich nicht impfen zu lassen. Wie kommt das?

Ich möchte zunächst die Annahme in Frage stellen, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen. Was meinen wir mit viele Menschen“? In den USA wird weniger als die Hälfte der Bevölkerung jedes Jahr gegen die saisonale Grippe geimpft. Wenn also weniger als die Hälfte der Menschen sagt, dass sie einen Impfstoff gegen Covid-19 erhalten wollen würden, dann ist das nur eine Analogie zum Grippeimpfstoff. Das bedeutet nicht, dass es großes Misstrauen oder eine zögerliche Haltung gegenüber dem Impfstoff gibt – es könnte einfach bedeuten, dass die Menschen den Impfstoff wie einen anderen empfohlenen Impfstoff behandeln. Natürlich wird es eine Herausforderung sein, alle mit ins Boot zu holen, aber das bedeutet nicht unbedingt, dass die Öffentlichkeit das Vertrauen in das Gesundheitssystem verloren hat. Es ist ziemlich genau vergleichbar mit dem Vertrauen vor der Corona-Pandemie. Die meisten Impfstoffe gibt es außerdem schon seit langer Zeit, so dass es viele Studien über diese gibt und ein Gefühl von Sicherheit in der Bevölkerung geschaffen werden kann. Der Covid-Impfstoff ist natürlich brandneu. Daher ist es normal, dass die Menschen einem Impfstoff anfangs etwas skeptisch gegenüberstehen. 

Was sind abgesehen von der Neuheit des Impfstoffes weitere Bedenken der Menschen? 

Es kann beispielsweise auch sein, dass die Menschen wegen der schnellen Verfügbarkeit der Impfstoffe besorgt sind und denken, dass sie nicht richtig getestet wurden. Vielleicht sind die Menschen aber auch besorgt über politische Motive, die bei der Impfstoff-Debatte miteinfließen. Die Angst, dass ein*e politische*r Entscheidungsträger*in der Bevölkerung einen Impfstoff empfiehlt, nur um sich gut in der Öffentlichkeit darzustellen oder um zu zeigen, dass er oder sie etwas Heldenhaftes gegen die Epidemie getan hat, ist sicherlich auch nicht von der Hand zu weisen. 

„Jede Art von Impfpflicht oder auch eine sehr starke Empfehlung wird als Einschränkung der persönlichen Freiheit angesehen.“

Welche Bevölkerungsgruppen sind vermehrt skeptisch gegenüber einem Impfstoff gegen Covid-19? 

Impfgegner*innen und Aktivist*innen in den USA sind in der Regel Menschen, denen die persönliche Freiheit sehr am Herzen liegt. Jede Art von Impfpflicht oder auch eine sehr starke Empfehlung wird als Einschränkung der persönlichen Freiheit angesehen. Diese Menschen wären wahrscheinlich die zentrale Bevölkerungsgruppe, die gegen einen Corona-Impfstoff ist. 

Kann eine Impfentscheidung nicht nur als eine gesundheitliche, sondern auch als eine ethische Entscheidung angesehen werden? Und wenn ja, Inwiefern?

Ich würde es auf jeden Fall als eine ethische Entscheidung bezeichnen, denn die Impfung eines jeden Menschen wirkt sich auf die Sicherheit und die Gesundheit anderer Menschen aus. Wenn ich ein junger und gesunder erwachsener Mensch bin, könnte ich aus meinem Eigeninteresse heraus denken, dass es für mich keinen Sinn macht, mich impfen zu lassen. Aber aus ethischer Sicht sollte ich mich impfen lassen, denn ich könnte Überträger*in für jemanden sein, der oder die ein hohes Komplikationsrisiko hat. 

Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts ist keine Impfpflicht gegen COVID-19 vorgesehen. Halten Sie das für sinnvoll?

Die wissenschaftlichen Daten zu Vorschriften und Empfehlungen zu Impfstoffen sind interessant. In den USA zum Beispiel hat jeder Bundesstaat eine Art Impfpflicht für Impfstoffe, die für die Schulanmeldung erforderlich sind. Die Staaten mit weniger strengen Anforderungen haben generell niedrigere Impfquoten und höhere Infektionsraten. Das könnte darauf hindeuten, dass diese Maßnahmen funktionieren. Jedoch weiß man nicht wirklich, ob es in den Staaten, die bereits hohe Impfquoten haben, für die Politik einfacher wäre, strenge Vorschriften und Maßnahmen durchzusetzen. Die Menschen, denen die Impfvorschriften allerdings nicht gefallen, finden immer Wege, sich davon zu befreien. Wissenschaftliche Untersuchungen einer Studie von Cornelia Betsch haben außerdem gezeigt, dass viele Menschen Impfstoff B und C für weniger notwendig halten, wenn nur für Impfstoff A eine Empfehlung besteht. Die Impfraten für die Impfstoffe B und C gehen somit zurück.

„Wenn es keine gesetzlichen Vorschriften geben sollte, wird die Politik voraussichtlich andere verhaltenswissenschaftliche Methoden anwenden, um eine Impfbereitschaft zu fördern.“

Halten Sie es für sinnvoll, eine Impfpflicht oder Impfvorschriften für bestimmte Personengruppen durchzusetzen?

Ja. Viele Krankenhäuser verlangen bereits heute, dass das Personal, das Kontakt zu Patient*innen hat, jeden Herbst eine Grippeimpfung erhält. Wer das nicht tut, darf nicht zur Arbeit kommen. Meiner Meinung nach wäre diese Art von Maßnahme auch in Hinblick auf einen Corona-Impfstoff angemessen. Ich wäre allerdings vorsichtig mit Vorschriften, die darüber hinausgehen, weil es dann möglicherweise verweigernde Gegenreaktionen in der Bevölkerung geben könnte. Wenn es keine gesetzlichen Vorschriften geben sollte, wird die Politik voraussichtlich andere verhaltenswissenschaftliche Methoden anwenden, um eine Impfbereitschaft zu fördern. 

Welche Art von verhaltenswissenschaftlichen Methoden könnte das sein? 

Die Verhaltenswissenschaften haben einige Tricks auf Lager, die möglicherweise funktionieren könnten. So sorgen Botschaften, die aus einer vertrauenswürdigen Quelle kommen, wie beispielsweise die Empfehlung einer Ärztin oder eines Arztes, häufig für eine größere Impfbereitschaft in der Bevölkerung. Oft haben auch Empfehlungen, die von Menschen aus dem direkten Umfeld oder dem Freundeskreis kommen, einen höheren Einfluss auf das Impfverhalten der Menschen als Empfehlungen von Personen, zu denen man keine direkte Verbindung hat. Diese können aber trotzdem ein fundierteres Wissen zu dem Thema haben als die Menschen aus dem direkten Umfeld. Auch andere vertrauenswürdige Quellen wie Politiker*innen und prominente Menschen können als Empfehlungsgeber*innen fungieren. 

„Konkrete Aussagen, wie „Sie sollten sich impfen lassen“, kommen wahrscheinlich besser von Menschen, die über das entsprechende Fachwissen verfügen, wie zum Beispiel medizinisches Personal.“

Glauben Sie, dass prominente Menschen in diesem Zusammenhang eine vertrauenswürdige Informationsquelle sind?

Ich denke, dass Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, die Möglichkeit haben, ein Vorbild zu sein und mit gutem Beispiel voran zu gehen. Wenn sie also öffentlich kommunizieren, dass sie sich impfen lassen und die Menschen dann sehen, dass nichts Schlimmes passiert ist und dass keine nennenswerten Nebenwirkungen aufgetreten sind, kann das zu einer erhöhten Akzeptanz für den Impfstoff führen. Konkrete Aussagen, wie „Sie sollten sich impfen lassen“, kommen wahrscheinlich besser von Menschen, die über das entsprechende Fachwissen verfügen, wie zum Beispiel medizinisches Personal.

Was kann darüber hinaus getan werden, um die Impfbereitschaft zu erhöhen beziehungsweise die Einstellung der Menschen zum Thema Impfung zu ändern?

Wir müssen nicht unbedingt die Einstellung zum Thema Impfung ändern. Es gibt einige Forschungsergebnisse, die zeigen, dass wir das Impfverhalten ändern können, ohne dabei jedoch einen Einfluss auf die Einstellung zu Impfungen zu haben. Ich habe zusammen mit einigen meiner Kolleg*innen eine Übersichtsarbeit zur Psychologie des Impfens geschrieben. Eine unserer wichtigsten Schlussfolgerungen dabei ist, dass Interventionen, durch die versucht wird zu ändern, wie Menschen denken und fühlen, das Impfverhalten oft nicht wirklich beeinflussen. Ein direktes Eingreifen in das Verhalten hat hingegen nachgewiesenermaßen einen größeren Einfluss darauf, ob sich Menschen impfen lassen oder nicht. Das könnte beispielsweise durch Erinnerungshilfen umgesetzt werden, etwa durch die Erinnerung daran, dass es an der Zeit ist, die zweite Impfdosis zu erhalten. Auch die Bequemlichkeit der Menschen ist ein wichtiger Aspekt, dem man durch einen leichten Zugang und niedrige Kosten entgegenwirken kann. Außerdem gibt es stärkere Interventionen für Menschen, die keine positive Einstellung zum Thema Impfung besitzen. Diese Menschen brauchen eventuell verstärkt Anreize, wie zum Beispiel ein Fünf-Dollar-Gutschein für ein Lebensmittelgeschäft, den man an der Kasse erhält, wenn man eine Corona-Impfung durchführen lässt.  

Abgesehen von vertrauenswürdigen Quellen gibt es auch Anti-Impfkampagnen und Verschwörungstheorien. Welche Auswirkungen haben diese  auf die Sicherheit und Gesundheit der gesamten Bevölkerung?

Menschen, die eindeutig gegen Impfungen sind und beispielsweise ihre Kinder generell nicht impfen lassen, machen in den USA weniger als 1 % der Bevölkerung aus. Aber sie sind nach wie vor eine sehr wichtige Gruppe, die es zu erreichen gilt. Menschen, die gegen Impfungen sind, sind häufig geografisch konzentriert, zum Beispiel in einer Nachbarschaft. Dadurch sind diese Gebiete anfälliger für Krankheiten, da sie sich dort sehr leicht ausbreiten können. Die Einstellung zu Covid-Impfstoffen ist außerdem auch mit politischen Ansichten verbunden und wir wissen, dass politische Ansichten ebenfalls oft geografisch konzentriert sind. Dadurch könnten Gebiete entstehen, die bei einer Pandemie besonders gefährdet sind. 

 

Zur Person

Prof. Dr. Gretchen Chapman ist Professorin für Sozial- und Entscheidungswissenschaften an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania. Sie ist außerdem kognitive Psychologin, deren Forschungsziel die Beleuchtung psychologischer Prozesse in der Entscheidungsfindung und die Förderung eines gesunden und prosozialen Verhaltens wie Impfen oder Blutspende ist. 

Prof. Dr. Gretchen Chapman
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