Seit das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 erstmals in China aufgetreten ist und sich von dort rasend schnell in der Welt verbreitet hat, ist ein regelrechter Wettlauf um die Entwicklung eines Impfstoffs gestartet. Über 200 Forschungsprojekte zählt die Weltgesundheitsorganisation derzeit (Stand: 29. Oktober 2020). Zehn Impfstoffkandidaten werden bereits in der entscheidenden Phase-III-Studien getestet und sind damit am weitesten fortgeschritten.
Alle derzeit im Test befindlichen Impfstoffe gegen das Coronavirus richten sich gegen das Spike-Protein, eine Art Stachel auf der Oberfläche des Virus, mit dessen Hilfe es in die menschlichen Zellen eindringen kann. Das Immunsystem erkennt das Spike-Protein als fremdes Antigen. Ziel der Impfung ist, das Immunsystem dazu zu bringen, eine Abwehrreaktion auszulösen, also neutralisierende Antikörper gegen das Spike-Protein zu bilden und eine T-Zell-Antwort hervorrufen. Bei einem zukünftigen Kontakt mit dem Virus läuft die Abwehrreaktion schneller ab und das Immunsystem kann die Infektion besser bekämpfen.
Erfolgsversprechende Kandidaten in der Pipeline
Bislang waren herkömmliche Vakzine häufig Lebend- oder Totimpfstoffe. Sie enthalten das Virus in abgeschwächter oder inaktivierter Form oder Virusbestandteile. Solche Impfstoffe lösen keine Erkrankung mehr aus, bauen aber einen Immunschutz auf. Einen Impfstoff mit einem inaktivierten Virus testen beispielsweise die chinesischen Unternehmen Sinovac Biotech und Sinopharm jeweils in Phase-III. Bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs setzen Hersteller derzeit allerdings insbesondere auf neue Technologien.
Zu einem erfolgversprechenden Kandidaten zählt aktuell der Vektorvirus-Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19 (AZD1222), den AstraZeneca gemeinsam mit der Universität Oxford entwickelt hat. Sie nutzen einen harmlosen Schnupfenerreger aus Schimpansen als Vektor. Solche Vektorviren können sich zwar im Menschen vermehren, lösen aber keine Erkrankung aus. „Und dann setzt man Gene von dem Virus ein, gegen das man eine Immunantwort hervorrufen möchte, ein bisschen wie ein Lego-Baustein-Prinzip”, sagt Dr. Christine Dahlke aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Marylyn Addo am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Im Falle des Corona-Impfstoffs tragen die Vektorviren entweder bereits das Spike-Protein auf ihrer Oberfläche oder enthalten dessen Bauanleitung und bringen die Zelle dazu, die Proteine selbst zu bilden. Das Immunsystem erkennt die Coronavirus-Proteine und baut einen Immunschutz auf. Der Vorteil von Vektorviren sei laut Dahlke, dass man mit einer solchen Impfstoffplattform schnell auf neu aufkommenden Erregern reagieren kann: “Man kann dieses Konzept Plug-and-Play, dass man eine Basis schon hat und dann einfach ein neues Spike-Protein einsetzt, schnell adaptieren. Das Gute daran ist, dass die Vektoren, die man dabei benutzt, generell ähnliche Sicherheitsdaten generieren, und somit die Nebenwirkungen bekannt sind”.
Gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, IDT Biologika GmbH, der Ludwig-Maximilians-Universität in München und der Universität Marburg erprobt die Arbeitsgruppe ein Corona-Vakzin, das das „Modifizierte Vaccinia-Virus Ankara“ (MVA) als Vektor verwendet. Auf dessen Basis haben sie bereits Impfstoffkandidaten gegen MERS entwickelt und in einer frühen klinischen Phase bereits im Menschen getestet.
Eine solche Vektorvirus-Impfstoffplattform nutzt auch das Vakzin des russischen Gamaleya-Forschungszentrum namens „Sputnik-V” – in Remineszenz an den „Wettlauf ins All” zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA. Dessen vorläufige Zulassung in Russland machte im August Schlagzeilen. Der Impfstoff steht aufgrund von Zweifeln an den Daten, mangelnder Transparenz und fehlenden Wirksamkeitsdaten in der Kritik. Trotzdem werden Teile der Bevölkerung bereits damit geimpft. Auch für den zweiten zugelassenen russischen Impfstoff fehlen die Ergebnisse der Phase-III.
Auch das chinesische Unternehmen CanSino Biologics und die Firma Janssen, die zum US-Konzern Johnson&Johnson gehört, testen derzeit ihre Vektorvirus-Impfstoffe in klinischen Phase-III-Studien.
Innovative Impfstofftechnologien
Ein weiterer vielversprechender Kandidat ist der Impfstoff BNT162b2 von BioNTech und Pfizer. Er nutzt ein innovatives Konzept, bei dem der Bauplan für die virusspezifischen Antigene gezielt in die Zellen eingeschleust wird. Solche Impfstoffe bestehen lediglich aus Boten-RNA oder messengerRNA, kurz mRNA. Die mRNA ist eine Kopie der genetischen Information. Der Körper der geimpften Person produziert anhand der mRNA-Bauanleitung das Spike-Protein selbst und löst damit die Immunantwort aus. Ein häufiges Missverständnis ist die Befürchtung, das virale Erbgut könne in die menschliche DNA eingebaut werden. Dieses Risiko besteht nicht, da die mRNA lediglich in der Zelle abgelesen und anschließend abgebaut wird.
Auch der US-Konzern Moderna arbeitet an einem mRNA-basierten Impfstoff, der bereits in Phase-III getestet wird. Moderna hat als erstes Unternehmen bereits Mitte März nach einer Rekordzeit von 63 Tagen seinen Impfstoffkandidaten mRNA-1273 in die Phase-I der klinischen Studien geschickt. „Ich glaube das ist eine sehr interessante Plattform, um schnell reagieren zu können, bei zum Beispiel neuartigen Viren. Solche Plattformen sind wichtig, aber man muss natürlich auch bedenken, dass es noch keinen zugelassenen Impfstoff [mit einer solchen Plattform] gibt, also auch keine Langzeit-Daten zu diesen Impfstoffen, und wie gut sie schützen”, sagt Dahlke. Laut Medienberichten plant Moderna im Dezember eine Notfallzulassung in den USA zu beantragen.
Daneben sind auch Protein-basierte Impfstoffe in der Entwicklung. Der Kandidat des US-Unternehmens Novavax wird aktuell in der Phase-III geprüft. Solche Impfstoffe enthalten nur bestimmte Proteine des Virus, auf die das Immunsystem reagieren soll. Oft muss die Immunantwort durch sogenannte Adjuvantien verstärkt werden. Das ist auch beim Novavax-Impfstoff der Fall.
Welcher Impfstoff das Rennen macht, bleibt abzuwarten. Eine Zulassung wird wahrscheinlich unter stark beschleunigten Bedingungen ablaufen. So hat die Europäische Arzneimittelagentur EMA bereits Zulassungsverfahren für den Impfstoffkandidaten der Universität Oxford und AstraZeneca und den von BioNTech und Pfizer gestartet, während die Phase-3-Studien noch laufen („Rolling-Review-Verfahren”). Ein Verfahren, das angesichts der aktuellen Entwicklungen rund um die Pandemie jedoch notwendig erscheint, denn die Entwicklung im Labor, über die klinische Studien bis hin zur Zulassung von Impfstoffen kann Jahre dauern. Und eine Zulassung wäre nur der erste Schritt im Kampf gegen das Virus.