Wohnblock in Berlin
Miteinander oder nebeneinander? (Foto: Juska Wendland, flickr.com/photos/juska, CC BY-NC 2.0)

Integration – Das Zauberwort aus Politik und Gesellschaft?

Eine Million Flüchtlinge – Können wir die wirklich alle integrieren? Und was heißt das überhaupt: Integration?

Im Laufe des Jahres 2015 kamen über eine Million Menschen nach Deutschland, um vor Krieg und Verfolgung in ihren Heimatländern zu fliehen. Wir haben alle noch die Bilder von ankommenden Zügen voller hoffnungsvoller Menschen, von ehrenamtlichen Helfern und dem herzlichen Willkommenheißen vor Augen. Aber auch skeptische Stimmen, ob Deutschland denn dies alles schaffen könne, prägen die Debatte in der Gesellschaft seit diesem Zeitpunkt.

In der Politik wird seither der richtige Umgang mit den Flüchtlingen heftig diskutiert. Politiker äußern sich vielfach, dass man die angekommenen Flüchtlinge nun so schnell wie möglich integrieren müsse, andere, dass ein Großteil der Flüchtlinge aufgrund von unterschiedlichen kulturellen Werten und einem anderen Bildungsniveau einfach nicht integrierbar sei. Im Sommer 2016 verabschiedeten Bundestag und Bundesrat schließlich ein ambitioniertes Integrationsgesetz. Darin enthalten ist der schnellere Zugang zu Sprach- und Integrationskursen und eine bessere Perspektive für Flüchtlinge in den Berufseinstieg. Die Politik setzt also auf die Karte Bildung und Arbeit, wenn es darum geht, (sich) zu integrieren und Teil der deutschen Gesellschaft zu werden.

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Zu der momentanen Integrationsdebatte und gerade an dem verabschiedeten Integrationsgesetz gibt es aber aus der Wissenschaft viele kritische Stimmen. Prof. Dr. Naika Foroutan vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) nennt das Gesetz ein „Lex Refugee“ – also ein Sondergesetz für Geflüchtete, aber eben kein Gesetz, dass den ernsthaften Bedarf an Integration regelt. Denn mit dem Inhalt erweckt das Gesetz den Anschein, dass nur die vor Kurzem in Deutschland angekommenen Geflüchteten integriert werden müssten. Das steht allerdings im starken Kontrast dazu, wie Integration in der Wissenschaft verstanden wird.

Für den Historiker und Migrationsforscher Prof. Dr. Jochen Oltmer vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück steht der Begriff Integration für die chancengleiche Teilhabe. Diese gilt es in jedem spezifischen Lebensbereich zu ermöglichen. Also überall dort, wo es um den allgemeinen Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit, zum Rechts- oder Sozialsystem geht. Auch Naika Foroutan sieht Integration erst dann erreicht, wenn Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe für alle gelten. Integration funktioniert also nur als gesamtgesellschaftliche Idee und Aufgabe und lässt sich nicht auf einzelne Gruppen begrenzen. Daher, so sagt auch Foroutan „bringt es uns nicht weiter Integration nur für Migranten zu denken”. Genau das tun wir aber in der gesellschaftlichen Debatte.

„In Wahrheit findet nicht eine Debatte über Integrationsleistungen, sondern eine Debatte über die deutsche Werteordnung statt.”

(Prof. Dr. Naika Foroutan)

Wer zur deutschen Gesellschaft dazugehört, der achtet die deutschen Institutionen und Gesetze (97%), spricht die deutsche Sprache (92,5%) und fühlt sich in Deutschland zuhause (86,5%). So sehen das die Mehrheit der Befragten (ohne Migrationshintergrund) in der Studie ZuGleich 15/16 (IKG, 2016). Die Studie „Deutschland postmigrantisch I“ (BIM, 2014) zeichnet ein ähnliches Bild: Nahezu alle Befragten sind der Meinung, dass Kriterien wie das Sprechen der deutschen Sprache (97%) und der Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft (79%) entscheidend sind, um festzustellen, ob eine Person zur deutschen Gesellschaft gehört oder nicht.

Allerdings waren in genau dieser Umfrage auch 38% der Befragten der Meinung, dass es „nicht-deutsch“ ist, ein Kopftuch zu tragen. Wer sich also äußerlich durch kulturelle oder ethnische Merkmale unterscheidet, der wird in Deutschland leicht als „fremd“ oder „nicht-deutsch“ wahrgenommen, unabhängig davon, ob derjenige in Deutschland geboren ist und fließend Deutsch spricht. Dies zeigt auch die Studie „Diskriminierung am Ausbildungsmarkt“ (SVR, 2014): Bei Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz werden Personen mit einem türkischen Nachnamen deutlich seltener zum Gespräch eingeladen als jemand, der einen eindeutig deutschen Nachnamen hat – auch dann, wenn die Lebensläufe absolut identisch sind und sich nur der Name unterscheidet.

„Insgesamt haben wir in den vergangenen Jahrzehnten wirklich selten eine breite, nachhaltige Diskussion über Migration und Integration geführt.”

(Prof. Dr. Jochen Oltmer)

(Vermeintliche) kulturelle Unterschiede spielen für uns also eine große Rolle, wenn es um das Dazugehören geht. So ist es nur logisch, dass erfolgreiche Integration oft auch als komplette Anpassung der zu Integrierenden verstanden wird. Diese entledigen sich aller kultureller Wurzeln und werden in der Gesellschaft „unsichtbar“. In der Wissenschaft ist das aber etwas völlig anderes als Integration, nämlich Assimilation. Bei Integration im eigentlichen Sinne geht es aber auch um die soziale, strukturelle und emotionale Ebene. Was erfolgreiche Integration bedeutet, ist jedoch auch in der Wissenschaft nicht klar definiert: Zwar gibt es vier verschiedene Kategorien, mit denen man Integration misst, aber ob und inwieweit eine Gesellschaft auch wirklich bereit ist, Personen zu integrieren, die nicht schon immer Teil der Gesellschaft waren, lässt sich auch mit wissenschaftlichen Methoden kaum feststellen.

Dass wir kulturelle Unterschiede als solche und nicht als kulturelle Vielfalt wahrnehmen, liegt auch daran, dass wir in unserem Selbstverständnis Deutschland immer noch nicht als Einwanderungsland begreifen – obwohl es das bereits seit Jahrzehnten ist. In der Debatte um Integration schwingt also nahezu automatisch die Sorge vor fremden Einflüssen mit. Das merkt man auch an der Politik, in der die Migration als ausgesprochen schwieriges Thema gilt und „die Vorstellung weit verbreitet ist, dass Reden über Migration schädlich für politische Verantwortliche und politische Parteien ist” (Prof. Dr. Jochen Oltmer). Dabei wäre es höchste Zeit, „sich als Gesellschaft gemeinsam zu vergewissern, wie wir zusammenleben möchten” (Prof. Dr. Naika Foroutan). Wir müssen vor allem begreifen, dass Integration mehr ist als nur eine Checkliste oder ein Forderungskatalog. Integration ist ein dynamischer Prozess, der jeden von uns betrifft und von der gesamten Gesellschaft mitgestaltet wird. Und nur mit diesem Verständnis können wir Integration auch so gestalten, dass jeder von uns davon profitiert – und damit auch alle Flüchtlinge.

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Position: Ruth Katharina Ditlmann

„Es gibt in Deutschland auch immer die Angst in der Gesellschaft vor etwas Anderem oder Fremden. Für Menschen ist es bedrohlich, wenn sich eine Identität verändert, weil es verunsichernd ist. Denn Identitäten sind auch etwas, was uns ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit gibt.“

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Foto: Privat