Foto: Jesse Orrico

Die Anatomie intelligenter Gehirne

Wo sitzt eigentlich Intelligenz?

Das Gehirn ist eines der komplexesten Organe des menschlichen Körpers: Es verbraucht 20 bis 25 Prozent unserer gesamten Energie, besteht aus über 86 Milliarden Nervenzellen und befähigt uns zu kognitiven Leistungen, zu denen kein anderes Lebewesen in der Lage ist. Unterschiede in diesen Leistungen werden vor allem auf unterschiedlich ausgeprägte Intelligenz zurückgeführt. Diese wiederum hängt auch mit dem Aufbau des Gehirns zusammen.

„Die Gehirne intelligenterer Menschen unterscheiden sich von denen weniger intelligenter Menschen im Hinblick auf ihre Struktur und ihre Funktion”, sagt Dr. Ulrike Basten von der Goethe-Universität Frankfurt. „Allerdings legt die aktuelle Forschung nahe, dass es nicht einen einzigen Faktor gibt, der die Leistungsfähigkeit bestimmt. Wir wissen inzwischen, dass verschiedene Aspekte eine Rolle spielen”.

 

„Die Größe kann nicht der ausschlaggebende anatomische Faktor sein.”

Dr. Jan Gläscher, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Als ein möglicher Faktor, der intelligente Gehirne ausmacht, galt lange die Größe. Je größer das Gehirn, desto höher die Intelligenz – so lautete überspitzt die gängige Hypothese. Und tatsächlich gibt es einen gewissen Zusammenhang zwischen der Größe des Gehirns und der Intelligenz des Menschen. Allerdings ist dieser wesentlich geringer als gedacht, wie eine im Fachjournal „Neuroscience and Biobehavioral Reviews“ veröffentlichte Meta-Analyse von dem Forscherteam um den Wiener Psychologen Jakob Pietschnig und Lars Penke von der Universität Göttingen zeigt. Diese kommen zu dem Ergebnis, das nur etwa 5-6 % der Unterschiede in der Intelligenz durch die unterschiedliche Größe des Gehirns bedingt ist.

Eine anschauliche Verdeutlichung, weshalb ein großes Hirn nicht immer auch mit großer Intelligenz in Zusammenhang steht, liefert das Tierreich: Absolut gesehen hat der Pottwal das größte Gehirn, aber setzt man die Größe zu der Körpermasse ins Verhältnis müsste die Spitzmaus das intelligenteste Wesen auf Erden sein. „Dieses Beispiel zeigt, dass die Größe nicht der ausschlaggebende anatomische Faktor sein kann”, sagt Dr. Jan Gläscher, Neurowissenschaftler vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Das ist ebenso veraltet, wie die Theorie, dass die Intelligenz einzig und allein im präfrontalen Cortex – einem Teil des Großhirns an der Stirnseite unseres Gehirns – sitzt, wovon man eine Zeit lang ausging”.

„Intelligenz scheint vor allem von der effizienten Kommunikation zwischen Gehirnregionen abzuhängen”

Dr. Jan Gläscher, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Diese Annahme widerlegten Forscher um Gläscher und seinen damaliger Kollege Ralph Adolphs vom California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena. Mit einer 2010 in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlichten Studie, zeigten sie, dass Intelligenz weder das gesamte Gehirn benötigt, noch eine einzelne Gehirnregion dafür zuständig ist. Vielmehr ergab sich aus dem Vergleich der Intelligenz von Menschen mit Verletzungen in unterschiedlichen Hirnarealen mit unverletzten Menschen ein klar abgegrenztes, aber weitverzweigtes Netzwerk an Gehirnregionen in Stirn- und Scheitellappen, welches für die Intelligenz entscheidend war. Ergebnisse, die im Einklang mit der sogenannten Parieto-Frontalen-Integrationstheorie, kurz P-FIT, stehen, die 2007 in einem Übersichtsartikel von den amerikanischen Intelligenzforschern Richard Haier und Rex Jung aufgestellt wurde. „Dieser Theorie und unseren Forschungsergebnissen zufolge scheint Intelligenz vor allem von der effizienten Kommunikation zwischen Gehirnregionen abzuhängen”, sagt Gläscher.

Auch Ulrike Basten sieht hier den Hauptunterschied: „Das Netzwerk aus Verbindungen zwischen den verschiedenen Gehirnregionen ist bei intelligenteren Menschen anders organisiert als bei weniger intelligenten”. Dabei seien kurze Pfade und damit schnelle Wege von Region A zu Region B für kognitive Leistungen meist von Vorteil, da sie die Effizienz der Informationsübermittlung erhöhen.

„Die unterschiedlich starke Einbettung der von uns identifizierten Regionen ins Gesamtnetzwerk des Gehirns könnte dafür sorgen, dass intelligentere Menschen besser zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden können”

Dr. Ulrike Basten, Goethe-Universität Frankfurt

Allerdings zeigte eine Studie aus dem Jahr 2017 von Basten und ihren Kollegen, dass intelligentere Personen nicht generell kürzere Verbindungen im ganzen Gehirn haben. Vielmehr konnten die Forscher zeigen, dass bei intelligenteren Menschen zwei bestimmte Regionen über kürzere Pfade mit dem Rest des Gehirns verknüpft waren, während eine andere Region mit dem restlichen Nervennetzwerk schwächer verbunden war. Während die besonders eng ins Netzwerk eingebundenen Regionen – der vordere insuläre und der vordere cinguläre Cortex – als für die Verarbeitung aufgabenrelevanter Informationen wichtig gelten, ist die andere Region – die Übergangsregion zwischen Temporal- und Parietalcortex – dafür bekannt, dass sie zwischen relevanter und irrelevanter Information differenziert, indem sie auf irrelevante, potentiell störende Information eben nicht anspringt.

„Die unterschiedlich starke Einbettung der von uns identifizierten Regionen ins Gesamtnetzwerk des Gehirns könnte dafür sorgen, dass intelligentere Menschen besser zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden können”, sagt Basten. „Ein entscheidender Vorteil, wenn es um die Lösung kognitiver Aufgaben geht.”

Wie komplex das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Regionen wirklich ist, wird an aktuellen Analysen zur Hirnaktivität deutlich. Hier galt lange das Credo: Intelligentere Menschen benötigen auf das gesamte Gehirn gesehen weniger Hirnaktivierung um kognitive Herausforderungen zu meistern – haben also einen geringeren Energieverbrauch als weniger intelligente. „Das klingt erstmal plausibel. Wenn intelligentere Personen irgendwie leistungsstärkere Gehirne haben, dann können sie bestimmte Anforderungen vielleicht mit weniger Energieaufwand bewältigen. Wir haben zu dieser Frage alle relevanten Studien der letzten 15 Jahre zusammengetragen. Dabei zeigte sich jedoch kein einheitliches Bild. Wir können also nicht sagen, dass intelligentere Gehirne grundsätzlich effizienter sind“, sagt Basten.

„Ob individuelle Unterschiede in solchen dynamischen Veränderungen der Hirnnetzwerke Unterschiede in kognitiver Leistungsfähigkeit erklären können – das ist die nächste große Frage der Hirnforschung zur Intelligenz.“

Dr. Ulrike Basten, Goethe-Universität Frankfurt

Eine mögliche Variable, die diese Ergebnisse erklären könnte, ist der Schwierigkeitsgrad der Aufgabe. Während intelligentere Menschen bei leichten und mittelschweren Aufgaben weniger Energie verbrauchen, steigt der Energieverbrauch bei schwierigen Aufgaben im Vergleich zu weniger intelligenten Menschen stärker an. „Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass intelligentere Menschen bei diesen Aufgaben länger am Ball bleiben und sich stark auf die Lösung der Aufgabe konzentrieren, während andere früher aufgeben und quasi abschalten, weil sie ohnehin nicht denken, dass sie die Aufgabe lösen können”, sagt Basten. „Allerdings ist diese Erklärung bisher nur eine Vermutung, da es schwierig ist, vergleichende Studien zum Faktor Schwierigkeitsgrad durchzuführen”.

Ähnliches gilt für die Frage, ob ein Gehirn dann besonders gut funktioniert, wenn es möglichst flexibel ist. „Das ist vielleicht die spannendste Frage für die Zukunft unseres Forschungsbereichs. Wir haben bisher hauptsächlich in statischen Merkmalen des Gehirns nach Erklärungen für Unterschiede in Intelligenz gesucht – beispielsweise in der grundlegenden Netzwerkstruktur. Wir wissen aber, dass sich die Netzwerkorganisation im Gehirn von Sekundenbruchteil zu Sekundenbruchteil verändert, weil unterschiedliche Verbindungen mehr oder weniger genutzt werden. Ob individuelle Unterschiede in solchen dynamischen Veränderungen der Hirnnetzwerke Unterschiede in kognitiver Leistungsfähigkeit erklären können – das ist die nächste große Frage der Hirnforschung zur Intelligenz“, sagt Basten.

 

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